Den europäischen Lastwagenbauern drohen nach einer EU-Rekordstrafe wegen unerlaubter Preisabsprachen nun milliardenschwere Schadenersatzforderungen von Kunden. Alleine die auf Kartellrecht spezialisierte US-Kanzlei Hausfeld hat nach eigenen Angaben bislang Schadenersatz-Ansprüche über "insgesamt rund eine Milliarde Euro" eingesammelt.

Bis Ende kommenden Jahres rechnet Hausfeld-Deutschland-Chef Christopher Rother mit einem weiteren, steilen Anstieg. "Wir gehen davon aus, dass das Forderungsvolumen einschließlich neuer Mandate bis Ende 2017 auf über sechs Milliarden Euro zuzüglich Zinsen zulegen wird", sagte der Anwalt gegenüber BÖRSE ONLINE. Die Schadenersatzforderungen ergäben sich aus "überhöhten Preisen" für Neufahrzeuge, erklärte Rother. Diese Ansprüche werde man bis Ende 2017 gegen "alle Kartell-Mitglieder" gerichtlich geltend machen.

Die EU hatte Mitte Juli gegen vier europäische Lkw-Bauer eine Kartellstrafe von insgesamt 2,93 Milliarden Euro verhängt. Die größte Einzel-Strafe mit rund einer Milliarde Euro traf Daimler. Der Rest entfiel auf Iveco, DAF und Volvo. Die Volkswagen-Tochter MAN ging als Kronzeuge straffrei aus. Gegen Scania laufen die Ermittlungen weiter. Die Schweden, die wie MAN zum VW-Konzern gehören, hatten einen Vergleich mit der EU abgelehnt.

Nach Erkenntnissen der EU-Kommission haben die Laster-Hersteller zwischen 1997 und 2011 Bruttolistenpreise für mittelschwere und schwere Lkw abgesprochen. Zudem hätten sich die Kartellmitglieder auf Zeitpläne zur Einführung neuer Technologien zur Abgasreinigung geeinigt und die Kosten ihren Kunden aufgebürdet.

Nach einer von der EU-Kommission in Auftrag gegebenen Studie des Beratungsunternehmens Oxera führen Preiskartelle zu Preisaufschlägen von rund 20 Prozent. Bei einem Durchschnittspreis von 80.000 Euro pro Sattelzugmaschine hätten Spediteure damit rund 12.000 bis 16.000 Euro zu viel gezahlt. Diese Summe könnten die Unternehmen nun als Schadenersatz geltend machen.

Alleine die Kanzlei Hausfeld vertritt nach eigenen Angaben derzeit über 30 Unternehmen, die im fraglichen Zeitraum zwischen 1997 und 2011 insgesamt rund 75.000 Fahrzeuge angeschafft hätten. Mit weiteren potenziellen Mandanten stehe man in Kontakt, sagte Rother.

Gesetzesnovelle könnte Lkw-Kunden Rückenwind bringen



Bei den geplanten Schadenersatzklagen kommt den betroffenen Spediteuren und Flottenbetreiber wie Lebensmittel-Einzelhändlern oder Brauereien womöglich auch eine geplante Novelle des Kartellrechts entgegen. Nach einer EU-Rechtsänderung soll die Beweislast bei Kartellrechtsverstößen künftig umgekehrt werden. Danach gilt demnächst grundsätzlich die Vermutung, dass Preisabsprachen zu einem Schaden bei Kunden führen. Die Kartellmitglieder müssen das Gegenteil beweisen. Bislang waren die Kunden in der Pflicht. Außerdem sieht die Neuregelung auch großzügigere Verjährungsfristen vor. In Deutschland dürfte die EU-Regelung bis zum kommenden Frühjahr umgesetzt werden.

MAN und Daimler weisen mögliche Schadenersatz-Ansprüche zurück



Führende Lkw-Hersteller wiesen mögliche Schadenersatzforderungen gegenüber BÖRSE ONLINE bereits vorsorglich zurück. Es gebe "keine Anhaltspunkte, dass Kunden von MAN durch kartellrechtswidrige Absprachen, an denen MAN beteiligt war, einen Schaden erlitten haben könnten", erklärte ein MAN-Sprecher auf Anfrage. Bei Daimler hieß es, man nehme mögliche Schadenersatzforderungen "und unsere Kundenbeziehungen sehr ernst". Sowohl Daimler als auch die Kunden seien "an langfristigen Geschäftsbeziehungen interessiert." Doch erschienen Äußerungen zu möglichen Schadenersatzansprüchen "teilweise fragwürdig und irreführend", erklärte eine Daimler-Sprecherin.