Die Hauptversammlung von Daimler Anfang April in Berlin war in diesem Jahr eine erquickliche Veranstaltung - für Vorstand, Aufsichtsrat und die Aktionäre. Zwar gab’s ein paar kritische Fragen wegen des Abgas-Skandals bei Volkswagen, weil die Wolfsburger Autofahrer weltweit mit Schummeltechnik beim Diesel hinters Licht geführt haben und nun in der tiefsten Krise ihrer Geschichte stecken. Doch Daimler-Chef Dieter Zetsche versicherte den Anteilseignern erneut, dass bei den Dieselmotoren mit Stern alles mit rechten Dingen zugehe.

Ohnehin schauten die Aktionäre viel lieber auf das goldgeränderte Zahlenwerk für 2015. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben die Schwaben neue Rekordmarken bei Absatz, Umsatz und Ergebnis eingefahren und eine Rekorddividende von 3,25 Euro je Aktie vorgeschlagen, was bei den Anteilseignern im Berliner CityCube für reichlich Applaus und noch mehr gute Stimmung sorgte.

Auch im laufenden Jahr will Daimler ordentlich vorlegen, versicherte Zetsche: "Alle Anzeichen" sprächen dafür, dass "auch 2016 ein gutes Jahr für Daimler wird".

Doch ganz ohne Dellen wird es für den Konzern im laufenden Jahr wohl kaum abgehen. Denn seit Anfang April liefern die Schwaben die komplett neu entwickelte E-Klasse aus. Sie ist zunächst in Europa verfügbar, im Sommer folgt die Auslieferung in den USA, im Herbst ist China dran. Dazu kommt die "Dream Car"-Offensive um die Cabrio-Versionen der C- und S-Klasse.

Für die Produktionsanläufe und die Markteinführung wird Daimler ordentlich Geld in die Hand nehmen - was ein paar Bremsspuren auf der Ertragsseite hinterlassen wird. Vor allem das erste Quartal werde wegen der Anlaufkosten sowie der starken Nachfrage nach kleineren Fahrzeugen beeinträchtigt, mahnte Zetsche in Berlin schon mal vorsorglich. Die A- und B-Klasse werfen traditionell weniger Gewinn je Fahrzeug ab als etwa die C-Klasse - ganz zu schweigen von der E-Klasse.

Gewinntreiber E-Klasse



Pro Fahrzeug dürften bei der E-Klasse operativ "rund 6000 Euro" hängen bleiben, schätzt etwa Prof. Ferdinand Dudenhöffer vom Centre Automotive Research (CAR) an der Uni Duisburg-Essen. Zum Vergleich: Beim 5er BMW dürften es eher 5000 Euro sein, und beim A6 von Audi rund 4000 Euro, schätzt der Autoexperte.



Dazu kommt: Die E-Klasse ist trotz ihres vergleichsweise knackigen Preises ein Absatzschlager. Alleine 2015 hat Mercedes-Benz trotz des absehbaren Modellwechsels immer noch rund 302.000 Einheiten der E-Klasse verkauft, schätzt Dudenhöffer. Im laufenden Jahr könnte der Absatz auf 340.000 Einheiten steigen und 2017, wenn die E-Klasse in allen wichtigen Märkten verfügbar ist, auf 380.000 Fahrzeuge. Kein Wunder also, dass die Baureihe in der Branche als wichtigster Ertragsbringer des Konzerns gilt.



Bei Daimler lässt man sich von der bevorstehenden Ergebnis-Delle denn auch nicht nervös machen. Ab dem Sommer dürfte sich die Ertragslage spürbar aufhellen, machte Zetsche deutlich. Dank der neuen E-Klasse und günstigerer Währungseffekte werde die zweite Jahreshälfte "deutlich besser laufen" als die ersten sechs Monate, versprach Dr. Z den Aktionären.

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Was die Analysten erwarten



Analysten sehen das ähnlich. Mit Blick auf die Anlaufkosten für neue Modelle und der Schwäche im Lkw-Geschäft erwarte man im ersten Quartal einen Rückgang des bereinigten operativen Ergebnisses auf 1,84 Milliarden Euro zurückgehen nach 1,96 Milliarden im Vorjahr, schreibt Daimler-Analyst Zafer Rüzgar von Independent Research in einem aktuellen Report.




Auch seine Kollegen erwarten im ersten Quartal einen kleinen Rücksetzer. Im Schnitt rechnen die Auguren mit einem Ebit-Minus von rund 11,7 Prozent. Der Dax-Konzern hätte damit zum ersten Mal seit drei Jahren im laufenden Geschäft weniger verdient als im Vorjahreszeitraum. Danach dürfte sich die Lage jedoch aufhellen. Im zweiten und dritten Quartal dürfte das operative Ergebnis tendenziell zwar noch stagnieren. Aber im vierten Quartal sind die Auguren zuversichtlich. Für das wichtige Jahresendgeschäft prognostizieren die Anaylsten einen Ebit-Sprung von knapp 20 Prozent (siehe Grafik oben).

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Einschätzung der Redaktion



Daimler präsentiert am Freitag die Zahlen zum ersten Quartal. Der Umsatz dürfte angesichts der anhaltend starken Absatzzahlen bei Mercedes-Benz erneut zulegen. Immerhin hat die Marke mit dem Stern im ersten Quartal ein Verkaufsplus von 12,6 Prozent hingelegt und damit im Premium-Segment BMW und Audi in die Schranken verwiesen.



Beim Ergebnis dürfte es wegen der Neuanläufe allerdings einen ordentlichen Dämpfer geben. Die operative Marge im Pkw-Geschäft könnte auf 6,9 Prozent fallen gegenüber 9,2 Prozent vor Jahresfrist. Das wäre ein herber Rückschlag für den Konzern. Zudem schwächelt das Nutzfahrzeuggeschäft. In Brasilien ist die Nachfrage am Boden, auf dem wichtigen US-Markt zeigt der Trend nach unten. Erste Beobachter fragen schon leise, ob die Prognose für das laufende Jahr zu halten ist. Immerhin will Daimler Trucks 2016 auf dem Niveau des Vorjahres rauskommen.

Anleger sollten sich davon jedoch einstweilen nicht beirren lassen. Die neue E-Klasse dürfte ein Hit werden. Ab Herbst ist die Baureihe in allen wichtigen Märkten verfügbar. Das dürfte die Ertragslage ordentlich aufpolstern und der Aktie einen neuen Schub geben. Wer das Papier im Depot hat, kann ruhig alos bleiben.
Alle andern können noch abwarten. Am Freitag droht wegen der absehbar flauen Rendite bei Mercedes-Benz ein Kursrückschlag. Das könnte sich im Jahresverlauf aber womöglich als gute Einstiegsgelegenheit erweisen. Wir bleiben bei unserem Votum: Kaufen. Kursziel 85 Euro, Stopp: 59 Euro.