Herr Källenius, die Daimler-Tochter Mercedes-Benz hat in den ersten sechs Monaten den Wettbewerb abgehängt. Von Januar bis Juni haben Sie den Absatz um 14,7 Prozent gesteigert, BMW kam auf 7,8 Prozent, Audi auf 3,8 Prozent. Wie entspannt fahren Sie in den Sommerurlaub?
Unser Portfolio ist vom Einstiegssegment mit der A-Klasse über die C-Klasse bis hinauf zum Luxussegment in der S-Klasse sehr stark. Mit diesem Angebot im Rücken haben wir ein sehr gutes erstes Halbjahr hingelegt. Dieses Momentum wollen wir auch ins zweite Halbjahr mitnehmen.

Mit erneut zweistelligen Absatzzuwächsen?
Wir machen keine exakten Prognosen. Nur so viel: 2015 ist das Jahr der SUVs. Im zweiten Halbjahr haben wir hier sehr attraktive neue Fahrzeuge am Start. Im September kommt der GLC, kurz darauf folgt ein großes Facelift für den GLE, die bisherige M-Klasse. Und zum Jahresende rundet die neue Generation des GLS das Portfolio nach oben ab. Wir haben also noch einige Pfeile im Köcher.

Daimler peilt für seine Kernmarke langfristig eine operative Marge von zehn Prozent an. Im ersten Quartal sind Sie diesem Ziel mit 9,4 Prozent schon sehr gekommen. Wann fallen die zehn Prozent?
Wir haben im ersten Quartal dank Absatz- und Umsatzzuwächsen sowie steigender Effizienz einen starken Start hingelegt. Das strategische Ziel von zehn Prozent steht. Weitere Details zur finanziellen Entwicklung gibt es am 23. Juli. Dann veröffentlichen wir unseren Halbjahresbericht.

Auf Seite 2: Wie Ola Källenius die Risiken aus dem Börsencrash in China sieht





Aber es gibt ja durchaus ein paar Risiken, vor allem in China. Auf dem größten Pkw-Markt der Welt ist Mercedes der Konkurrenz lange Zeit hinterhergefahren. Doch seit gut anderthalb Jahren haben Sie dort spürbar Boden gut gemacht. Ausgerechnet jetzt bricht die Börse ein. Wie besorgt sind Sie?
Zunächst: Unser starkes Wachstum in China geht auf die Strategie zurück, die wir in den vergangenen Jahren definiert haben und die nun Schritt für Schritt umgesetzt wird. Wir haben unser Angebot für den chinesischen Markt erweitert und angepasst, denken Sie nur an die neue C-Klasse, die in China auch als Langversion verfügbar ist. Dazu kommt der Ausbau unserer Produktion vor Ort und die starke Nachfrage, vor allem nach dem GLA, der C- und S-Klasse. In der zweiten Jahreshälfte kommen außerdem noch die neuen SUVs hinzu. Parallel dazu haben wir unser Händlernetz erheblich ausgebaut. Dieser Dreiklang aus Vertrieb, Produkt und Produktion ist die Basis für unseren Erfolg in China.



Mittel- bis langfristig bleiben wir sehr zuversichtlich für die Absatzchancen in China.
Ola Källenius über die Aussichten auf dem größten Pkw-Markt der Welt.




Aber der chinesische Automobilverband hat seine Absatzprognose für das laufende Jahr gerade von plus sieben Prozent auf plus drei Prozent revidiert. In den Showrooms tummeln sich deutlich weniger Interessenten als noch vor Jahresfrist. Eine solche Entwicklung wird auch an Mercedes-Benz nicht spurlos vorübergehen?
Natürlich beobachten wir sehr genau, was in China passiert. Es mag sein, dass es zu kurzfristigen Schwankungen kommt. Aber unsere attraktive Marke, das starke Portfolio mit neuen Produkten und der Ausbau des Händlernetzes sprechen für ein gutes zweites Halbjahr. Und mittel- bis langfristig bleiben wir ohnehin sehr zuversichtlich für die Absatzchancen in China.

Auf Seite 3: Wie Mercedes-Benz auf die Rabattschlacht im Premium-Segment reagiert





Nun geht es auf dem chinesischen Automarkt bei den Rabatten ohnehin schon lange richtig zur Sache. Befürchten Sie nicht, dass sich der Preiskampf vor dem Hintergrund des jüngsten Kursabsturzes an der Börse weiter verschärft?
Die Wettbewerbsintensität in China ist bereits seit Jahren extrem hoch. Aber das ist auch in Deutschland oder den USA nicht anders. Umso wichtiger ist es, dass Markenerlebnis und Produktsubstanz stimmen. Und was das Thema Rabatte betrifft: Unser Ziel ist es, das Rabatt-Niveau konstant zu halten. Das ist uns in den vergangenen 12 Monaten gelungen. Mercedes-Benz ist kein Produkt, das über den Preis verkauft wird. Wir bieten mehr - und dafür sind unsere Kunden auch gerne bereit, etwas mehr zu zahlen.



Mercedes-Benz ist kein Produkt, dass über den Preis verkauft wird. Wir bieten mehr - und dafür sind unsere Kunden auch gerne bereit, etwas mehr zu zahlen.
Ola Källenius über die Rabattschlacht in der Branche und die Bereitschaft, sich daran zu beteiligen.




Mercedes will das Händlernetz in China im laufenden Jahr auf 500 Händler ausbauen. Werden Sie angesichts der jüngsten Entwicklung hier 2016 einen Gang zurückschalten?
Wir entwickeln unser Händlernetz im Einklang mit dem Markt. Es wird Städte geben mit komplett neuen Händlerstützpunkten und Standorte in reifen Märkten wie Peking oder Shanghai, die wir erweitern, wenn zum Beispiel bei der Servicekapazität eine Grenze erreicht ist.

Die eigene Produktion in China hat sich ja offenbar bewährt. Welche Baureihe nach GLA, GLC, C- und E-Klasse kommt als nächstes?
Unsere aktuelle Aufstellung ist sehr gut. Der GLA war hier eine hervorragende Ergänzung. Aber es gibt weitere Chancen. Wir glauben an den chinesischen Markt. Diese Zuversicht wird sich auch in der Produktion niederschlagen, über eine Erhöhung der Stückzahlen und die Lokalisierung weiterer Baureihen, etwa in der Kompaktklasse.

Auf Seite 4: Wie Mercedes-Benz in den kommenden Jahren noch effizienter werden will





Mercedes hat in den vergangenen Jahren mit dem Programm Fit for Leadership rund zwei Milliarden Euro eingespart. Bis zum Jahr 2020 soll im Rahmen des Programms Next Stage nun die nächste Stufe gezündet werden. Wie viel ist dies Mal drin?
Fit for Leadership ist eher ein Strategie- als ein Effizienzprogramm. Hier geht es im Kern um die Frage, wie wir uns als Unternehmen für die Zukunft aufstellen. Aber natürlich steht es im Einklang mit der strategischen Zielrendite von zehn Prozent. Das alles gilt auch für Next Stage. Im Bereich Vertrieb fragen wir uns: Wo gibt es Lücken im Portfolio? Wie stellen wir sicher, dass wir bei den Vertriebskosten pro Umsatzeinheit wettbewerbsfähig sind? Und wie können wir das Kundenerlebnis weiter verbessern und die physischen und die digitalen Schnittstellen besser verknüpfen?



Mit der A-Klasse kommen wir aktuell auf Eroberungsquoten von über 50 Prozent.
Ola Källenius über den branchenweit ungewöhnlich hohen Anteil an Neukunden, die von einer anderen Marke zu Mercedes-Benz wechseln.




Welche Antworten haben Sie da?
Mercedes-Benz ist sicher die stärkste Marke in der Automobilindustrie weltweit. Aber die Marke mit dem Stern war für viele Menschen lange außer Reichweite. Mit den Kompakt-Wagen ist das nun anders. Das zeigen die Eroberungsquoten, also der Anteil der Käufer, die zuvor ein Auto einer anderen Marken gefahren sind. Mit der A-Klasse kommen wir aktuell auf Eroberungsquoten von über 50 Prozent. Beim CLA in den USA liegen diese Quoten zum Teil sogar noch höher.

Gleichzeitig haben wir am oberen Ende der Marke mit Mercedes-Maybach das Portfolio abgerundet. Bis 2020 werden wir noch mindestens zehn Modelle ohne Vorgänger auf den Markt bringen. Gleichzeitig bauen wir unsere digitalen Formate mit Mercedes me kräftig aus. Dort bieten wir eine nahtlose Integration zwischen Fahrzeug und Smartphone an. Mit Ihrem iPhone können Sie die Tür öffnen, erhalten einen Hinweis, wann die Bremsen erneuert werden sollten, können einen Werkstatt-Termin vereinbaren oder ähnliches. Wir bauen hier eine ganze Welt der Dienstleistungen um das Auto.

Die Offline-Welt gibt’s auch noch.
Und die ist genauso wichtig. Dafür haben wir die Mercedes me Stores geschaffen. Wir dürfen nicht erwarten, dass die Menschen zu uns kommen. Wir müssen zu den Menschen kommen. Das tun wir in 1A-Lagen in Metropolen. Dort bieten wir die Erlebnis-Welt von Mercedes als Kombination aus Gastronomie, Events, digitalen Interaktionsmöglichkeiten, aber natürlich auch mit Autos. Aktuell sind wir unter anderem in Hamburg oder Mailand vertreten. In diesem Jahr kommen neue Standorte in Hongkong, Peking, Moskau und Tokio hinzu.

Auf Seite 5: Was aus dem geplanten Bau eines neuen Werks in St. Petersburg wird





Sie haben zuletzt erklärt, den Bau eines neuen Werks in St. Petersburg zu prüfen. Aber die russische Wirtschaft schrumpft. Stellen Sie Ihre Pläne nun lieber erst mal zurück?
Wir schauen uns die Größenordnung an, aber es gibt in der Frage eines möglichen Werks in Russland keinen Entscheidungsdruck. Natürlich ist das Umfeld in den vergangenen Monaten schwieriger geworden. Daher beobachten wir zunächst, wie sich die Wirtschaft weiterentwickelt. Im vergangenen Jahr sind wir deutlich gewachsen, obwohl der Gesamtmarkt geschrumpft ist. Offenbar haben viele eine wertbeständige Marke gesucht. Das kam uns zugute. Im ersten Halbjahr 2015 lag unser Absatz etwa auf Vorjahresniveau, während der Gesamtmarkt deutlich geschrumpft ist. Aber natürlich können wir uns der wirtschaftlichen Tendenz nicht entziehen.

Mercedes hat in Deutschland eine Bereinigung beim kostspieligen eigenen Vertriebsnetz eingeleitet und 63 der 158 Autohäuser zum Verkauf gestellt. 41 sind bereits weg. Wann kommt der Rest?
Die erste Welle liegt bereits hinter uns. Jetzt arbeiten wir an der zweiten Welle. Das Interesse ist groß. Daher sind wir zuversichtlich, dass wir das Gros der verbleibenden Niederlassungen wohl noch im laufenden Jahr verkaufen können.

Im Atomstreit mit dem Iran ist es nach jahrelangen Verhandlungen vor wenigen Tagen endlich zu einer Einigung gekommen. Nun dürften die Sanktionen rasch fallen. Welche Erwartungen haben Sie hier für Ihr Geschäft?
Für Prognosen ist es noch zu früh. Aber es gibt sicherlich einen großen Nachholbedarf im Iran. Wenn das Nuklearabkommen ratifiziert ist, sehen wir daher sowohl bei Nutzfahrzeugen als auch auf der Pkw-Seite große Chancen. Wir müssen dann daran gehen, unser Vertriebsnetz im Iran wieder zu beleben.

Zur Person:



Ola Källenius (46) ist seit 2013 Bereichsvorstand Vertrieb bei Mercedes-Benz Cars. Seit dem 1. Januar gehört er in gleicher Funktion dem Konzernvorstand an. Der Schwede gilt als möglicher Nachfolger von Konzernchef Dieter Zetsch.