Seitdem geht es mit den Preisen wieder nach oben. Jetzt kostet ein 159-Liter-Fass Brent-Öl wieder über 50 US-Dollar, fast eine Verdoppelung zum Februar-Tief. Allerdings hat sich die aktuelle fundamentale Lage nicht bedeutsam verändert, sehr wohl aber die -Erwartung, wie es weitergehen wird. Die Hoffnung auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage ist wieder da. Der Iran hat seine alten Hochs der Fördermengen wieder erreicht. Die amerikanische Ölproduktion geht zurück, zuletzt fiel sie auf den tiefsten Stand seit fast zwei Jahren. Sie liegt damit aber immer noch 30 Prozent über dem Niveau von vor gut zwei Jahrzehnten, als ähnlich wenige Bohrtürme aktiv waren.
Seit Anfang Juni erleben die Aktien der Öldienstleistungsunternehmen eine Renaissance. Das ist eigentlich ein Sektor, der damit zu kämpfen hat, dass es plötzlich zu viel von allem gibt. Zu viele Bohrtürme, zu viele Bohrinseln, zu viel Spezialausrüstung, die nicht mehr benötigt wird. Als Transocean, ein Anbieter von Bohrausrüstung für die Erschließung von Vorkommen in der Tiefsee, Anfang Juni aber überraschend einen Auftrag aus Indien erhielt, um vor der Küste des Subkontinents nach Öl zu bohren, drehte sich die Stimmung. Aus diesem Sektor war man zwei Jahre lang nur Auftragskündigungen gewohnt. Seither gehören in Deutschland unbekannte Aktien wie Helmerich & Payne, Noble oder Nabors Industries zu den Highflyern an der Wall Street. Anleger hoffen, dass auf eine Zeit des Gesundschrumpfens, der Stellenstreichungen und Kosteneinsparungen eine Phase der Stabilisierung und Vorbereitung auf den nächsten Aufschwung im Sektor folgt.
Die OPEC hat ihr Spiel mit den Märkten und Spekulanten mit Schützenhilfe der russischen Regierung clever gespielt. Obwohl Moskau der privatwirtschaftlich organisierten Ölindustrie keine direkten Förderquoten vorschreiben darf, beteiligte sich Russland zusammen mit Saudi-Arabien an einem Spiel, das dazu gedient haben muss, die Spekulanten, die auf einen tieferen Ölpreis wetteten, aus dem Markt zu vertreiben. Immer wieder streuten sie Gerüchte, dass ein baldiges Abkommen über eine Förderkappung weltweit führender Ölproduzentenländer kurz bevorstehen könnte. Das, obwohl klar war, dass dies ohne den Iran nicht funktionieren wird. Teheran war schließlich damit beschäftigt, seine Ölförderung auf die Höhe von vor den Sanktionen hochzufahren. Hätte man die Fördermengen ohne den Iran gekappt, hätte man dem Land widerstandslos Marktanteile geschenkt. Die Gerüchte genügten aber, um eine Wende im Ölpreis herbeizuführen.
Fazit: Viele halten die Ölpreisrally für eine, die sich selbst besiegen könnte. Umso höher die Preise steigen, desto mehr steigt die Wahrscheinlichkeit wieder wachsender Produktion. Das kann schnell gehen: Viele Anlagen kosten Geld, weil sie nicht produzieren, sondern brachliegen. Sie zu reaktivieren ist in kurzer Zeit möglich. Diese Fantasie lockt gerade viele Anleger zurück in die Aktien der Öldienstleister. Diese Entwicklung könnte zwischen 55 und 60 Dollar aber schon wieder dazu führen, dass ein Preishoch beim Brent-Öl ausgebildet wird. Trader sollten in diesem Bereich also engmaschig auf mögliche Wendemuster und Verkaufssignale aus der Charttechnik achten, die derzeit noch nicht zu erkennen sind. Der Aufwärtstrend beim Öl ist intakt.
Jochen Stanzl
Stanzl ist Chefmarktanalyst bei CMC Markets in Frankfurt. Davor war er mehr als 15 Jahre als Finanzmarktanalyst tätig. CMC Markets Frankfurt am Main ist eine Zweigniederlassung der CMC Markets UK Plc mit Sitz in London, einer der weltweit führenden Anbieter von Onlinetrading. Das Angebot von CMC Markets in Deutschland umfasst CFDs (Contracts for -Difference ) auf über 10 000 verschiedene Werte.