In den vergangenen Wochen hatten Kleinanleger mit dem gezielten Kauf von Aktien des US-Videospielehändlers GameStop und anderen Firmen Hedgefonds gezwungen, ihre Wetten auf den Verfall dieser Papiere aufzulösen. "Da ist der größte Albtraum der Fondsmanager wahr geworden", sagt Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade. Viele dieser "Shortseller" seien gezwungen, sich von anderen Investments zu trennen, um ihre Verluste auszugleichen. Das sei einer der Gründe für die jüngste Talfahrt von Dax, Dow Jones & Co.

"Die große Unbekannte ist allerdings noch, wie groß der Gesamtschaden ist", fügt Aslam hinzu. Aus diesem Grund lägen die Volatilitätsindizes, die die Nervosität der Anleger messen, beiderseits des Atlantik auf dem höchsten Stand seit Monaten.

SCHREITEN DIE BEHÖRDEN EIN?


"Wenn Kleinanleger scheinbar koordiniert in großem Stil Aktien kaufen, wirft das die Frage möglicher Marktmanipulationen auf", gibt Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets zu Bedenken. Für institutionelle Anleger seien solche Absprachen ausdrücklich verboten. Nun rückten Soziale Medien in den Blickpunkt. Ausgangspunkt des GameStop-Hypes war Börsianern zufolge das Forum "Wall Street Bets" der Internet-Plattform Reddit. Dort posteten Nutzer: "GameStop ist der Heilige Gral" oder "Wir fliegen immer noch zum Mond... Es ist noch nicht zu spät, zu kaufen".

Die US-Börsenaufsicht SEC prüft nach eigenen Aussagen die Lage. Sie könnte die New Yorker Börse dazu ermuntern, ihre Regularien zu modifizieren, um solche Kursausschläge abzumildern, prognostiziert Marc Adesso, Partner bei der Anwaltskanzlei Saul Ewing Arnstein & Lehr. Sein Kollege Jacob Frenkel von der Kanzlei Dickinson Wright schließt selbst strafrechtliche Ermittlungen nicht aus. An Reddit sind die Behörden allerdings nach Angaben des Unternehmens bislang nicht herangetreten.

UNERWÜNSCHTE NEBENWIRKUNGEN


Begünstigt wird die aktuelle Entwicklung vom Aufstieg günstiger Online-Broker wie Robinhood.com, die es Otto Normalanleger leicht machen, an der Börse mitzumischen. "Wir bewegen uns in einer Welt, in der die kleinen Leute den selben Zugang haben wie Profis", betont Technologie-Investor Chamath Palihapitiya in einem TV-Interview. "Sie kommen dann zum selben Ergebnis oder vielleicht auch zum entgegengesetzten." Statt Kleinanleger stärker zu regulieren, sollte der Staat die Informationspflichten verschärfen, für mehr Transparenz.

Außerdem könnte eine strengere Regulierung das Gefühl der Ungleichzeit an den Finanzmärkten zementieren, warnt Chris Weston, Chef-Analyst des Brokerhauses Pepperstone. "Es ist in Ordnung, Zombie-Firmen durch Notenbank-Aktionen zu stützen, aber wenn Kleinanleger Shortseller aufs Korn nehmen, wird ein Riegel vorgeschoben."

GOLIATH KÖNNTE AM ENDE DOCH NOCH SIEGEN


Dennis Kelleher, Chef der Denkfabrik Better Markets, plädiert aus einem anderen Grund für eine stärkere Regulierung. Online-Brokern verleiteten Verbraucher mit dem Versprechen quasi kostenlosen Handels zu Geschäften, die sie nicht durchschauten. "Das mindert die Integrität des Marktes und gefährdet die einzelnen Investoren."

Auch Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com warnt, dass der Hype um GameStop & Co. wie üblich enden wird. "Einige profitieren, viele verlieren." Wer zur welchen Gruppe gehört, ist aber noch nicht ausgemacht. Viele derjenigen Hedgefonds, die ursprünglich auf den Kursverfall gewettet hätten, seien zwar aus diesen Werten herausgedrängt worden, sagt Ihor Dusaniwsky, Geschäftsführer der Analysefirma S3 Partners. "Neue Shortseller nehmen aber ihren Platz ein."

Vorläufig steht die GameStop-Aktie aber vor erneuten zweistelligen prozentualen Kursgewinnen, obwohl ihr Kurs binnen zwei Wochen bereits um etwa das 18-fache gestiegen ist. Vor diesem Hintergrund schießt am Derivate-Markt die Nachfrage nach "Put"-Optionen in die Höhe. Diese steigen an Wert, wenn das zugrundeliegende Wertpapier verliert. "Spekulanten wetten darauf, dass die aktuelle Blase an irgendeinem Punkt platzt", sagt Randy Frederick, Manager beim Brokerhaus Charles Schwab.

rtr