Die Sorge angesichts der unsicheren Gasversorgung hierzulande wächst. Vor allem die Frage, was passiert, wenn Russland nach geplanter Wartung der Pipeline Nord Stream 1 schon in Kürze gar kein Gas mehr liefern sollte, treibt Deutschland um.

"Allein aus der Dynamik, die jetzt durch die Spekulation um fossile Energien entsteht, droht schon das Abgleiten in eine Rezession", erklärte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwoch bei einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft in München. Es drohe zunächst ein Kaufkraftverlust. Am Ende könne aber auch eine Kreditklemme die ökonomische Kraft des Landes bedrohen. "Der soziale Frieden in Deutschland wird arg herausgefordert und strapaziert", sagte Habeck.

Im Eiltempo wappnet sich die Bundesregierung deshalb in diesen Tagen für einen kompletten Gaslieferstopp sowie die Rettung von Energieversorgern und verschärft die Gesetze für Energiesicherheit. Das Kabinett billigte am Dienstag den Entwurf eines reformierten Energie- sicherungsgesetzes (Ensig), das der Regierung für den Fall einer Verschärfung der Gaskrise zahlreiche Optionen gibt. Es gilt als so gut wie sicher, dass Bundestag und Bundesrat dem am Freitag zustimmen.

Somit würde Gesetz noch vor der geplanten Sperrung der wichtigen Gasleitung Nord Stream 1 beschlossen. Deren Wartung ist von Montag (11. Juli) an für zehn Tage geplant. Allerdings wird befürchtet, dass die Pipeline wegen der Spannungen mit Russland dann nur verzögert geöffnet wird - oder gar nicht mehr.

Um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten, könnten beispielsweise wichtige Unternehmen gegen den Willen einiger Anteilseigner mit Kapital versorgt werden. "Das ist schon ziemlich dicht an Enteignung, was da passiert", so Habeck. Die Drosselung der russischen Gaslieferungen brachte den Versorger Uniper bereits ins Straucheln, sodass er den Staat um Hilfe bat. Die Bundesregierung prüft, wie sie den größten deutschen Gaskonzern unterstützen kann, kolportiert wurden neben Krediten und einem möglichen Einstieg des Bundes auch Hilfen in Milliardenhöhe.

Die Rettungsaktion für Uniper könnte sich am Fall Lufthansa orientieren, die vor zwei Jahren wegen des Geschäftseinbruchs in der Corona-Pandemie mit öffentlichen Milliardenhilfen vor der Pleite bewahrt wurde.

"Sicherlich ein richtiger und wichtiger Schritt, um die Energieversorgung in Deutschland zu sichern", sagte Anlagestratege Jürgen Molnar vom Brokerhaus RoboMarkets. Drehte Russland den Gashahn allerdings komplett ab, stünde das Unternehmen faktisch ohne Produkt da.

Uniper-Aktien stürzten erneut ab und fielen auf ein Sechsjahrestief, nachdem sie bereits zu Wochenbeginn um mehr als ein Viertel eingebrochen waren. Experten fürchten massive Probleme für die Industrie, sollten die bereits gedrosselten Gaslieferungen ganz abreißen. Viele Prozesse in der Produktion kämen zum Erliegen.

Chemieverband besorgt


Vor einem solchen Szenario graut es nicht nur dem Verband der Chemischen Industrie (VCI). Kaum ein Industriezweig ist so stark auf Gas angewiesen wie die Chemie. Aktuell könne die Branche produzieren, sagte VCI-Chef Christian Kullmann, doch die Preise seien "atemberaubend" hoch. Zudem bremsten lange Lieferzeiten, hohe Frachtkosten, Materialengpässe und sinkende Nachfrage infolge der Inflation die Geschäfte. "Vor diesem Hintergrund bekommt der Standort Deutschland zunehmend ein Wettbewerbsproblem", resümiert Kullmann.

Nicht nur das politische Berlin bleibt also in Habachtstellung. Sie rechne mit einer Son- dersitzung zur Gasknappheit, sagte die Parlamentarische Geschäftsführerin Katja Mast (SPD), und rate daher ihren Kolleginnen und Kollegen, auch in der Sommerpause gut erreichbar zu sein: "Wir alle wissen nicht, ob Putin den Gashahn ganz zudreht oder nicht."