Börsianer warteten gespannt auf die Wiedereröffnung der Wall Street nach einem verlängerten Wochenende in den USA, sagte Anlagestratege Jim Reid von der Deutschen Bank. "Das ist eine wichtige Sitzung." Denn dies sei der erste volle Handelstag, an dem Investoren auf die Nachricht reagieren könnten, dass die japanische Beteiligungsfirma Softbank am Terminmarkt mit Milliardenbeträgen auf US-Technologiewerte gesetzt hatte, um Geld aus Anteilsverkäufen vorübergehend anzulegen. Der Future auf den US-Technologieindex Nasdaq fiel um gut drei Prozent. Sein europäisches Pendant büßte ähnlich stark ein. Mit einem Minus von fast vier Prozent war der Chip-Hersteller Infineon Schlusslicht im Dax.
Ein weiterer Belastungsfaktor für die Börse seien die Überlegungen der USA, die Einfuhr chinesischer Baumwolle zu verbieten, sagte Analyst Pierre Veyret vom Brokerhaus ActivTrades. Parallel dazu brachte US-Präsident Donald Trump eine Entkoppelung der beiden weltweit größten Volkswirtschaften wieder ins Gespräch. Dies werde von Investoren aber eher als Wahlkampfgetöse abgetan, sagte Anlagestratege Chris Bailey vom Vermögensberater Raymond James.
PFUND STERLING ERNEUT AUF TALFAHRT
Am Devisenmarkt flog das Pfund Sterling aus zahlreichen Depots. Die britische Währung fiel um jeweils ein knappes Prozent auf 1,3044 Dollar und 1,1053 Euro, da der britische Premierminister Boris Johnson angeblich Teile der Scheidungsvereinbarung mit der EU untergraben will. "Dies hätte zur Folge, dass die gesamte Übereinkunft ungültig würde", warnte Analyst Salah-Eddine Bouhmidi vom Brokerhaus IG. Damit droht zum Jahresende ein ungeordneter Austritt Großbritanniens aus der EU mit wirtschaftlichen Schäden auf beiden Seiten des Ärmelkanals. "Johnson spielt mit dem Feuer und riskiert die Zukunft des Vereinigten Königreichs", sagte Naeem Aslam, Chef-Marktanalyst des Brokerhauses AvaTrade.
Unter Druck stand auch die Währung Russlands, die unter der Diskussion über Sanktionen gegen das Land als Reaktion auf die Vergiftung des Kreml-Kritikers Alexej Nawalny litt. Im Gegenzug stieg der Euro um bis zu 0,7 Prozent auf ein Viereinhalb-Jahres-Hoch von 90,16 Rubel. Ein Baustopp für die Gaspipeline Nord Stream 2 sei unwahrscheinlich, prognostizierten die Analysten der Alfa Bank. "Sanktionen der EU und der USA werden sicher nur ein Klaps auf die Finger sein."
Abwärts ging es für den Ölpreis. Die Sorte Brent aus der Nordsee verbilligte sich um knapp vier Prozent auf 40,43 Dollar je Barrel (159 Liter). Drohende Rückschläge bei der Konjunkturerholung durch steigende Corona-Fallzahlen bereiteten Anlegern Sorge, sagte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. "Die Nachfrage wird wohl nicht so schnell zurückkommen wie erwartet und über den Herbst für weiter fallende Preise sorgen."
ANLEGER FREUEN SICH KÖNIGLICH ÜBER ZAHLEN VON ROYAL MAIL
Bei den Aktienwerten sorgte Royal Mail mit einem Rekord-Kurssprung von fast 22 Prozent für Aufsehen. Sofern ein weiterer Corona-Lockdown ausbleibt, erwartet der britische Ex-Monopolist dank der boomenden Paket-Sparte für das Geschäftsjahr 2020/2021 ein Umsatzplus von umgerechnet bis zu 166 Millionen Euro. Bislang hatte er vor einem Rückgang um bis zu 276 Millionen Euro gewarnt. Damit könnte das Unternehmen statt eines Verlustes von 244 Millionen Euro operativ die Gewinnschwelle erreichen, prognostizierte Analyst David Kerstens von der Investmentbank Jefferies.
Auch DS Smith habe dank des wachsenden Internet-Handels einen ermutigenden Ausblick geliefert, schrieb Analyst Thomas Rands vom Vermögensverwalter Investec. Der Anbieter von Versandkartons stellte auch eine Zwischendividende in Aussicht. Die Aktie gewann in London gut sieben Prozent.
rtr