"Das Zögern der Anleger kann zweierlei gedeutet werden", sagte Analyst Jochen Stanzl vom Online-Broker CMC Markets. "Entweder es gibt kein echtes Kaufinteresse. Dann droht ein neuer Absturz." Oder die Investoren warteten ab, ob die Börsen ihre jüngsten Kursgewinne verteidigen können. In den vergangenen Tagen hatten Dax und EuroStoxx50 jeweils mehr als drei Prozent zugelegt und standen vor dem größten Wochengewinn seit etwa zwei Monaten.
WIE GEHT ES IN ITALIEN WEITER? - NUTZEN DIE EZB-PLÄNE?
Kopfzerbrechen bereitete Investoren die politische Krise in Rom. Dort stehen nach dem Bruch der Koalition Neuwahlen im Herbst an. Experten bezweifeln, dass die neue Regierung ähnlich reformfreudig sein wird wie die des scheidenden Ministerpräsidenten Mario Draghi.
Skeptisch beurteilen sie zudem das neue Kaufprogramm TPI der Europäischen Zentralbank (EZB), das ein Auseinanderdriften der Anleihe-Renditen verhindern soll. Es bleibe unklar, unter welchen Voraussetzungen die Währungshüter einzelnen Euro-Staaten zur Hilfe eilen, gab Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com zu bedenken. "Ironischerweise könnten existierende Kriterien für Hilfen wie eine nachhaltige Haushaltspolitik ausgerechnet diejenigen Staaten ausschließen, die - wie Italien - gestützt werden sollen."
SCHWACHE KONJUNKTURDATEN MACHEN ANLEIHEN ATTRAKTIV
Am Anleihemarkt entspannte sich die Lage dennoch und der Rendite-Anstieg italienischer Papiere fand ein vorläufiges Ende. Der Grund hierfür waren jedoch enttäuschende Konjunkturdaten, die Bonds als "sichere Häfen" wieder attraktiv machten. Zehnjährige Bundesanleihen rentierten mit 1,046 Prozent zeitweise so niedrig wie zuletzt vor eineinhalb Monaten.
Die Einkaufsmanager-Indizes Deutschlands und der Euro-Zone fielen unter die Marke von 50 Punkten, die Wachstum signalisiert. "Das bedeutet, dass Kerneuropa wohl schon in eine Rezession gerutscht ist", sagte Anlagestratege Viraj Patel von Vanda Research. Außerdem sei eine Energiekrise noch nicht abgewendet, auch wenn russisches Gas weiter nach Europa fließe. Der europäische Erdgas-Future, der in den vergangenen Tagen dank der Wiederaufnahme der Lieferungen durch die wichtige Pipeline "Nord Stream 1" insgesamt gut 16 Prozent nachgegeben hatte, stieg um 7,5 Prozent auf 164 Euro je Megawattstunde.
DELIVERY HERO IST FÜR ANLEGER EIN HELD - CECONOMY IM MINUS
Am Aktienmarkt verbuchte Delivery Hero mit einem Plus von zeitweise fast 21 Prozent den größten Kurssprung seit zweieinhalb Jahren. Der Essenslieferant peilt den Angaben zufolge für 2022 eine operative Marge von minus 0,9 bis minus 1,0 statt minus 1,0 bis minus 1,2 Prozent an. Im Windschatten der Delivery Hero-Rally gewannen die Rivalen Deliveroo und Just Eat Takeaway.
Die Papiere von Ceconomy brachen dagegen so stark ein wie noch nie. Sie fielen um gut 25 Prozent auf ein Zwei-Jahres-Tief von 1,94 Euro, nachdem die MediaMarkt/Saturn-Mutter wegen geringerer Kauflaune der Verbraucher seine Jahresziele gesenkt hatte. Die neuen Prognosen lägen unter den Markterwartungen, kommentierte Analyst Volker Bosse von der Baader Helvea Bank. Außerdem stünden sie unter dem Vorbehalt, dass die Folgen des Ukraine-Krieges und der Pandemie die Konjunktur nicht weiter belasteten.
rtr