von Axel Retz
Erfreulich: Bei Sendungen, die weit mehr als die vom Gerät benötigte und daher ins Stromnetz einspeisbare Energie erzeugen, ist es den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in vor zehn Jahren noch unvorstellbarem Tempo gelungen, zu den Privatsendern aufzuschließen.
Der statistische Durchschnittsdeutsche verbringt tagtäglich 201 Minuten vor dem TV-Gerät, wobei die Allermeisten unumwunden zugeben, "ohne" gar nicht mehr leben zu können. Und was dieses Leben betrifft, habe ich anlässlich meines heutigen Geburtstags einmal nachgerechnet: Bei 201 Minuten täglich kommt besagter Durchschnittsdeutscher im Jahr auf 50,948 ganze Tage TV-Konsum. Zu Ende gedacht bedeutet dass, dass Sie im Alter von 70 Jahren und knapp zwei Monaten mit Fug und Recht stolz darauf sein können, zehn Jahre Ihrer Lebenszeit vor dem Fernsehgerät verbracht zu haben. Diese zehn Jahre habe ich mir und meinen Lieben geschenkt.
Wirklich gefährlich wird die Sache natürlich, wenn man sich daran gewöhnt hat zu glauben, dass das, was einem da an Nachrichten aufgetischt wird, deswegen auch so sei. Nehmen wir einmal die Mär der überwundenen Eurokrise oder die des Aufschwungs. Wie kann irgendjemand (im wahrsten Wortsinne sehenden Auges) tatsächlich glauben, dass die Eurokrise überwunden sei, wenn ein "finalen" Rettungspaket vom nächsten, noch größeren gejagt wird, dem dann ein noch gewaltigeres, dann ein gigantisches und schließlich (EZB) ein unbegrenztes folgen muss? Jeder, der noch über einen Rest gesunden Menschenverstandes verfügt, kann daraus nur folgern, dass die Probleme wohl zu- statt abgenommen haben müssen. Warum behaupten Medien und Politik das Gegenteil? Und: Wenn Portugal mit 100 Prozent Schuldenquote (aufs BIP bezogen) unter den Rettungsschirm schlüpft und ihn mit 125 Prozent Schuldenquote wieder verlässt, ist das dann ein Erfolg? Und wenn bei den Wahlen am Sonntag ein Fünftel der EU-Bürger gegen Europa oder den Euro auf die Barrikaden geht, ist das ein Erfolg?
Wenn die Jugendarbeitslosenquote Griechenlands und Spaniens bei knapp 60 Prozent liegt, die Gesamtverschuldung der Euro-Länder einfach nicht fallen will, ein Drittel aller Deutschen und 40,2 Prozent der EU-Bürger weniger als 940 Euro auf der hohen Kante haben, 8,2 Prozent aller Deutschen sich aus finanziellen Gründen nicht einmal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch oder Fisch leisten können, und der Zustrom zu den "Tafeln" immer größer wird, ist das ein Erfolg?
Last but not least: Das, was uns heute als sensationell niedrige Arbeitslosenquote verkauft wird, bedeutet für rund ein Viertel der heutigen Arbeitnehmer den arbeitsmarktpolitisch unter Altkanzler Schröder beschlossenen, sicheren Weg ins Prekariat und die Altersarmut, dessen Kosten unseren Nachfahren aufgebürdet werden. Als ob die mit der finanziellen Entschärfung der demographischen Bombe nicht schon genug am Hals hätten. Schalten Sie heute Abend einmal Ihr TV an oder lesen Sie Ihre Tageszeitung bis hin zur FAZ oder der SZ. Da ist die Welt wenigstens noch in Ordnung. Würden zumindest die politisch und geldpolitisch Verantwortlichen einige ihrer zehn TV-Lebensjahre an der Lösung der Probleme arbeiten statt sich allabendlich ihre Nichtexistenz bestätigen zu lassen, wären wir ein gutes Stück weiter.
Auf Seite 2: DAX, MDAX, TecDAX: Gefährliche Kür der Bullen
DAX, MDAX, TecDAX: Gefährliche Kür der Bullen
Neue Rekordmarken sind natürlich immer gut. Und sie locken Anleger an wie der Honigstreifen die Fliegen. Theoretisch zumindest. Was die Praxis betrifft, besteht da aktuell wohl noch Nachholbedarf. Die Umsätze der vergangenen Woche waren sogar ausgesprochen schwach. Das lässt sich aber durchaus auch positiv sehen: Denn zumindest gab es im Vorfeld der Wahlen zum Europa-Parlament und in der Ukraine keine Fluchtverkäufe.
Quelle: www.private-profits.de
Charttechnisch betrachtet, gibt es am DAX auch nichts zu bemäkeln. Der Aufwärtstrend ist intakt und der nächste ernst zu nehmende Widerstand wartet erst bei 10.500 bzw. - je nach Zeitverlauf - 10.600 Punkten. Nur: Momentum und RSI, also zwei ganz altbewährte Indikatoren, signalisieren Gefahr. Der RSI hat sogar bereits ein Verkaufssignal gegeben. Das gleiche Bild zeigt sich übrigens auch bei MDADX und TecDAX, wie Sie hier sehen:
Quelle: www.private-profits.de
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Und noch etwas sollte uns zu denken geben: Die sgn. Advance-Decline-Linie (berechnet aus der kumulierten Differenz zwischen der Anzahl gestiegener und der Anzahl gefallener Aktien) bestätigt das neue Hoch des DAX so ganz und gar nicht.
Quelle: www.private-profits.de
Der Chart zeigt uns aber noch erheblich Wichtigeres: Gemessen an der Marktbreite, war die Hausse exakt bis zum Beginn der Subprime-Krise im Juli 2007 völlig intakt. Alles, was wir vom perfekt angezeigten Märztief 2009 aus gesehen haben, war nur noch ein blasser Abklatsch dieser Hausse. D. h:: Immer weniger immer stärker steigende Aktien ziehen die Indizes nach oben, während der breite Markt abgeschlagen hinterherhinkt bzw. längst den Rückwärtsgang eingelegt hat. Aus der Perspektive der Marktbreite heraus betrachtet, wäre das provokative Statement, das wir es hier nicht mit einer Hausse, sondern mit einer verdeckten Baisse zu tun haben, nicht einmal so falsch. Dem Anleger nutzt diese Erkenntnis natürlich herzlich wenig, solange seine evtl. gekauften Puts dahinschmelzen wie die Qualle in der Sonne. Aber bis haben wir ja noch keine Verkaufssignale. Das könnte sich aber rasch ändern.
Auf Seite 3: Topp-Indikator erneut abwärts
Topp-Indikator erneut abwärts
Diesen Indikator hier kennen Sie schon. In den letzten 14 Jahren, um mal mit der Jahrtausendwende zu beginnen, war er der Beste von allen, da er alle wichtigen Trendwenden der Wall Street einfach optimal einfing.
Nach dem bereits erfolgten Abwärtsdreh ging es hier nun erneut ein Stückchen weiter nach unten. Und damit ähnelt diese Wende stark den Abwärtsdrehs von 2000 und 2007. Auch in diesen beiden Fällen hatte die Wall Street zuvor neue Allzeithochs erreicht, danach aber hatten gewaltige Abwärtsbewegungen eingesetzt, Natürlich muss sich das heute nicht wiederholen. "Müssen" tut die Börse gar nichts. Heute ist es das Totschlagargument des billigen Notenbankgeldes, aus dem die Anleger eine historisch unvergleichbare Haussedynamik ableiten. 2000 war es die vermeintliche "New" Economy und 2007 der scheinbar grenzenlos wachsende US-Immobilienmarkt. Begründen lässt sich der Fortgang der Hausse immer. Die Überzeugung, dass eine Aufwärtsbewegung diesmal im Gegensatz zu allen ihren Vorgängern ewig anhalten wird, ist jedoch nichts Anderes als die psychologische Grundvoraussetzung einer Trendwende. Und daher gehören unter alle Positionen enge Stopps! Denn wenn die Wall Street der Wende der Nachfrage nach Börsenkrediten auch diesmal folgt, dürfte es nicht bei einer kleinen Korrektur bleiben!
Viel Erfolg und beste Grüße
Axel Retz
Axel Retz ist seit über 25 Jahren als Chefredakteur von Börsenmagazinen und Börsendiensten tätig und betreibt das Portal www.private-profits.de.
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