"Dass sofort verfügbares Öl nur noch kostenlos oder sogar mit einer Entschädigungszahlung loszuschlagen ist, spricht Bände." Dax und EuroStoxx50 rutschten am Dienstag um jeweils gut drei Prozent auf 10.335 beziehungsweise 2820 Punkte ab. Der im Tagesverlauf auslaufende Mai-Kontrakt auf die US-Ölsorte WTI notierte bei minus 4,43 Dollar je Barrel (159 Liter), nachdem sein Preis am Montag erstmals in den negativen Bereich und auf minus 40,32 Dollar gerutscht war. Verkäufer legten also Geld drauf, damit ihnen jemand den Future abnimmt. "Dabei darf man nicht vergessen, dass es sich um einen physischen Kontrakt handelt", erläuterte Neil Wilson, Chef-Analyst des Online-Brokers Markets.com. "Wer ihn bei dessen Ablauf hält, muss das Rohöl annehmen." Wegen der Restriktionen zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie ist die Energienachfrage binnen weniger Wochen um rund ein Drittel oder etwa 30 Millionen Barrel pro Tag eingebrochen. "Die jüngste Einigung auf eine Drosselung der Fördermengen wird an dem weltweiten Überangebot kurzfristig nichts ändern", konstatierten die Analysten des Research-Hauses JBC Energy. Die Staatengruppe Opec+, zu der neben den Mitgliedern des Exportkartells weitere Förderländer wie Russland gehören, hatte eine Reduzierung um knapp zehn Millionen Barrel pro Tag vereinbart. "Es ist inzwischen nur die Frage, wann - und nicht ob - die Lagerkapazitäten komplett erschöpft sein werden", sagte Ulas Akincilar, Chef-Händler des Online-Brokers Infinox. DROHENDE ANSTECKUNGSEFFEKTE AUF ANDERE ÖL-FUTURES Im Sog des Mai-Kontraktes fiel der WTI-Juni-Future um mehr als 40 Prozent auf ein 21-Jahres-Tief von plus 11,79 Dollar. Angesichts der trüben Absatzaussichten sei nicht ausgeschlossen, dass auch dieser Kontrakt demnächst ins Minus rutscht, warnte Anlagestratege Michael Hewson vom Brokerhaus CMC Markets. Investoren sollten außerdem den zum Monatsende auslaufenden Future auf die Ölsorte Brent aus der Nordsee sehr genau im Auge behalten, sagte Markets.com-Experte Wilson. Der Preis des Kontrakts fiel am Dienstag zeitweise um knapp 30 Prozent auf ein 18-Jahres-Tief von 18,10 Dollar. Am Aktienmarkt litten vor allem die Ölwerte unter dem WTI-Preiscrash. Der Index für die europäische Öl- und Gasbranche fiel um knapp fünf Prozent. In den USA rutschten die Aktien von Exxon und Chevron vorbörslich um jeweils etwa 3,5 Prozent ab. US-Schieferölförderer wie Marathon, Occidental und Apache verloren bis zu fünf Prozent. Sie benötigen wegen des aufwendigen Fracking-Verfahrens Experten zufolge einen Ölpreis von etwa 50 Dollar, um profitabel zu arbeiten. Abwärts ging es auch an den Börsen von Erdöl-Exportländern wie Saudi-Arabien, Dubai und Russland. Die Indizes gaben bis zu 5,6 Prozent nach. "SICHERE HÄFEN" GEFRAGT - DOLLAR UND BONDS IM AUFWIND Vor diesem Hintergrund flüchteten Anleger wieder verstärkt in die Weltleitwährung. Der Dollar-Index, der den Kurs zu wichtigen Währungen widerspiegelt, stieg um 0,4 Prozent auf 100,344 Punkte. Im Gegenzug verbilligte sich der Euro um 0,3 Prozent auf 1,0832 Dollar. Noch härter traf es die Währungen von Ölförderländern wie die Norwegische Krone, den russischen Rubel und den Kanadischen Dollar. Sie werteten bis zu zwei Prozent ab. Gefragt waren dagegen Staatsanleihen aus den USA und Deutschland. Dies drückte die Rendite der zehnjährigen T-Bonds auf 0,552 von plus 0,626 Prozent und diejenige der entsprechenden Bundestitel auf minus 0,501 von minus 0,446 Prozent. ITALIENISCHE ANLEIHEN UNTER DRUCK - SAP IM BLICK Italienische Papiere flogen dagegen aus den Depots, wodurch die Rendite der zehnjährigen Bonds erstmals seit fünf Wochen wieder die Marke von zwei Prozent übersprang. Vor dem EU-Gipfel zur Virus-Krise steige die Anspannung der Investoren, sagten Börsianer. Sie befürchteten, dass es wieder keine Einigung auf gemeinsame Corona-Bonds geben werde, die von der Pandemie besonders betroffenen Staaten wie Italien helfen sollen. Bei den deutschen Aktienwerten stand SAP im Rampenlicht. Der Software-Konzern gibt nach nur einem halben Jahr seine Doppelspitze auf. Analyst Julian Serafini von der Investmentbank Jefferies wies darauf hin, dass mit Jennifer Morgan eine Expertin für das Cloud-Geschäft gehe, das für SAP immer wichtiger werde. Die Aktie des Konzerns fielen um gut drei Prozent auf 110,26 Euro.

dpa-AFX