Dank der Europäischen Zentralbank (EZB) hat der DAX am Donnerstag erstmals die Marke von 10 000 Punkten geknackt. Die weitere Lockerung der europäischen Geldpolitik trieb den deutschen Leitindex bis auf 10 013 Punkte und damit den höchsten Stand seiner fast 26-jährigen Geschichte. Hier ging ihm aber erst einmal die Kraft aus: Zum Handelsende stand bei 9947,83 Punkten noch ein Plus von 0,21 Prozent zu Buche.

Bei den anderen Aktienindizes war die Entwicklung weniger spektakulär. Der MDAX, der die Aktien mittelgroßer Unternehmen enthält, ging 0,46 Prozent höher bei 16 942,00 Punkten aus dem Handel. Zuvor war er nur rund 70 Punkte unter seiner Bestmarke vom Monatsanfang geblieben. Der TecDAX schloss 0,22 Prozent fester bei 1304,54 Punkten und damit auf dem höchsten Stand seit dem Jahr 2001.

GEBÜHR AUF EZB-BANKGUTHABEN SOLL KREDITVERGABE AUF DIE SPRÜNGE HELFEN

Für den Eurozonen-Leitindex EuroSTOXX 50 ging es um 0,90 Prozent auf 3267,05 Punkte hoch. Die nationalen Indizes in Paris und London fanden keine gemeinsame Richtung. In New York notierte der US-Leitindex Dow Jones Industrial (Dow Jones) zum europäischen Börsenschluss mit moderaten Gewinnen ähnlich wie der Dax auf Rekordniveau.

Zuvor hatte die EZB im Kampf gegen die Mini-Inflation ihre bereits expansive Geldpolitik noch weiter gelockert: Nicht nur sinken die Leitzinsen auf neue Tiefstände, inklusive einer Gebühr auf EZB-Bankguthaben. Darüber hinaus wollen die Währungshüter die schwache Kreditvergabe vor allem in den südlichen Euroländern mit neuen Milliardenspritzen anschieben. Volkswirt Ralf Umlauf von der Helaba sagte: "EZB-Präsident Mario Draghi hält mit seinen Aussagen die Erwartungen am Leben, dass die EZB auch weiterhin handlungsbereit und -fähig bleibt, obwohl die EZB bezüglich der Zinspolitik wohl das Ende erreicht hat."

FANTASIE TREIBT Commerzbank - DEUTSCHE BANK SEHR SCHWACH

Finanzwerte avancierten vorübergehend europaweit zu den Favoriten der Anleger, kamen dann mit dem Markt aber wieder etwas zurück. Die Commerzbank profitierte nicht nur von den zusätzlichen Liquiditätsmaßnahmen der Währungshüter, sondern auch von neuen Übernahmefantasien. Einem Bericht zufolge prüft sowohl die französische Bank Societe Generale (Société Générale SA) als auch die spanische Santander ein Bündnis mit dem Institut. Mit plus 3,19 Prozent eroberten die Commerzbank-Aktien die Dax-Spitze.

Dagegen büßten die Titel von Schlusslicht Deutsche Bank 3,84 Prozent ein. Der hiesige Branchenprimus muss noch die Details einer Kapitalerhöhung verdauen. Die neuen Aktien kommen zu 22,50 Euro je Stück auf den Markt, was einen Preisnachlass von rund einem Viertel gegenüber dem jüngsten Kursniveau entspricht.

TELEKOM MACHT FORTSCHRITTE BEI VERKAUF VON T-Mobile US

Bei der Deutschen Telekom sorgte ein Medienbericht über Fortschritte beim angestrebten Verkauf von T-Mobile US für Kursgewinne von 0,64 Prozent. Die Bonner und der US-Konzern Sprint stehen demnach kurz vor einer Einigung. Anleger sollten aber die ausstehende Zustimmung der Wettbewerbshüter nicht vergessen, mahnte ein Händler.

Am deutschen Rentenmarkt stieg die durchschnittliche Rendite börsennotierter Bundeswertpapiere von 1,13 Prozent am Vortag auf 1,15 Prozent. Der Rentenindex Rex fiel um 0,19 Prozent auf 135,61 Punkte. Der Bund-Future gewann 0,30 Prozent auf 146,30 Punkte. Der Kurs des Euro lag bei 1,3617 US-Dollar. Zuvor hatte die EZB den Referenzkurs auf 1,3567 (Mittwoch: 1,3627) Dollar festgesetzt, der Dollar kostete damit 0,7371 (0,7338) Euro.

dpa-AFX

Auf Seite 2: Erste Reaktionen auf die EZB-Zinssenkung aus Politik und Wirtschaft

Hier erste Reaktionen:


Ökonomen und Finanzpolitiker sagten in ersten Reaktionen:

HANS-WERNER SINN, IFO-PRÄSIDENT:

"Das ist der verzweifelte Versuch, mit noch billigerem Geld und Strafzinsen auf Einlagen die Kapitalströme nach Südeuropa umzuleiten und so dort die Wirtschaft anzukurbeln. Das kann deshalb nicht funktionieren, weil dort vorher die Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden müsste durch Reformen des Arbeitsmarktes. Die Zeche zahlen jetzt alle jene, die Geld langfristig anlegen, also die Sparer und die Besitzer von Lebensversicherungen."

GEORG FAHRENSCHON, SPARKASSEN-PRÄSIDENT:

"Die Zentralbank erzeugt zunehmend gefährliche Nebenwirkungen. Statt der erhofften Impulse für die Wirtschaft in den Krisenländern werden durch die erneute Zinssenkung die Sparer in ganz Europa weiter verunsichert und Vermögenswerte zerstört. Mit ihren Maßnahmen macht die EZB die Finanzmärkte auch nicht stabiler. Im Gegenteil, das überreichliche Geld quillt schon jetzt aus allen Ritzen und sucht sich immer riskantere Anlagemöglichkeiten. Gleichzeitig belasten die dauerhaft niedrigen Zinsen zunehmend das Geschäft der realwirtschaftlich orientierten und stabilen Kreditinstitute. Die daraus entstehenden Gefahren muss die Zentralbank stärker berücksichtigen."

MICHAEL FUCHS, VIZE-CHEF DER CDU/CSU-BUNDESTAGSFRAKTION:

"Ich sehe erhebliche Risiken durch die Niedrigzinspolitik und die vergleichsweise üppige Geldversorgung durch die EZB. Der Druck der Märkte auf Reformen und Einsparungen gerade in den EU-Krisenländern schwindet. Darüber hinaus gefährden Niedrigzinsen in der gesamten EU die Bereitschaft zum Sparen und zur Altersvorsorge in der Bevölkerung."

CARSTEN BRZESKI, VOLKSWIRT ING BANK:

"Die EZB hat völliges Neuland betreten, in ihrer Mission, die Wirtschaft in der Euro-Zone zu unterstützen. Wird das die Wirtschaft anschieben? Wahrscheinlich nicht, aber es zeigt zumindest die Entschlossenheit der EZB und ihre Handlungsmöglichkeiten."

MARTIN WANSLEBEN, DIHK-HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER:

"Die Zinssenkung ist nachvollziehbar, aber mit großen Risiken verbunden. Angesichts der aktuell niedrigen Inflation musste die EZB handeln. Und sie hat die Entscheidung mit frühzeitigen Andeutungen auch klug vorbereitet. Ebenso klug müssen die Regierungen in der Euro-Zone jetzt agieren und den geldpolitischen Spielraum für weitere Anstrengungen bei den Strukturreformen nutzen. Denn die Niedrigzinsphase darf nicht ewig anhalten. Sie erhöht sonst das Risiko neuer Blasen an den Finanzmärkten."

SVEN GIEGOLD, MITGLIED DES EUROPAPARLAMENTS (GRÜNE):

"Die Geldpolitik handelt, während die Fiskalpolitik außer einseitiger Sparorgien nichts zuwege bringt. Damit werden die Mitgliedstaaten ihrer Verantwortung nicht gerecht. Ich bin sehr froh, dass wir mit der EZB eine europäische Institution haben, auf die Verlass ist. Menschen, die leichtfertig von Enteignung der Sparer reden, sollten sich vor Augen führen, welches Elend im letzten Jahrhundert durch Deflation ausgelöst wurde."

ALEXANDER ERDLAND, PRÄSIDENT DES VERSICHERUNGSVERBANDS GDV:

"Der Schritt der EZB markiert eine neue Eskalationsstufe. Damit wird das Niedrigzinsniveau weiter verfestigt, zulasten der Vorsorgesparer in Deutschland. Ihre Sparanstrengungen werden durch die EZB untergraben. Deshalb sind wir in Sorge. Ökonomisch ist die Maßnahme genau das falsche Rezept. Denn die niedrigen Zinsen lösen kaum noch Wachstumsimpulse aus. Viel wichtiger wäre die Fortsetzung der Strukturreformen zur Wiedergewinnung der Wettbewerbsfähigkeit. Die Politik des billigen Geldes wird zum Irrweg."

OTMAR LANG, CHEFVOLKSWIRT TARGOBANK:

"Auch wenn sich die konkreten Auswirkungen für private Sparer stark in Grenzen halten werden, ist die Strategie der EZB aus mehreren Gründen kritisch zu sehen. Zum einen nimmt die Niedrigzinspolitik immer extremere Formen an, obwohl schon die bisherigen Maßnahmen keinen wirklich durchgreifenden Erfolg zeigten. Eines ihrer wichtigsten Ziele, nämlich die Banken zu einer großzügigeren Kreditvergabe an die Wirtschaft zu bewegen, hat die EZB bislang nicht erreicht. Zum anderen erreichen die europäischen Aktienmärkte - insbesondere der DAX - befeuert durch die niedrigen Zinsen Woche für Woche neue Höchststände. Diese Entwicklung ist jedoch nicht durch die konjunkturelle Entwicklung in Europa unterlegt. Insbesondere für europäische Aktien sehe ich daher die Gefahr für eine Blasenbildung.

Last but not least existiert derzeit auch keine wirkliche Deflationsgefahr, die extreme Maßnahmen rechtfertigen würde. Die heutige Entscheidung der EZB geht daher zu weit."

ULRICH WORTBERG, ANALYST HELABA

"Die EZB hat die Markterwartungen mit der Zinssenkung erst einmal erfüllt. Große Überraschungen gab es nicht, von daher wundert es mich, dass der Euro jetzt nachgibt. Nun richtet sich die Aufmerksamkeit auf die Pressekonferenz mit EZB-Chef Mario Draghi, da wird sicherlich noch einiges kommen."

ULRICH LEUCHTMANN, DEVISENSTRATEGE COMMERZBANK

"Die Zinssenkung war keine Überraschung. Aber es gibt den Hinweis der EZB, dass noch mehr kommt. Der Markt setzt offensichtlich darauf, dass eine starke Liquiditätsmaßnahme in hohem Umfang kommen könnte oder eine deutliche Andeutung, dass es QE durch die EZB geben könnte - deshalb fällt der Euro. Ich empfinde das allerdings als mutig, denn es könnten ja auch lediglich relativ schwache Maßnahmen verkündet werden."

MARCEL FRATZSCHER, PRÄSIDENT DES DEUTSCHEN INSTITUTS FÜR WIRTSCHAFTSFORSCHUNG:

"Für sich betrachtet sind die Zinssenkungen und der negative Einlagezins eher symbolische Maßnahmen: Sie werden weder die Kreditvergabe in den Krisenländern maßgeblich verbessern noch das Deflationsrisiko deutlich mindern. Ich interpretiere sie aber als Startsignal und Anfang einer neuen EZB-Strategie einer stärkeren geldpolitischen Expansion. Als erste Schritte in einer Reihe von weiteren Maßnahmen in den kommenden Monaten sind sie bedeutungsvoll.

Die EZB-Maßnahmen bergen große Risiken: Sie könnten die Blasenbildung und das riskante Verhalten von Banken noch verstärken. Allerdings wäre es noch riskanter und eine deutlich schlechtere Option, wenn die EZB nichts täte.

MICHAEL KEMMER, HAUPTGESCHÄFTSFÜHRER DES BANKENVERBANDES:

"Ein negativer Zins auf die Einlagen der Geschäftsbanken bei der EZB wird kaum zur gewünschten Belebung der Kreditvergabe und des Interbankenmarktes führen. An Liquidität zur Kreditvergabe mangelt es im Eurosystem nicht. Es sind eher überschuldete Unternehmen beziehungsweise hohe Kreditrisiken, die in den Peripherieländern eine Ausweitung der Kreditvergabe verhindern.

Die Banken werden daher vermutlich entweder ihre Überschussliquidität weiter abbauen oder lieber Verluste durch den negativen Einlagenzins in Kauf nehmen, als zu hohe Risiken an anderer Stelle einzugehen - etwa durch zusätzliche Interbankenkredite."

HOLGER SANDTE, EUROPA-CHEFANALYST NORDEA:

"Mit den Zinssenkungen hat die EZB meine Erwartungen erfüllt. Vermutlich werden auf der Pressekonferenz weitere Maßnahmen bekanntgegeben, die auf eine stärkere Kreditvergabe der Banken abzielen. Wunderwirkungen sollte man allerdings von all dem nicht erwarten. Interessant wird werden, wie sich (EZB-Chef Mario) Draghi zum 'starken Euro' äußert und wie weit offen die Tür für weitere Maßnahmen bleibt."

JÖRG KRÄMER, CHEFVOLKSWIRT COMMERZBANK:

"Die EZB hat ihren Hauptrefinanzierungssatz nur um 10 Basispunkte auf 0,15 Prozent gesenkt und nicht wie von den meisten Beobachtern erwartet um 15 Basispunkte. Wenn die EZB ihre Politik in den kommenden Monaten noch einmal lockern wollte, könnte sie ihre Leitzinsen also noch einmal senken und müsste nicht direkt zum Hammer der Staatsanleihenkäufe greifen.

Der negative Einlagenzins führt nicht dazu, dass die Banken in den Krisenländern mehr Kredite an die Unternehmen ausreichen. Denn die Banken leiden nicht unter vermeintlich zu hohen Notenbankzinsen, sondern unter dem hohen Bestand fauler Kredite, an dem Negativzinsen nichts ändern. Die wahren Nutznießer des negativen Leitzinses sind die Finanzminister der hoch verschuldeten Krisenländer."

JÖRG ZEUNER, KFW-CHEFVOLKSWIRT :

"Die Zinssenkung von heute gibt wenig neue Impulse für richtiges Wachstum. Die EZB muss daher vielleicht sogar noch mehr tun.

Für die Sparer ändert sich mit dem heutigen Schritt wenig. Die wichtigste Einkommensquelle für die überwältigende Mehrheit aller Europäer ist ohnehin das Gehalt, der Lohn oder die beitragsfinanzierte Rente. Das alles steigt nur, wenn die Wirtschaft wächst. Dann steigen auch die Zinsen an den Finanzmärkten - übrigens auch ohne die EZB - wieder, denn es wird mehr investiert und die Nachfrage nach Kredit steigt. Wie wir das schaffen, darüber sollten wir derzeit vor allem nachdenken."

Reuters