Bayer-Chef Werner Baumann dürfte als Trendsetter in die DAX-Geschichte eingehen. Er ist der erste amtierende Konzernchef in der Börsen-Oberliga, dem die Aktionäre vorige Woche wegen des Monsanto--Kaufs das Vertrauen entzogen haben. Nur 44,5 Prozent stimmten für Baumanns Entlastung.

Das Bayer-Beispiel macht bereits Schule - nicht in Deutschland, sondern in der Schweiz: Am Donnerstag verweigerten die UBS-Aktionäre der Konzernführung unter Bankchef Sergio Ermotti und dem Verwaltungsrat um Ex-Bundesbank-Chef Axel Weber die Entlastung. Nur 41,7 Prozent stimmten dafür. Grund für die Schlappe ist der milliardenschwere Steuerrechtsstreit der Großbank in Frankreich. Die Nichtentlastung soll späteren Haftungsklagen den Weg bereiten.

"Wir sehen hier den Beginn einer neuen Ära", ordnet Marc Tüngler die historischen Abstimmungsniederlagen ein. Der Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW ist sich sicher: "Wir werden künftig noch intensivere Auseinandersetzungen zu sehen bekommen. Bayer war erst der Anfang."

Tatsächlich gehen die Aktionäre immer strenger mit den Konzernführungen ins Gericht. Gleichzeitig stehen Großkonzerne wie Bayer, Deutsche Bank, Volkswagen oder Daimler heute auch vor wesentlich komplexeren Problemen als noch vor wenigen Jahren. Vorbei sind die Zeiten, in denen Zustimmungsquoten von unter 95 Prozent schon als schallende Ohrfeige galten. Eine Klatsche wie bei Bayer dürfte sich zwar zumindest in der aktuellen DAX-Berichtssaison noch nicht wiederholen, doch die Zeit der Zustimmungsquoten von 99 Prozent ist definitiv vorbei. Künftig werden 80 bis 90 Prozent normal sein, sagt Tüngler.

Das hat auch der neue Munich--Re-Aufsichtsratschef Nikolaus von Bomhard beim Aktionärstreffen am Dienstag zu spüren bekommen. Nur 85 Prozent der Stimmen erhielt er bei seiner Wahl in das Gremium. Die Anteilseigner störten sich vor al- lem an der Ämterhäufung: Der 62-Jährige ist unter anderem auch Aufsichtsratschef bei der Deutschen Post. Die Munich Re hatte schon vor zwei Jahren die schärfere Gang-art der Aktionäre zu spüren bekommen. Ein Routinebeschluss zu einer Kapitalerhöhung drohte zu scheitern und musste in letzter Minute abgeändert werden.

Elliott und Co machen Druck


Befeuert wird der Trend vom zunehmenden Einfluss sogenannter Stimmrechtsberater wie ISS, Glass Lewis oder Ivox, die den großen institutionellen Investoren Empfehlungen für ihr Abstimmungsverhalten geben. So haben ISS und Glass -Lewis auch bei Bayer ihren Kunden empfohlen, dem Vorstand die Entlastung zu verweigern.

Aber auch der Einfluss aktivistischer Aktionäre nimmt zu. Eine Schlüsselrolle bei den großen deutschen Konzernen spielt inzwischen der Hedgefonds Elliott des US-Investors Paul Singer, der bereits bei Thyssenkrupp, beim Energiekonzern Uniper und beim Anlagenbauer Gea für Feuer unterm Dach sorgt. Auch bei Bayer soll er inzwischen mit im Boot sitzen.

Ende April ist der Fonds überraschend beim größten europäischen Softwarekonzern SAP eingestiegen. Die Beteiligung hat nach Elliott-Angaben einen Wert von 1,2 Milliarden Euro. Was er dort genau im Schilde führt, ist unklar. Man unterstütze die SAP-Strategie in vollem Umfang, erklärte Elliott zu seinem Einstieg - und verhalf der Aktie zusammen mit guten Quartalszahlen zu einem kräftigen Sprung. Dennoch tobt in dem Konzern derzeit ein Stra-tegiestreit. Zwei Vorstände und eine Reihe von Führungskräften haben das Unternehmen innerhalb kurzer Zeit verlassen.

SAP lädt am 15. Mai zum Aktionärstreffen. Besonders spannend dürfte es auch bei Daimler am 22. Mai in Berlin werden. Es wird die Abschiedsvorstellung für den langjährigen Vorstandschef Dieter Zetsche, der nach einer Abkühlphase von zwei Jahren den Aufsichtsratsvorsitz übernehmen soll.

Auf Seite 2: Nachgehakt bei Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW



"Aktionäre greifen durch"


Nachgehakt bei Marc Tüngler. Der Hauptgeschäftsführer der Aktionärsvereinigung DSW sieht den Beginn einer neuen Hauptversammlungs-Ära. Auch die Daimler-Führung sitze auf einem Pulverfass. BÖRSE ONLINE: Rechnen Sie nach dem Bayer-Debakel mit ähnlichen Schlappen bei anderen DAX-Konzernen?
MARC TÜNGLER: Bei Bayer haben sich alle die Augen gerieben, weil eine Nichtentlastung angesichts der Aktionärsstruktur kaum möglich erschien. Das könnte sich durchaus öfter wiederholen, aber wohl noch nicht in der aktuellen Saison.

Wohin führt dieser Trend?
Wir sehen den Beginn einer neuen Ära. Die Aktionäre greifen härter durch, wie es sich die Regulierer auch wünschen. Die Konzerne müssen offener kommunizieren und Anteilseigner stärker einbeziehen. Ich wage mal eine Behauptung: Hätte man die Bayer-Aktionäre vor zwei Jahren zu Mon-santo gefragt, hätten sie dem Deal mit großer Mehrheit zugestimmt.

... und stünden jetzt selbst mit am Pranger?
Das wäre eine Befürchtung, dass man in eine Art "Versagensspirale" geraten könnte: von den Vorständen über die Aufsichtsräte zu den Aktionären und am Ende zu den Regulierern. Dennoch halte ich den Trend insgesamt für sehr positiv. Die Aktionäre werden sich an diese neue Rolle aber erst noch gewöhnen müssen.

Was erwarten Sie von den nächsten großen Aktionärstreffen?
Lufthansa könnte turbulent werden. Bei VW steht bereits die Frage nach dem richtigen Antriebskonzept auf der Agenda, während Daimler noch mitten im Diesel- und Kartellskandal steckt. Die sitzen auf einem Pulverfass. Richtig spannend wird es bei SAP nach dem Elliott-Einstieg. Bei der Deutschen Bank sehe ich nach dem Scheitern der Fusion eher Entspannung. Die Aktionäre sind froh, dass ihnen die Fusion erspart geblieben ist. Eine Strategiediskussion erwarte ich dennoch.