Linde plant den Rückzug der Linde-Aktie aus Frankfurt - was das für den Börsenplatz Frankfurt, für den Dax und für Privatanleger bedeutet. Von Wolfgang Ehrensberger

Vier Jahre nach der Fusion mit dem US-Konkurrenten Praxair will sich der deutsche Traditionskonzern Linde von der Frankfurter Börse zurückziehen. Die Aktien sollen künftig nur noch in New York gehandelt werden, teilte das Unternehmen mit. Damit könnte die Frankfurter Börse ihren wertvollsten Konzern mit einer Marktkapitalisierung von 144 Milliarden Euro verlieren. Linde fiele zudem auch aus dem Leitindex DAX heraus. Als potenzielle Nachrücker kommen derzeit Commerzbank und Rheinmetall in Frage. 

Fondsmanager Ingo Speich: "Das war eine Übernahme durch die Hintertür"

Unter Aktionären, Fondsmanagern und Kapitalmarktexperten löste der Linde-Abschied unterschiedliche Reaktionen aus. Die Aktie verlor am Dienstag in Frankfurt bis zu fünf Prozent. Fondsmanager bedauerten den Abgang, zeigten aber auch Verständnis. Mit Bedauern reagierte gegenüber boerse-online.de einer der bekanntesten deutschen Fondsmanager. „Das Delisting von Linde ist eine Enttäuschung", sagte Ingo Speich, Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance bei der Fondsgesellschaft Deka Investment. "Nun wird deutlich, dass letztlich der Praxair Linde übernommen hat und nicht umgekehrt. Damit war es eine Übernahme durch die Hintertür.“ 

Rückt die Commerzbank für die Linde-Aktie in den Dax auf?

Indexexperte Tom Koula von der Investmentbank Stifel sieht in dem Vorgang einen Prestigeverlust nicht nur für den Handelsplatz Frankfurt. „Mit Linde verliert Deutschland ein Leuchtturm-Unternehmen“, sagte Koula gegenüber boerse-online.de. Mit 144 Milliarden Euro Marktkapitalisierung habe DAX-Gründungsmitglied Linde zudem substanziellen Anteil am gesamten Marktwert des DAX. "Zum aktuellen Zeitpunkt würde Porsche als Neueinsteiger für Linde in den DAX aufsteigen", ergänzte Koula. Da das Delisting von Linde aber vermutlich erst nach der Dezember-Indexüberprüfung erfolge und Porsche dann schon im DAX sei, wäre dann der nächststärkste MDAX-Wert an der Reihe: "Das ist derzeit die Commerzbank." Demnach gingen mit Linde dem DAX also rund 140 Milliarden Euro Marktkapitalisierung verloren. Und mit der Commerzbank würden dem Index lediglich rund acht Milliarden Euro Marktkapitalisierung hinzugefügt, sagt Koula.


Linde zu erfolgreich - Weckruf für den DAX

Der Fondsgesellschaft Union Investment zufolge, die mit 2,2 Milliarden Euro in Linde investiert ist, hat noch eine andere Interpretation des Vorgangs: Linde, so sagt UI-Fondsmanager Arne Rautenberg, war einfach zu erfolgreich für den DAX, und das sollte für andere DAX-Konzerne ein Weckruf sein. „Wir können Linde dafür nicht kritisieren. Der Grund für den Rückzug und das Delisting von Linde ist, dass die anderen DAX-Unternehmen nicht mehr mit Linde mithalten können", erläutert Rautenberg. Linde sei durch den Zusammenschluss mit Praxair zu erfolgreich für den DAX geworden. "Die neue Linde ist beim Aktienkurs und bei der Bewertung zu weit enteilt. Der Shareholder Value steht hier offensichtlich viel stärker im Fokus als bei den anderen DAX-Unternehmen. Der Rückzug von Linde sollte ein Weckruf für die anderen DAX-Unternehmen sein, die am globalen Kapitalmarkt ins Hintertreffen geraten.“

LInde-Vorstandschef Sanjiv Lamba begründete den überraschenden Rückzieher damit, die bisherige Doppelnotiz in Frankfurt und New York habe einen negativen Einfluss auf die Bewertung. Deutschland werde weiter ein wichtiger Markt für Linde bleiben. Das Doppellisting habe gute Dienste geleistet, es habe aber aufgrund von Beschränkungen in Europa, unter anderem die sogenannte Kappungsgrenze von zehn Prozent für DAX-Konzerne, die Kursentwicklung gebremst.

Im Zuge des Rückzugs aus Frankfurt sollen Linde-Aktionäre ihre Papiere in Anteilsscheine einer neuen Dachgesellschaft in Irland, dem offiziellen Firmensitz von Linde, tauschen.