Mehrere Marktexperten geben ihre Einschätzungen für 2024. BÖRSE ONLINE hat Stimmen gesammelt, was beim DAX passieren wird, welche Branchen am besten performen und wo Dividenden-Erhöhungen zu erwarten sind. Die Aussichten sind so gespalten wie selten.

Schwacher Start, passables Finish – so lässt sich der Konsens der Marktexperten für die Entwicklung der deutschen Aktien im neuen Jahr zusammenfassen. Beim Börsenbarometer DAX machen sie deutlich mehr Aufwärtspotenzial in den zweiten als in den ersten sechs Monaten aus.

Enttäuschungen im ersten Halbjahr

"In der ersten Jahreshälfte wird es wohl eher noch Enttäuschungen geben, denn die Konjunktur läuft in den USA nicht und wir werden eine kleine Rezession bekommen", sagt ING-Chefökonom Carsten Brzeski der Nachrichtenagentur Reuters.

Europa stecke in einer Stagnation fest. Die Erwartungen erster Zinssenkungen, die für Optimismus und steigende Kurse an den Börsen sorgen, könnten die schlechten konjunkturellen Nachrichten nicht ausgleichen. Erst in der zweiten Jahreshälfte dürfte die Konjunktur wieder anziehen und die Märkte stabilisieren. Brzeski erwartet den DAX am Jahresende 2024 wieder bei 17.000 Punkten. Dass der Index dieses Niveau deutlich überspringt, glaubt er aber nicht.

Ungewöhnlich hohe Schwankungsbreite

Insgesamt schwanken die Schätzungen der Marktbeobachter für die Entwicklung des DAX im nächsten Jahr zwischen einem Rückgang auf bis auf 15.000 Punkte und einem Anstieg auf mehr als 18.500 Punkte – abhängig davon, wie die Zinspolitik der Zentralbanken tatsächlich aussehen wird. "Verläuft alles normal, könnte ich mir vorstellen, dass man im Bereich 17.500, 17.700 Punkten schließt am Ende des Jahres", sagt Jürgen Molnar, Stratege vom Broker RoboMarkets. 

In einem Worst-Case-Szenario, in dem es beispielsweise keine Zinssenkungen gäbe im kommenden Jahr, könne der DAX zurück auf die 16.000- oder sogar 15.000-Marke abrutschen. Es sei aber auch möglich, dass sich der Leitindex im Bereich von 18.000 bis 18.500 ansiedele, sollte die Fed die Zinsen genau nach den Vorstellungen der Märkte senken. "Aber das ist der Blick in die Glaskugel."

Markus Zschaber blickt optimistisch auf das Börsenjahr 2024. "Sollten keine weiteren Krisenherde aufflammen, erwarte ich gar das beste Aktienjahr seit 2019", schreibt der Vermögensverwalter in einer Kolumne für die WirtschaftsWoche. Da jedoch nicht alle Aktien gleichermaßen profitieren dürften, hätten im neuen Jahr "vor allem erfahrene Stock-Picker" gute Aussichten auf attraktive Renditen.

Übertriebene Hoffnungen?

Die Hoffnung auf bald sinkende Zinsen hatte den DAX am 14. Dezember im Verlauf auf ein neues Rekordhoch von 17.003,28 Zähler getrieben. Schlussrekord war bei 16.952 Punkten (siehe Chart). Das Börsenbarometer hat seit Jahresbeginn rund 20 Prozent an Wert gewonnen – so viel wie seit 2019 in einem Jahr nicht mehr. Im Krisenjahr 2022 war der deutsche Leitindex um 12,3 Prozent zurückgegangen.

DAX seit Anfang 2023  (Xetra)
TradingView.com
DAX seit Anfang 2023 (Xetra)

Für gute Stimmung sorgte zuletzt eine unerwartete Veränderung der Rhetorik der US-Notenbank Fed. Die Währungshüter stellten nach einer Serie starker Zinserhöhungen im Kampf gegen die Inflation eine Lockerung der Geldpolitik im kommenden Jahr in Aussicht. Knapp 80 Prozent der Marktteilnehmer rechnen aktuell mit einer ersten Zinssenkung bei der Fed-Sitzung bereits im März. Fallende Zinsen ab Mai gelten als nahezu sicher.

Mehrere von Reuters befragte Experten warnten jedoch, die Hoffnungen der Investoren in Bezug auf den Fahrplan für Zinssenkungen seien übertrieben. "Wir rechnen nicht mit mehr als 100 Basispunkten Zinssenkungen bei der EZB und bei der Federal Reserve", erläutert etwa Chefstratege Luca Paolini vom Vermögensverwalter Pictet. "Aber die Inflation fällt, die Zinsen werden schon nach unten gehen – vielleicht im Juni oder September, aber nicht vorher."

Diese Branchen werden besonders im Fokus stehen

Die europäischen Börsen könnten im kommenden Jahr besser als die Wall Street abschneiden, glaubt Paolini. Die Aktien von Spezialisten für Künstliche Intelligenz und andere US-Technologiewerte seien 2023 zwar extrem gut gelaufen. Wenn man sich allerdings die Entwicklung der Unternehmensgewinne anschaue, schienen die Titel überbewertet zu sein. "Wir sehen eher Potenzial in der Eurozone, wo die Bewertung besser ist und die Unternehmensgewinne eigentlich relativ positiv sind." 

Das größte Aufwärtspotenzial spricht DWS-Portfoliomanagerin Sabrina Reeh der Chemie-Industrie und dem Gesundheitswesen zu. Dort dürften auf mehrere Quartale mit Gewinnrückgängen eine Verbesserung der Finanz-Ergebnisse und damit Kursgewinne der Aktien folgen. Wachsen dürften im kommenden Jahr auch die Geschäfte der Technologie-Konzerne und der Rückversicherer.

Das größte Fragezeichen für die deutschen Investoren sei dagegen die Automobil-Branche. "Da ist die Frage, wie stark kommen die Gewinne zurück?", erklärt die Expertin. "Der Automobilsektor hat stark Gewinne gemacht in den letzten zwei Jahren, besonders nach der Corona-Pandemie. Und jetzt ist die Frage: Wie sieht das normalisierte Umfeld aus?"

Weiteres Dividenden-Wachstum

Die Aktionäre dürfen 2024 im Schnitt höhere Ausschüttungen erwarten, im DAX könnte es sogar einen neuen Rekord geben. Nach einer Prognose vom Handelsblatt werden die 40 DAX-Konzerne im kommenden Jahr so viel ausschütten wie noch nie. Die Dividenden sollten sich auf 52,4 Milliarden Euro summieren. Das wären 1,5 Prozent mehr als in diesem Jahr. Auf Zehn-Jahressicht hätte sich der ausgeschüttete Betrag damit verdoppelt. 

Noch stehen die Ausschüttungen für das ablaufende Jahr nicht fest. Doch die firmeneigene Dividendenpolitik und die bisherigen Quartalsbilanzen lassen schon jetzt Prognosen zu. Laut Handelsblatt dürften 21 Unternehmen ihre Dividende erhöhen, darunter voraussichtlich SAP, die Versorger E.on und RWE und alle Finanzdienstleister. Siemens, Infineon und die Deutsche Telekom haben bereits höhere Ausschüttungen angekündigt. Die höchsten Dividendenrenditen dürften wieder Auto-Hersteller, Chemie-Konzerne und (Rück)-Versicherungen liefern.

BÖRSE ONLINE wird Sie diesbezüglich online und im Magazin rechtzeitig informieren und auch beim Stock-Picking unterstützen. (Mit Material von Reuters)

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