Es kommt wohl nicht oft vor, dass sich ein Vorstand nach den Quartalszahlen seines Unternehmens entschuldigt. Angesichts der Kursverluste von rund 30 Prozent bei der Aktie von Delivery Hero innerhalb eines Tages meldete sich Firmenchef Niklas Östberg per Twitter: "Es tut mir wirklich leid für alle Aktionäre! Ich bin in Ihrem Boot." Die Kursverluste stoppte er damit freilich nicht. Als Reaktion auf die jüngsten Quartalszahlen stürzte die Aktie in den folgenden Tagen um insgesamt rund 40 Prozent ab, zeitweise wurde das Papier vom Handel ausgesetzt.
Das Kursdesaster des DAX-Werts Delivery Hero erinnert an andere folgenreiche Abstürze im Leitindex. Seit dem historischen Betrugsfall des Bezahldienstleisters Wirecard ist kein DAX-Wert derart eingebrochen. Dabei lasen sich die Zahlen zunächst ganz gut: Im vierten Quartal sowie im Gesamtjahr stiegen die Umsätze deutlich an. Gleiches galt allerdings auch für die Verluste: Für 2021 meldeten die Berliner bei einer leicht negativen operativen Gewinnmarge ein weitaus schlechteres Nettoergebnis als erwartet. Insgesamt fuhr Delivery Hero im vergangenen Jahr einen Verlust von 781 Millionen Euro ein, fast ein Drittel mehr als noch im Vorjahr.
Nichtsdestotrotz bestätigte Finanzchef Emmanuel Thomassin im Rahmen der Zahlenvorlage, dass für das Plattformgeschäft - sprich die Lieferung von Restaurantessen - in diesem Jahr ein positiver operativer Gewinn (Ebitda) erwartet werde.
Die Berliner starteten 2011 als Plattform, die gegen Provision das Essen von Restaurants an hungrige Kunden vermittelte. Wegen des teuren Kampfs um Personal und Marktanteile zog sich Delivery Hero in Deutschland aus dem Geschäftsbereich zurück und verkaufte Marken wie Lieferheld an die Konkurrenz. In Europa als Unternehmensheimat erzielte Delivery Hero im vierten Quartal 2021 nicht einmal zehn Prozent seiner Umsätze, dafür ist Asien der mit Abstand wichtigste Markt. Auch das Geschäftsmodell hat sich gewandelt. Neben der Vermittlung bietet das Unternehmen Zusatzleistungen an, indem es beispielsweise bestellte Speisen auch selbst ausliefert, wenn die Restaurants über keine eigenen Fahrer verfügen. Im vierten Quartal lieferten eigene Fahrer mehr als die Hälfte aller Bestellungen aus.
Neben Speisen von Restaurants bietet das Unternehmen mittlerweile auch die schnelle Lieferung von Lebensmitteln und anderen Supermarktartikeln an. Durch ein Netzwerk von Lagerhäusern in Innenstädten soll die Lieferung innerhalb einer Stunde erfolgen. Von 1,9 Milliarden Umsatz im Schlussquartal 2021 steuerte der Bereich Quick Commerce 320 Millionen Euro bei, auf Jahressicht ein Anstieg von mehr als 125 Prozent. Allerdings sieht sich Delivery Hero zahlreichen Konkurrenten wie Getir, Flink oder Gorillas ausgesetzt. Um gegen die Konkurrenz zu bestehen, sind Investitionen in Personal sowie in den Ausbau von Lagerinfrastruktur und in ein Netz aus Lieferfahrern notwendig, was die Ergebnisse drückt.
Kein Gewinn für den DAX
An den Ergebnissen störten sich viele Analysten bereits beim Aufstieg des Unternehmens in den DAX. Im Sommer 2020 ersetzten die Berliner den skandalösen Finanzdienstleister Wirecard in Deutschlands höchster Börsenliga. Nach den neuesten Richtlinien würde Delivery Hero den Aufstieg nicht mehr schaffen. Seit der Gründung 2011 hat das Unternehmen noch nie Gewinne eingefahren.
Neue DAX-Mitglieder müssen inzwischen mindestens zwei Jahre in Folge einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erzielt haben. Doch bis dahin ist es bei Delivery Hero noch ein weiter Weg. Hohe Investitionen, harter Wettbewerb und immer neue Anbieter machen dem DAX-Mitglied das Leben schwer.
Während Konkurrenten wie die amerikanische UberEats bereits schwarze Zahlen schreiben, setzt Delivery-Hero-Chef Östberg unbeirrt auch auf externes Wachstum. Anfang des Jahres kündigte der Konzern die Übernahme des spanischen Lieferdiensts Glovo an. Wachstum geht also nach wie vor über Profitabilität.
Verunsicherung bei Investoren
Dabei hätte das Marktumfeld für einen Lieferdienst wohl nicht besser sein können als in einer globalen Pandemie, in der die Gastronomie im Lockdown ist und viele Menschen im Homeoffice. Viele Investoren haben auch deshalb ihr Vertrauen in Delivery Hero verloren. Neben ausbleibender Gewinne sorgt fehlende Transparenz für Missmut. "Das Unternehmen präsentiert in zu großen Abständen belastbare Zahlen und Bilanzberichte. Delivery Hero ist schließlich das einzige DAX-Unternehmen, das weder operative Gewinne noch Mittelzuflüsse generiert. Eine quartalsweise Berichterstattung wäre ein Mittel, um die Transparenz zu erhöhen", sagt Alexander Zienkowicz, Analyst bei AlsterResearch. Außerdem müssten die Berliner ihre mittel- und langfristigen Ziele und die dafür vorgesehenen Zeiträume klarer definieren.
Chef eiert rum
Exemplarisch dafür war Chef Östberg im Januar in einem Interview mit dem Nachrichtendienst Reuters, als er sagte, man wolle "2023 in der Position sein, profitabel sein zu können".
Für 2022 peilt Delivery Hero eine leicht negative operative Marge an. Bloomberg-Analysten rechnen erst 2025 mit Nettogewinnen. Unterdessen hält Östberg an seiner Strategie fest: In dem Entschuldigungs-Tweet stellte er klar, man werde die Strategie wegen des Kurseinbruchs nicht ändern und stattdessen beweisen, dass sie sich auszahlen werde. Nach dem Einbruch kaufte er eigene Aktien für fast 14 Millionen Euro. Der Kurs zog nur kurzzeitig an und fiel anschließend wieder. Denn Unzuverlässigkeit in solchem Maß verzeiht die Börse so leicht nicht.
Einbruch: Der Kurssturz der Aktie
schockte. Die Börse erwartet endlich Profite. Das aber dauert - wenn
sie überhaupt kommen. Meiden.
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