von Robert Halver

Aktuell macht der Aktienmarkt so ziemlich das Gleiche wie der VW Käfer in seinen besten Zeiten: Er läuft und läuft und läuft. Aber als der DAX die neuen Rekordmarken von 11.000 und 12.000 Punkten geknackt hatte, sind die Damen und Herren Händler auf dem Frankfurter Börsenparkett nicht wirklich aus dem Häuschen geraten. Zur Erinnerung: Vor 15 Jahren, als der DAX das erste Mal die Marke von 8.000 Punkten knackte, war die Börsenstimmung famos. Der Bundesfinanzminister erschien höchstpersönlich auf dem Parkett. Eine riesige Torte wurde in den Börsensaal gefahren. Und heute? Heute wird Fastenzeit tatsächlich gelebt.

Was ist passiert? Vielen Anlegern geht die aktuelle Kursentwicklung viel zu schnell. Sie erinnern sich an frühere Haussephasen, vor allem an ihre fatalen Endszenarien. Der Boom beim Neuen Markt bis 8.000 Punkte endete bis 2003 mit Kursverlusten von über 70 Prozent. Auch während der Immobilienblasenzeit lief der DAX erneut bis etwa 8.000 Punkte, um dann nach der Lehman-Pleite über 50 Prozent zu verlieren. Und auch die Euro-Staatsschuldenkrise ließ den vorhergehenden Aktienboom - der sich auch wieder Richtung 8.000 Punkte entwickelte - mit knapp 30 Prozent Verlust scheitern.

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Stellen sie sich vor, es ist Aktienaufschwung in Deutschland und kaum jemand ist mit dabei

8.000 Punkte waren in der Vergangenheit uneinnehmbare Festungen. Jetzt liegen wir sogar ca. 4.000 Punkte darüber. Und das soll gesund sein? Ein gebranntes Anlegerkind scheut das Feuer, ein dreifach gebranntes umso mehr. Warum noch einmal - zum vierten Mal - einen Aktiencrash erleben? Aktien werden vielfach regelrecht gehasst.

So erklärt sich, dass der durchschnittliche deutsche Haushalt mehr Geld für Bananen als für Aktien ausgibt. Leider hat damit die Mehrheit der deutschen Anleger die Hausse verpasst. Aber auch die großen Kapitalsammelstellen wie Versicherungen und Pensionsfonds haben Aktien teilweise wie Mäuse die Katze gemieden. Noch zur Zeit des Neuen Marktes lagen die Aktienquoten der Versicherer bei bis über 30 Prozent. Das war ungesund und hat nach der Aktienflurbereinigung richtig wehgetan. Es gibt heute gute Gründe, nicht bis Oberkante Unterlippe in Aktien zu investieren. Aber ist es gesund, aus Angst vor einem theoretischen Crash nur Quoten um die vier Prozent zu haben?

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Deutsche Anleger sehen die Risiken, ausländische Investoren auch die Chancen

Wer kauft denn überhaupt deutsche Aktien? Es sind die üblichen Verdächtigen: Die Briten, die Schweizer und vor allem die Amerikaner. Sie wissen offensichtlich, was gut ist. Ich treffe häufig angelsächsische Investoren, die von den substanzstarken deutschen Industrieperlen schwärmen und verwundert sind, warum wir unsere eigene Industrie so wenig wertschätzen. Denn sie profitiert von einer Weltkonjunktur, die sich 2015 stärker als 2014 zeigt. Insofern wildern ausländische Investoren gerne in deutschen Industrie-Vorgärten, kein Wunder, müssen sie sich doch zu Hause nur mit Finanz-, Royal Kitsch- und Keksindustrie zufrieden geben.

"Und schuld daran ist nur die EZB"

Überhaupt kommen DAX, MDAX und SDAX durch die künstliche Befruchtung Mario Draghis in den Genuss von zu viel Liquidität und von viel zu niedrigen Zinsen. Angesichts unserer konjunkturellen Stärke ist dies geldpolitische Überdüngung. Obendrein sorgt ein geldpolitisch gedrückter Euro dafür, dass in den Vorstandsetagen der deutschen Exportindustrie weniger Selters, dafür aber mehr Sekt gereicht wird. Im Übrigen subventioniert ein schwacher Euro den Einstandspreis deutscher Industriejuwelen für ausländische Anleger.

Überhaupt, mit dem Draghischen Aufkaufprogramm wurde eine Fluchttür verschlossen: Früher noch lag die durchschnittliche Rendite deutscher Staatsanleihen bei ca. vier Prozent. So konnte man mit dieser Anlageklasse in kalten Aktienzeiten prima überwintern. Mit einer Umlaufrendite von aktuell 0,19 Prozent ist der Fluchtweg zu dieser schützenden Alternativanlage verschlossen. Auf den Schlüsseldienst sollte niemand hoffen, diese Tür bleibt verschlossen. Denn höhere Zinsen mögen zwar Anleger wärmen, für überschuldete Euro-Staaten bringen sie jedoch den Kältetod.

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Konsolidierungen ja, Aktiencrash nein

Ich meine, dass die Angst vor einem Aktiencrash genauso wenig angebracht ist wie die Angst vor dem Gespenst unter dem Bett. Es fehlen die Zutaten dafür: Weltkonjunktur, Energiepreise und Geldpolitik haben Frühlingsgefühle. Allerdings sind Kursrücksetzer möglich.

Ja, in diesem Jahr kommt die Leitzinswende in den USA. Ähnlich wie schon der Gedanke, sich beim Zahnarzt auf den Behandlungsstuhl setzen zu müssen, ausreicht, ängstlich zu werden, kann ebenso die Perspektive auf eine US-Leitzinswende zu vorübergehenden Phantomschmerzen an den Märkten führen. Ich bin mir aber sicher, dass sie genauso wenig wehtun wird wie eine Routineuntersuchung beim Zahnarzt, bei der man nachher sagt "Sie oder er hat ja gar nicht gebohrt". Die US-Zinswende findet in der Verniedlichungsform statt, um den US-Dollar nicht zu stark aufwerten zu lassen und natürlich um nicht das Platzen der größten Anlageklasse aller Zeiten - der Anleiheblase - zu befördern. Die US-Zinswende light entspricht eher einer gründlichen Zahnreinigung, die zwar auch Schmerzen auslösen kann, aber deren Wirkung schnell nachlässt. Übrigens, die Finanzgeschichte zeigt, dass sanfte US-Zinserhöhungen die Aktienmärkte grundsätzlich noch weiter haben steigen lassen.

Ein griechischer Euro-Austritt würde an den deutschen Aktienmärkten nicht spurlos vorübergehen. Nach einem kurzen Rücksetzer würden sich die Märkte jedoch zügig erholen. Der GREXIT ist kein Schreckgespenst mehr. Im Gegenteil, er würde endlich die Lebenslüge der Eurozone beenden, dass Griechenland in der Eurozone wirtschaftlich überleben kann. Und da die griechische Regierung nicht fair mitspielen will, kann die Gläubigerseite Athen nicht dennoch immer weiter entgegenkommen. Das zeugt von wenig wirtschaftspolitischer Vernunft, untergräbt ihre stabilitätspolitische Glaubwürdigkeit und schafft falsche Anreize in anderen Euro-Ländern. Grundsätzlich würden viele Investoren "griechische" Kursrückgänge zum Einstieg nutzen, auch weil die Liquiditätsmaschinerie der EZB einen Dominoeffekt auf andere Länder der Euro-Peripherie verhindern würde.

Sicher: Den schwarzen Schwan einer Eskalation des geopolitischen Konflikts in der Ukraine könnte aber selbst die EZB nicht verscheuchen. Hier können wir nur auf die Vernunft der Beteiligten hoffen.

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Regelmäßige Aktienansparpläne - Emotionslos, aber man ist mit dabei

Vor diesem Hintergrund sind auch die großen Kapitalsammelstellen aufgefordert, ihren "Hass" auf Aktien aufzugeben und stärker in ihnen zu investieren. Was ist denn gegen hohe Dividenden- bzw. konjunkturzyklische Substanz einzuwenden? Wie will man sonst langfristig vernünftige Renditen für seine Kunden erwirtschaften? Kämen die großen Investoren tatsächlich wieder an die Aktienmärkte zurück, wäre das wie Ostern und Weihnachten gleichzeitig. Denn der frei verfügbare Aktienbesitz liegt bei vielen deutschen Aktienunternehmen unter 30 Prozent.

Zwischenzeitliche Rücksetzer stören dieses Bild nicht. Sie sind gesund, weil sie Übertreibungen entgegenwirken. Bei Sorgen über das hohe Kursniveau sind monatliche Aktienansparpläne sinnvoll. Damit ist man auch dabei. Sie sollten mindestens genauso regelmäßig erfolgen wie der Kauf von Bananen. Abzuwarten, bis der große Aktiencrash kommt, um dann großvolumig einzusteigen, sollten Anleger nicht. Denn es könnte ein Warten auf Godot werden.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.