Nachdem die Digitalisierung in der Finanzbranche über Jahre ein Thema von Fachwebseiten und Blogs war, hat das Thema jetzt den "Mainstream" erreicht. Mittlerweile vergeht kein Tag, an dem nicht auf einem Kongress, in einer Studie oder einer Veröffentlichungen Banken davor gewarnt werden, den digitalen Wandel zu verpassen. Unter dem Motto "Innovate or die" lassen Fachleute die Banken glauben, sie würden vom Markt gefegt, wenn sie nicht schnellsten auf den digitalen Zug aufspringen. Bisweilen hatte man dennoch den Eindruck, alle diese Äußerungen perlten an der Finanzbranche ab.
Das ist dann so, wie es Maik Klotz jüngst in einem Beitrag schrieb:
"Was juckt es die Eiche, wenn sich die Sau an ihr reibt? Das könnte der Leitspruch manch einer deutschen Bank sein. Wenigstens wäre es konsequent wenn dieser Spruch in großen Lettern den Kunden beim Betreten einer Filiale entgegenkommt. Obwohl immer mehr Dienste und Produkte, die einst Banken vorenthalten waren, von bankfremden Unternehmen kommen, betreibt man Selbstbeweihräucherung und lobt sich selbst immer wieder für die Innovationsfreude und Kundenzentrierung."
Der sichtbare Erfolg der FinTech-Branche hält sich freilich bisher in Grenzen, zumindest in Europa. Man könnte daher gegen Klotz mit Ralf Keuper aus seinem Blog Bankstil antworten:
"Der Erfolg blieb bisher weit hinter den Erwartungen zurück. Insofern überrascht es nicht, dass die Banken auf die aktuellen Herausforderungen durch die diversen FinTechs mit einer Mischung aus Ignoranz und demonstrativer Gelassenheit reagieren. Viele der Herausforderer der Vergangenheit sind als Tiger gestartet und als Bettvorleger gelandet."
Ein untrügliches Signal, dass sich der digitale Wandel auch dem eingesessenen Banking nähert, hat Anfang Juli die Deutsche Bundesbank gesendet. Andreas Dombret, Vorstandsmitglied der Bundesbank hat in seinem Vortrag "Was bedeutet Digitalisierung für den Bankensektor in Deutschland?" den Banken auf einem Symposium ins Gewissen geredet. Er bestätigt, dass "die Digitalisierung in der Finanzbranche eine eindeutige und unumkehrbare Dynamik gewonnen hat". Banken und Sparkassen dürfen aber nicht den Fehler machen, die Entwicklung zu unterschätzen: "Aussitzen ausgeschlossen". Er wiederholt in seiner Rede viele Positionen, die man schon seit Jahren von Fachleuten hört. Dennoch hat sein Wort in den Ohren etablierter Banken wohl mehr Gewicht.
Noch ist in vielen Häusern die digitale Transformation vorwiegend das Steckenpferd der Kommunikationsprofis oder der Social Media-Referate. Erst langsam erreicht der Wandel über den steigenden Druck von Kunden aber auch über die wahrgenommenen Aktivitäten konkurrierender Banken die Produktentwickler und IT-Referate. Man tastet sich heran und lotet mit Business-Analysen neue Geschäftsmodelle des digitalen Bankings aus.
Was der "richtige Weg", weiß Dombret natürlich ebensowenig wie die Fachleute in den Banken. Immerhin, ganz so lethargisch, wie Klotz es in seinem Beitrag darstellt, sehe ich die Lage in den Banken nicht. In vielen Häusern hat man längst begonnen, die Aktivitäten der Financial Technologie (FinTech) zu beobachten. Manche Häuser sind sogar weiter. André Bajorat zählt in seinem Blog über 30 Kooperationen zwischen Banken und FinTechs im deutschsprachigen Raum. Und das sind nur die bekannt gemachten Formen der Zusammenarbeit. Die Zahl der nicht bekannten bzw. sich in Vorbereitung befindlichen Kooperationen dürfte um ein Vielfaches höher liegen.
Mit der bislang sehr zurückhaltend kommunizierten Initiative paydirekt versucht sogar die deutsche Kreditwirtschaft und die dazu gegründete Projektgesellschaft GIMB sich gegen Angriffe von Paypal, Apple, Google und vielleicht bald Facebook im E-Commerce zu positionieren. Ob das gelingen kann, ist zwar derzeit offen, zumal wenig über die mögliche Akzeptanz im Handel bekannt ist. Gestartet werden soll jedenfalls mit einer an das Girokonto geknüpften Lösung. Der gesteckte Zeitrahmen ist für Bankenverhältnisse ausgesprochen ehrgeizig. Ob da bereits alle Häuser von Anfang an dabei sein können, wird man sehen.
Dennoch, spricht man mit Bankern, dann ist man von Euphorie in Bezug auf die neue Technologien, weit entfernt. Man gibt sich zwar regelmäßig erstaunt über die auch in dieser Kolumne dargestellte Vielfallt neuer Entwicklungen, sucht aber oft lieber die Nachteile als die Chancen neuer Geschäftsmodelle. Dazu muss man vielleicht Nicht-Bankern erklären, dass Banken am liebsten erst dann in neue Geschäftsfelder investieren, wenn ihre wichtigsten Konkurrenten dies ebenfalls tun und/oder Studien "renommierter" Analyse- oder Beratungshäuser dies anhand empirischer Daten zweifelsfrei nachweisen können. Eine wie für Start-ups übliche fehlertolerante Kultur, die Fehlschläge bewusst akzeptiert, mag man in der Fidorbank oder der österreichischen Erste Bank kennen, nicht aber in einem durchschnittlichen deutschen Kreditinstitut.
Weist man Banken darauf hin, dass der Marktwert eines der größten FinTech-Spieler höher ist als die Marktkapitalisierung der Deutschen Bank, erreicht man immerhin ein ungläubiges Staunen. Die Rede ist übrigens von Ant Financial, dem ausgegliederten Finanzarm vom chinesischen E-Commerce-Riesen Alibaba. Glaubt man den Bewertungen einer aktuellen Finanzierungsrunde, dann beträgt der Marktwert etwa 45 Mrd. US$, die Deutsche Bank war zum gleichen Zeitpunkt "nur" 43 Mrd. US Dollar wert.
Aber es sind nicht nur neue Produkte für Geschäfts- und Privatkunden, die durch die Financial Technology vorangetrieben werden. Dombret weist in seinem Vortrag auch auf die Potenziale zu Kostensenkungen hin: "Mit intelligenter und gut eingesetzter IT können Prozesse automatisiert und variable Kosten gespart werden. Informationen können ohne Zeitverlust verarbeitet, verknüpft und analysiert werden."
Hier liegt die eigentliche Herausforderung für viele Häuser. Noch rüsten die meisten Banken ihre zum Teil betagte IT auf, um die umfangreichen regulatorischen Anforderungen zu erfüllen. Monsterregulierungen wie EMIR oder MiFID II erfordern immer kompliziertere Geschäftsprozesse. Neue Technologien sickern hier erst langsam in die IT-Strategien der Banken ein. Vor Ansätzen, wie etwa von Chris Skinner in seinem Buch "Digital Bank" vorgeschlagen, gleich eine komplette neue digitale Architektur aufzubauen, scheuen die Banken aus nachvollziehbaren Gründen: Es existiert keine erfolgreiche Blaupause dafür. Die Erfahrungen der Branche mit dem großangelegten Austausch der IT-Systeme waren bislang negativ, weil sie meist von Störungen und viel höher als geplanten Projektkosten begleitet waren. Da nähert man sich lieber evolutionär dem digitalen Zeitalter.
Eine Bremse sehen daneben viele Häuser in ihren Geschäftsleitungen. Das Thema "Digitalisierung" wird zu wenig von den Chefs getrieben. Lothar Lochmaier fragt im vergangenen in seinem Blog: Chefsache Digitaler Wandel oder was für den Praktikant?
Ich erlebe in vielen Häusern an der FinTech-Entwicklung sehr interessierte und engagierte Mitarbeiter und Führungskräfte. Die zerreiben sich aber oft in den Labyrinthen der Zuständigkeiten und Hierarchien. Dazu kommt, dass sich viele neue Produkte (wie etwa P2P-Kredite mit der dazugehörigen Anlageseite) nicht an der überholten Bankorganisation orientieren. Hier müssen Produktentwickler, Strategen und vor allem IT eng zusammen arbeiten. Und sie müssen sich von herkömmlichen Produktentwicklungszyklen lösen. Dazu bedarf es einer intelligenten "digitalen IT-Plattform", mit der sich zügiger Produkte entwickeln und anpassen lassen, als mit den vorherrschenden Legacy-Systeme. Dann klappt es vielleicht auch mit der Freundschaft.
Dirk Elsner arbeitet als Unternehmensberater für die Innovecs GmbH.