Führende Ökonomen haben das von der EU beschlossene 1,8-Billionen-Hilfspaket als Ganzes begrüßt. Im Detail üben die Experten allerdings heftige Kritik. Das ist das Ergebnis einer Sonderumfrage des Ökonomen-Barometers zum Ergebnis des EU-Gipfels zur Bewältigung der Corona-Krise. Demnach bewertet eine relative Mehrheit von 43 Prozent der Umfrageteilnehmer die Einigung insgesamt als positiv. Ein knappes Drittel (32 Prozent) der Volkswirtschaftler lehnt sie ab, 25 Prozent sind neutral. Dass die EU erstmals in größerem Umfang Schulden aufnehmen darf, lehnen immerhin 50 Prozent ab (25 Prozent neutral, 23 Prozent dafür).
In der Nacht zum Dienstag hatte der EU-Gipfel das historische 1,8-Billionen-Euro-Hilfspaket gegen die Corona-Krise beschlossen. Darin enthalten ein Aufbaufonds über 750 Milliarden Euro, wovon 390 Milliarden direkt als Zuschüsse und 360 Milliarden als Kredite ausbezahlt werden sollen. Damit einher geht eine grundlegende Veränderung der EU-Finanzarchitektur. Erstmals darf sich die EU in großem Stil am Kapitalmarkt verschulden, obwohl die EU-Verträge das eigentlich nicht vorsehen. Vom Corona-Aufbaufonds wiederum sollen vor allem Italien und Spanien profitieren, die von der Pandemie besonders hart betroffen sind.
Die Börse reagierte positiv, der DAX notierte Dienstag und Mittwoch klar über 13 000 Punkten. Auch Anleihen der Südländer waren gefragt. Der Euro kletterte zeitweise auf den höchsten Stand seit eineinhalb Jahren. Der Goldpreis ist mit Blick auf Liquiditätsschwemme und Inflation auf den höchsten Stand seit 2011 gestiegen.
Deutsche-Bank-Chefanlagestratege Ulrich Stephan rechnet mit Konjunkturimpulsen, insbesondere zyklische Aktien könnten davon profitieren. Vor allem aber rät er, das Infektionsgeschehen weiter im Auge zu behalten.
Die deutschen Wirtschaftsverbände reagierten überwiegend positiv. Der Handelskammertag DIHK beispielsweise weist darauf hin, dass die deutsche Wirtschaft stark von der Nachfrage aus der EU abhänge und 60 Prozent ihres Im- und Exports mit EU-Ländern abwickle. "Die deutschen Betriebe werden sich nur dann nachhaltig erholen, wenn auch die europäischen Nachbarn wieder auf die Beine kommen", sagte DIHK-Präsident Eric Schweitzer.
Grundstein oder Tabubruch
Kritisch äußerten sich führende deutsche Ökonomen wie IfW-Präsident Gabriel Felbermayr ("Es geht klar in Richtung Fiskalunion") oder Ifo-Präsident Clemens Fuest ("Transfers fließen nun quasi ohne Auflagen"). ZEW-Experte Friedrich Heinemann begrüßte, dass sich die EU handlungsfähig gezeigt habe. "Trotzdem sollte man sich keinen Illusionen hingeben: Das Problem fehlender Wettbewerbsfähigkeit und geringer Wachstumsperspektiven in Ländern wie Italien kann nicht mit Transfers und Krediten aus Brüssel gelöst werden", erläuterte Heinemann im Ökonomen-Barometer. "Hier helfen nur umfassende Reformen bei Verwaltung, Arbeitsmarkt, Bildungswesen." Der kurzfristige EU-Geldsegen könne den Reformstau sogar verlängern, warnt der ZEW-Ökonom.
Auch die anderen Teilnehmer des Ökonomen-Barometers zeigten sich in ihren Statements überwiegend skeptisch. "Schulden ohne Grenzen und mit wenig Kontrolle", fasste der Freiburger Ökonom Bernd Raffelhüschen das Gipfelergebnis knapp zusammen.
Als Erfolg wertet dagegen der Chef des DIW, Marcel Fratzscher, das Gipfelergebnis. "Der Wiederaufbaufonds schafft ein neues Instrument, um europäische Aufgaben gemeinsam zu bewältigen", so Fratzscher. "Das Programm könnte der Grundstein sein für eine europäische Fiskalunion, denn es gesteht erstmals explizit ein, dass fiskalische Transfers nötig sind, um Europa voranzubringen, und dass dafür auch die gemeinsame Aufnahme von Schulden sinnvoll ist." Genau das, die gemeinsame EU-Schuldenaufnahme, kritisiert der frühere EZB-Chefvolkswirt Otmar Issing als "Tabubruch" und warnt vor einem "gefährlichen Präzedenzfall".
Konträr sind die Meinungen, was die Größe des Aufbaufonds angeht. Für Dirk Ehnts (TU Chemnitz) ist das Paket "aus wirtschaftlicher Sicht zu klein, um die Herausforderungen meistern zu können". Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer dagegen bezeichnet das Volumen als riesig. "Es kann durchaus einen Beitrag zur Wiederbelebung der europäischen Wirtschaft leisten. Allerdings darf man sich nicht zu viel davon versprechen. Erstens führt das Programm erst in den kommenden Jahren zu Auszahlungen, wenn die Corona-bedingten wirtschaftlichen Einbrüche weitgehend wettgemacht sein sollten." Und dann könne ein solches Programm nur helfen, wenn es auf fruchtbaren Boden falle. Das könne für reformschwache Länder wie Italien bezweifelt werden.