von Robert Halver
Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo Mario Draghi her. Mit seiner Vollkaskoversicherung der Marke "Whatever it takes" ist die Euro-Staatsschuldenkrise keine Krise mehr. Mission erfüllt! Aber Geldpolitik schafft es nicht, der Euro-Konjunktur wie ein Energy Drink Flügel zu verleihen. Die EZB kann der Kreditwirtschaft zwar günstige Zinsen ähnlich vorhalten wie dem Hund die Wurst. Wenn sie aber nicht zubeißt, ist die EZB mit ihrer Ernährungslehre gescheitert. Durch den Rückfall der Euro-Nachbarstaaten in die Stagnation hat mittlerweile selbst das bislang vergleichsweise gut genährte Deutschland an Gewicht verloren. Überhaupt, auch die mannigfaltigen geopolitischen Unsicherheitsfaktoren sorgen dafür, dass die Eurozone konjunkturell auf Diät ist.
Auf Seite 2: "Konjunkturprogramme" sind wieder hoffähig
"Konjunkturprogramme" sind wieder hoffähig
So ist es nicht verwunderlich, dass sich Internationaler Währungsfonds, Weltbank und G20 um den Nährwert der Euro-Konjunktur kümmern. Nicht zuletzt fürchtet man die sozialpolitischen Konsequenzen einer stagnierenden Wirtschaft. Ohnehin kennt die französische IWF-Chefin Madame Lagarde den revolutionären Geist ihrer Landsleute nur allzu gut. Das zukünftige Motto dieser supranationalen Institutionen wird sein "Mehr Wirtschaftswachstum wagen". Frei nach der Werbung für einen Kräuterlikör ist aber gemeint: Nie waren Schulden so wertvoll wie heute. Wertvoll sind sie nicht zuletzt, da sie zinsgünstig zu haben sind.
Konkret geht es um die Wiederbelebung von staatlichen, schuldenfinanzierten Konjunkturprogrammen. Die Vorschläge, die hierzu aktuell gemacht werden, sind originell. EU-Politiker wie der neue EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker schlagen vor, man könne doch die 90 Prozent an ungenutztem Geld aus dem Europäischen Rettungsfonds ESM für europaweite Konjunkturstützung verwenden. Immerhin hat der ESM an Bedeutung eingebüßt, weil die Tragfähigkeit nationaler Staatsschulden von der EZB garantiert wird.
Ich kann mir die Wollust von Euro-Politikern gut vorstellen, an diesen großen, schon bereitstehenden Finanztopf heranzukommen, um ihn für staatliche Füllhornpolitik zu nutzen. Dass das Ganze eine klare Zweckentfremdung wäre, muss man ja nicht an die große Glocke hängen. Aber hat Herr Juncker nicht erst im Juni versprochen, unter seiner Ägide würden Wachstum und Arbeitsplätze geschaffen, ohne neue Schulden zu machen? Der kräftige Griff in den ESM in Höhe von maximal 450 Mrd. Euro auf Basis einer Eigenkapitaleinlage von 80 Mrd. Euro der Euro-Länder bedeutete aber kräftig neue Schulden. Herr Juncker ist in der Vergangenheit schon des Öfteren mit Aussagen aufgefallen, die später zur Makulatur wurden. Eine so kurze Halbwertszeit ist aber auch für ihn ein Rekord.
Dieses Schuldeninstrument wäre übrigens auch der willkommene Startschuss für ein grundsätzlich eigenes Verschuldungsvehikel der Eurozone, für das jedoch die Mitgliedsstaaten und ihre starken Länder - also vor allem Deutschland - gerne haften dürfen. Für diese souveräne Verschuldungsfähigkeit Brüssels schwärmt auch Pierre Moscovici. Das ist der neue EU-Wirtschafts- und Währungskommissar, der sich für dieses europäische Schlüsselamt aufgrund seiner zweijährigen erbärmlichen Erfolgsbilanz als französischer Finanzminister sicherlich "bestens" empfohlen hat.
Auf Seite 3: Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten (Albert Einstein)
Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten (Albert Einstein)
So ist der finanzpolitische Zeitgeist längst wieder auf Schuldenkurs eingeschwenkt. Seit dem Platzen der Immobilienblase nimmt die Verschuldung von Ländern wie Frankreich, Italien oder insgesamt der Eurozone dynamisch zu. Die Eurozone wird bis 2016 ihren Schuldenstand von 1995 fast verzweieinhalbfacht haben. Da bleibt kein Stabilitätsauge trocken.
Die Finanzgeschichte zeigt unmissverständlich, dass der Erfolg schuldenfinanzierter Aufbauspritzen allein ohne gleichzeitige Wirtschaftsreformen nie nachhaltig gewesen ist. Außer einem konjunkturellen Strohfeuer und Mitnahmeeffekten produzieren neue Staatsschulden außer einer immer schlechter werdenden Bonität keinen nachhaltigen Wirtschaftsaufschwung. Und warum machen Politiker dennoch immer wieder diesen gleichen Fehler? Warum laufen sie trotz empirisch bewiesener Erfolglosigkeit immer wieder gegen die gleiche Mauer? Vielleicht weil Reformen die Wiederwahl gefährden? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Das Beispiel Frankreich zeigt, dass immer mehr Schulden aufgewendet werden müssen, um Wirtschaftswachstum zu erzielen. Von 1991 werden sich die französischen Schulden bis 2014 fast versechsfacht haben, die Wirtschaftsleistung hat sich jedoch nur verdoppelt. 1991 zahlte man für einen Euro Wirtschaftsleistung etwa 39 Euro-Cent Schulden. 2016 wird man fast einen ganzen Euro dafür entrichten müssen. Würden Sie als Anleger jemals in so ein Investitionsobjekt investieren?
Man kann natürlich mit Berechtigung einwenden, dass auch die USA keine Schulden-Waisenkinder sind. Aber sie tun viel dafür, ihre industrielle Basis wieder flott zu bekommen. Ökonomen sprechen bereits von der Wiedergeburt Amerikas als Industrie- und Exportnation. Dagegen scheint man in Euroland das Ziel zu verfolgen, ein Industriemuseum aufmachen zu wollen. Hallo, schon mal was von ordentlicher Wertschöpfung in der Industrie gehört? Das Geld wird nicht im Bistro oder Café verdient. Eine reformallergische Volkswirtschaft, in die Unternehmen nicht investieren und damit auch keine Arbeitsplätze schaffen wollen, geht längerfristig vor die Hunde.
Auf Seite 4: Gegen die Reformallergie in der Eurozone ist kein Kraut gewachsen
Gegen die Reformallergie in der Eurozone ist kein Kraut gewachsen
Mario Draghi ist ein regelmäßiger Rufer in Eurolands Reform-Wüste. Aber seine Rufe verhallen wie bei einem Kind, das von seiner Mutter aufgefordert wird, doch endlich sein Zimmer aufzuräumen. So ist Draghi gezwungen, günstige Schuldzinsen für neue Staatsschulden zu geben, weil ansonsten in der Eurozone die Existenzfrage gestellt wird. Und die Politiker haben keine Hemmungen, zu nehmen, ohne wirtschaftsreformistische Gegenleistung zu geben.
So sind wir in der Dauerschleife des Schuldenmachens angekommen. Wie will man eigentlich jemals aus den Schulden herauswachsen oder einen ausgeglichenen Haushalt hinbekommen, wenn Wachstumspotenziale durch Reformen nicht konsequent gehoben werden? Der neue französische Ministerpräsident Valls hat versprochen, dramatische Reformen durchzuführen. Wie bei Herrn Renzi gilt: Die Worte hör‘ ich wohl…
Auf Seite 5: Und wie geht es weiter mit dem Makrokosmos der Europäischen Schuldenunion…
Und wie geht es weiter mit dem Makrokosmos der Europäischen Schuldenunion…
Es gibt vier Auswege aus der Schuldenfalle. Erstens erhöhen die Staaten kräftig die Steuern. Dann entfernen sich jedoch die guten Unternehmen schneller aus der Eurozone als ein ICE, wenn er nicht gerade bestreikt wird. Oder zweitens kauft die EZB voluminös Staatsschulden auf. Dann haben die Schuldnerländer aber noch weniger Anreiz, zu sparen oder zu reformieren, weil sie sich ja der Last der Verschuldung mühelos entledigen können.
Damit bleibt eigentlich drittens nur der Ausweg, die Volkswirtschaften mit konsequenten und umfangreichen Reformen fit für die Zukunft zu machen. Ist man dazu - wie im Moment leider zu erwarten - nicht bereit, besteht viertens früher oder später nur noch die Möglichkeit, Staatschulden zu schneiden. Der Staat wäre dann schuldenbefreit und die Deutschen - die Staatstitel bis Oberkante Unterlippe angehäuft haben - vermögensbefreit.
Auf Seite 6: … und Ihrem Mikrokosmos als Anleger?
… und Ihrem Mikrokosmos als Anleger?
Gut, dass es sachkapitalistische Alternativen gibt. Substanzaktien haben alle Finanzkrisen überlebt. In die ewigen Jagdgründe der Finanzwelt gehen sie auch zukünftig nicht ein.
Ja, ihre Kurse können fallen, wie sie das im Moment auch tun. Diesem Kursrisiko können Anleger mit regelmäßigen Sparplänen in Fonds oder ETFs begegnen. Denn sie behalten die Kraft der zwei Herzen: Steigen die Kurse, sind die Anleger vermögender. Fallen sie, erhält man für den gleichen Sparbeitrag mehr Aktienanteile. Diese banale Strategie macht sich im Zeitablauf bezahlt.
Aus einem Klumpenrisiko Zinsvermögen sollte sicher kein Klumpenrisiko Sachvermögen werden. Aber eine Aufteilung 50:50 wäre für deutsche Anleger sicher ein guter Anfang.
Edelmetalle mögen im Moment nicht en vogue sein. Aber ihre Werterhaltungsfunktion bleibt wertvoll. Für ein schuldenbarbarisches Wirtschaftssystem wie das unsere hat es in der Geschichte noch nie ein Happy End gegeben. Oft genug wurde aus einem Staatspapier tatsächlich Papier.
Liebe deutsche Anlegerinnen und Anleger, bitte behalten Sie ihre persönlichen Anlageblasen, also ihren Mikrokosmos im Auge! Nur den können sie beeinflussen. Der Makrokosmos macht, was er will.