Vom Büro seines neuen Arbeitgebers Société Générale aus dem elften Stock des Garden Tower im Frankfurter Bankenviertel blickt der Derivateexperte Anouch Wilhelms auf den Tradersaal seiner früheren Firma, der Commerzbank. Ende März wurden die Derivatesparten der beiden Banken fusioniert. Während es räumlich nur ein kurzer Weg für die Ex-Mitarbeiter der Commerzbank ist, war organisatorisch eine lange Strecke zurückzulegen, bis die beiden Sparten zusammenfanden.
Vor allem die Integration der IT- und Handelssysteme nahm viel Zeit in Anspruch, insgesamt mehr als ein Jahr. Unglücklicherweise fiel die finale Phase des Übergangs genau in die Zeit des Lockdowns. Das verzögerte die Vollendung der Integration, die für den 16. März geplant war, noch einmal um 14 Tage. Am 30. März startete der Handel des neuen Gemeinschaftsunternehmens.
Die Franzosen, die vorher eher ein kleinerer Player in der Zertifikatewelt waren, steigen mit dem Zukauf in die Spitzengruppe der Emittenten auf, da die Derivateeinheit der Commerzbank zu Europas Marktführern zählte. "Alleine aufgrund ihrer Größe und des breiteren Angebots dürfte die Société Générale für Anleger jetzt nicht nur deutlich sichtbarer, sondern damit auch für Neukunden attraktiver sein", meint Lars Brandau, Geschäftsführer beim Deutschen Derivate Verband. Die Commerzbank-Zertifikatesparte bleibt auch nach der Zugehörigkeit zu den Franzosen weitgehend selbstständig und behält größtenteils ihr Handels- und IT-System. Kaum ein Mitarbeiter ist ausgeschieden. Die Führungskräfte sind dieselben wie früher. Damit bleibt nach dem Rückzug der Deutschen Bank ein wichtiger deutscher Emittent erhalten - jedoch unter französischem Dach.
Breiteres Produktangebot
Für die Commerzbank-Kunden ist das ein Vorteil. Nur die Web-Adresse (www.sg-zertifikate.de), das Logo und die Farbe auf Website und Werbebroschüren, die nun rot statt vorher gelb sind, haben sich verändert. Handelsqualität und Service bleiben gleich, ebenso die ISINs der Produkte. "Wir haben den Kunden den Übergang so leicht wie möglich gemacht", so Wilhelms. "Unsere neue Internetseite ist zum Beispiel ebenso aufgebaut wie vorher, nur im neuen Design." Auch das ist ein Hinweis darauf, dass es Société Générale wichtig erscheint, die übernommene Derivate-Einheit weitgehend eigenständig zu erhalten. Noch bis Ende März 2021 werden Anleger, die die alte Webpage der Commerzbank aufrufen oder unter der früheren Servicehotline anrufen, auf die neue Internetseite weitergeleitet.
Dort haben sie jetzt ein breiteres Produktangebot zur Verfügung. Denn die Société Générale ist da stark, wo die Commerzbank schwach war, vor allem bei exotischen Scheinen wie Inline-, Stay-Low- oder Stay-High-Optionsscheinen und Memory-Express-Zertifikaten. Einen weiteren Vorteil haben Kunden dadurch, dass das Emittentenrisiko ihrer Produkte gesunken ist. Société Générale weist nämlich bei den Ratingagenturen S & P und Fitch jeweils eine um zwei Stufen höhere Bewertung als die Commerzbank auf. Allerdings können die Anleger nun keine ETCs mehr erwerben. Die hat die Commerzbank vor dem Übergang gekündigt.
Während sich die Ex-Commerzbank- Klienten kaum umzustellen hatten, wird von Kunden der Société Générale mehr Flexibilität verlangt. Sie müssen sich an eine neue Website gewöhnen. Dafür haben sie aber ein größeres Produktangebot - vor allem bei Turbo- und Faktor-Zertifikaten. Auch bei Index-, Bonus- und Discountzertifikaten sowie Aktienanleihen hat die Auswahl zugenommen. Hinzu kommt ein besserer Service, etwa ein Chat, eine Kundenzeitschrift und ein täglicher Newsletter. "Die Tatsache, dass es einen zusätzlichen Handelsdesk der Société Générale in Frankfurt gibt, wirkt sich positiv für deutsche Anleger bezüglich Handelsqualität und Service aus, da es den direkten Kontakt innerhalb der Bank erleichtert", meint Wilhelms.
Die Blicke vom neuen Büro in der Frankfurter City richten sich somit nur noch selten in Richtung des alten Arbeitsplatzes. "Der Zusammenschluss ist gut gelungen, aber jetzt schauen wir nach vorn", sagt er.