Andere europäische Häuser wie die Schweizer UBS haben das riskante und kapitalintensive Investmentbanking viel radikaler zurückgeschnitten und sind in jene lukrative Nischen vorgedrungen, in denen sie den US-Instituten besser Paroli bieten können - in der Vermögensverwaltung vor allem. Achleitner hält hingegen an seiner Strategie einer Universalbank mit starkem Kapitalmarktgeschäft fest. Auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am 24. Mai dürfte er deshalb - wieder einmal - mit voller Breitseite den Unmut der Aktionäre zu spüren bekommen. Und der ist nach dem Rauswurf des bisherigen Vorstandschefs John Cryan am vergangenen Wochenende nicht kleiner geworden.

Als Beleg für die Gemütslage vieler Kleinaktionäre mag ein vom Frankfurter Ralf Kugelstadt eingereichter Gegenantrag für das Aktionärstreffen dienen. Kugelstadt wirft Achleitner vor, Cryan zu früh abgeschossen und mit Christian Sewing den Falschen als Chef installiert zu haben. Er verlangt zudem mit markigen Worten ein Ende des "visionslosen Rumgewurstels" bei der Deutschen Bank und fordert: "Führen Sie die Deutsche Bank in die Zukunft und nicht in die Bedeutungslosigkeit."

KRÖNUNG EINER KARRIERE?



Das versucht Achleitner seit 20 Jahren: 1998/99 fädelt der gebürtige Linzer - damals noch Deutschland-Chef der US-Investmentbank Goldman Sachs - für die Frankfurter den Kauf von Bankers Trust mit ein. Mit der Übernahme des New Yorker Instituts wird aus der Deutschen Bank ein Global Player - auf Augenhöhe mit großen Namen wie Goldman Sachs, JP Morgan oder Morgan Stanley. Das ist die Eigenwahrnehmung.

Achleitner hat in den 1990er Jahren einen Lauf: Er und sein Team sind an quasi allen wichtigen Deals deutscher Unternehmen beteiligt. Sein Ruf als Strippenzieher im magischen Dreieck von "Corporate Germany", Hochfinanz und Politik stammt nicht zuletzt aus dieser Zeit. Erste Schrammen bekommt das Image allerdings kurz nach dem Wechsel zum Versicherungsriesen Allianz im Jahr 2000. Kaum in München ins neue Büro am Englischen Garten eingezogen, tütet Achleitner die Übernahme der damals der Allianz gehörenden Dresdner Bank durch die Deutsche Bank ein. Der Deal wird vier Wochen später völlig überraschend abgeblasen - er scheitert nicht zuletzt daran, dass die Investmentbanker beider Banken nicht miteinander können und wollen.

Ende Mai 2012 ist es wieder so weit - Achleitner und die Deutsche Bank kommen sich abermals näher. So nah wie noch nie: Als Chef des Aufsichtsrats wollte der damals 55-Jährige seine Karriere in der deutschen Finanzwirtschaft an der Spitze des mit Abstand größten und internationalsten Bankhauses krönen. Doch seitdem läuft es für Achleitner und die Deutsche Bank nicht wirklich rund: Noch heute tragen ihm viele Aktionäre nach, dass er vor drei Jahren aus ihrer Sicht viel zu lange am später geschassten Vorstandschef und einstigen Londoner Starhändler der Bank, Anshu Jain, festhielt.

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"NAHTOD-ERFAHRUNG"



Und an seinem Umgang mit John Cryan, Jains Nachfolger, dessen kurze Karriere bei der Deutschen Bank am vergangenen Wochenende für viele überraschend und abrupt endete, scheiden sich die Geister. Für die einen hielt Achleitner auch hier zu lange an dem als zögerlich und wenig entscheidungsfreudig geltenden Briten fest - vielleicht auch, weil er ihn Mitte 2015 höchstpersönlich als Sanierer installiert hatte. Andere fühlen sich durch Achleitners Vorgehen überrumpelt und glauben nicht, dass ein Austausch an der Konzernspitze der kriselnden Deutschen Bank aus der Verlustzone hilft, wenn die Strategie so bleibt, wie sie ist.

Achleitner selbst begründet den Rauswurf des 57 Jahre alten früheren UBS-Finanzchefs Cryan damit, dass immer mehr Aufsichtsräte und Investoren die Geduld mit dem eher bedächtigen Vorstandschef verloren hätten. Hinzu kam sicher auch der Blick auf den Aktienkurs, der seit der letzten Kapitalerhöhung im vergangenen Jahr nochmals deutlich gesunken ist und inzwischen wieder gefährlich nah am Rekordtief vom Herbst 2016 - damals waren es nur noch 9,99 Euro - liegt, als die Bank wegen einer drohenden Milliarden-Strafe in den USA um ihre Existenz bangen musste. Heute kostet die Aktie noch etwas mehr als elf Euro. Die gesamte Deutsche Bank ist an der Börse rund 24 Milliarden Euro wert. Selbst die ebenfalls eine Sanierung durchlaufende italienische Großbank Unicredit wird höher bewertet (38 Milliarden Euro). JP Morgan in den USA kommt gar auf fast 380 Milliarden Dollar.

Die Krise im Herbst 2016, die vielen Deutschbankern noch heute als eine Art "Nahtod-Erfahrung" in den Knochen steckt, haben Achleitner und Cryan noch gemeinsam überstanden. Doch als Anfang Januar 2018 klar wird, dass die Bank auch nach drei Jahren nicht aus den roten Zahlen herauskommt und wichtige Kostenziele verfehlt wurden, ist der Bruch nicht mehr zu kitten. Als Ende März dann noch erste Namen durchsickern und offensichtlich wird, dass Achleitner nicht mehr an Cryan festhalten will, macht der Aufsichtsratschef kurzen Prozess: Er bricht kurzerhand den Osterurlaub mit seiner Frau, der Wirtschaftsprofessorin und Multiaufsichtsrätin Ann-Kristin Achleitner und den drei Kindern ab, lässt die Familie in Peru und jettet über New York und London zurück in die Heimat.

ÜBERHASTET DURCHGEZOGEN



Auf dem Weg, soviel ist inzwischen bekannt, informiert er noch einige der wichtigen Anteilseigner der Bank über seinen Plan, Cryan zu entmachten und den gerade einmal 47 Jahre alten Privatkundenvorstand Christian Sewing zum neuen Bankchef zu küren. Es wird der zweite Austausch des Vorstandschefs unter der Ägide Achleitners. Und der wird von ihm, kritisieren nicht wenige Investoren, überhastet durchgezogen, obwohl Achleitner, wie es in seinem Umfeld heißt, schon seit Monaten an einem Plan für die Auswechslung von Cryan arbeitete. So manch kapitalkräftiger Investor wird von dem radikalen Schachzug nach eigenem Bekunden dennoch überrascht.

Einer derjenigen, die mit einer Personalrochade zu diesem Zeitpunkt nicht gerechnet hatten, ist Hans-Christoph Hirt - kein Anteilseigner zwar und auch ohne Sitz im Aufsichtsrat der Bank. Aber auf den Chef des Aktionärsberaters Hermes hören zahlreiche Pensionsfonds und andere Investoren, und sie vertrauen auf sein Urteil. Hirt macht aus seinem Ärger keinen Hehl: "Warum war es zu diesem Zeitpunkt nötig, den Chef auszuwechseln?" Hinterher schiebt Hirt dann noch beißende Kritik an Achleitner: In dessen Zeit als Chefaufseher habe die Bank einige Male die Strategie geändert und diverse Top-Manager ausgetauscht.

Manchem Anteilseigner stößt zudem auf, dass Achleitner große Geldgeber und Aktionäre erst gar nicht um deren Meinung über den von ihm auserkorenen Cryan-Nachfolger Sewing gefragt und die Personalie nach Aussage mehrerer Teilnehmer der entscheidenden Sitzung am Sonntagabend als mehr oder weniger alternativlos dargestellt habe. Es sei kein anderer Kandidat für den Spitzenjob benanntgeworden. Achleitner habe sogar "irritiert" reagiert, als in der dreieinhalbstündigen Telefonkonferenz aus dem Kreis der Aufsichtsräte Fragen kamen und Zweifel geäußert wurden. Der Kandidat, Sewing, musste sich während der Schalte im Nebenraum bereithalten, für etwaige Fragen aus der Runde. Da keine Simultanübersetzung verfügbar war, dauerte das Treffen viel länger als geplant.

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FERN VOM KLEINKRIEG



Allerdings bekommt Achleitner auch Rückendeckung dafür, dass er die Reißleine zog und Cryan vom Spielfeld schickte. "John Cryan ist nett, ein wirklich liebenswerter Kerl", sagt einer seiner früheren direkten Kollegen bei der Deutschen Bank. "Aber wenn man ihm sagt, dass mit bestimmten Einschnitten auch Risiken verbunden sind, dann will er das zu Tode analysieren, bevor er entscheidet. Echte Kostensenker sagen: ‚Ich brauche hundert Köpfe, die in diesem Bereich rollen'." Cryan war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

Hat Achleitner also doch richtig gehandelt? An ihm selbst scheint die Kritik jedenfalls abzuprallen. An Rückzug, Rücktritt oder ähnliches denkt ein Mann von seinem Schlag nicht, dafür hat er zu viele Krisen überstanden. Nach außen hält sich der Aufsichtsratschef betont fern vom Kleinkrieg um die richtige Strategie, der zwischen den zerstrittenen Fraktionen in der Bank - Investmentbanker gegen Privatkunden-Mannschaft - und unter den großen Aktionären tobt.

Aber der Druck wird größer. Viele Fachleute wie der Bank- und Börsenexperte Wolfgang Gerke vom Bayerischen Finanzzentrum sehen Achleitner sehr wohl in der Verantwortung für das strategische Hin-und-Her der Bank und verlangen Konsequenzen. Auf die Frage, ob Achleitner zurücktreten solle, sagte Gerke zu Reuters: "Ich bin zwar mit seiner Frau befreundet, aber die Wahrheit ist: ja." Unter der Aufsicht Achleitners hat die Bank mehrfach eine Rolle rückwärts gemacht. So war es beim Umgang mit der Bonner Postbank, die erst integriert, dann verkauft und nun wieder integriert werden soll. Und auch der inzwischen erfolgte Börsengang der Vermögensverwaltung war zunächst ein No-Go.

SCHNELLE ANTWORTEN GEFORDERT



Ob Achleitner in vier Jahren seinem Nachfolger an der Spitze des Aufsichtsrats eine erfolgreiche oder eine weiterhin darbende Bank übergeben kann, hängt nun an Sewing - und an Achleitner selbst. Das Duo wird schnell Antworten finden müssen auf die Gretchenfrage des Instituts, das Schicksal der Investmentbank. Schon vor dem erzwungenen Wechsel des Staffelstabs von Cryan an Sewing wurde eine grundlegende Überprüfung der angeschlagenen Sparte begonnen - intern "Project Colombo" genannt. Die Ergebnisse sollen in ein paar Wochen vorliegen. Dann kommt es zum Schwur. Will sich die Deutsche Bank weiter mit den Großen von der Wall Street messen oder siegen die Verfechter der Strategie: "Schuster, bleib bei deinen Leisten"?

Die Politik jedenfalls beobachtet die Entwicklung beim größten heimischen Geldhaus mit Argusaugen. Der Grünen-Finanzpolitiker Gerhard Schick hofft zwar, dass das aus seiner Sicht zu riskante Investmentbanking mit der Neuaufstellung des Vorstands an Gewicht verliert, damit im Krisenfall kein Steuergeld zur Rettung des Institus fließen muss. "Allerdings braucht es bei der Deutschen Bank nicht nur einen Personalwechsel, sondern auch eine nachhaltige Strategie, um die Bank in ruhige Fahrwasser zu bringen", bemängelt auch er das bisherige Krisenmanagement. "Da hat Aufsichtsratschef Achleitner zuletzt nicht überzeugen können."

rtr