Frankfurt, punkt neun Uhr: Eine halbe Hundertschaft Fotografen stürzt sich auf den Mann, der eine deutsche Ikone retten soll. John Cryan, zuletzt zum Messias der Deutschen Bank auserkoren, lächelt ins Blitzlichtgewitter. Seit Wochen wartet die Presse mit Spannung auf den ersten Aufritt des Briten, der Deutschlands größte Bank aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte führen soll.
Bislang hat der Taten sprechen lassen. Erst milliardenschwere Abschreibungen auf Altlasten, die einen Rekordverlust von sechs Milliarden Euro im dritten Quartal verursachten, dann der Rausschmiss einer ganzen Reihe von Vorständen, die seinem Vorgänger Anshu Jain nahe standen. Heute folgt der dritte Streich: Cryan verkündet wichtige Details zur Strategie 2020. Es geht vor allem darum, die Investoren zu beruhigen, die bei der Präsentation der groben Leitlinien im Frühjahr verärgert waren. Der Vorwurf: zu grob, zu vage, zu weit weg.
Neue bittere Wahrheiten
Nun geht Cryan ans Eingemachte: 2015 und 2016 wird die Dividende ausfallen, verkündet er. Jährlich 3,8 Milliarden Euro will er bis 2018 sparen, sich aus zehn Ländern, darunter Argentinien und Finnland zurückziehen, die wichtige Kernkapitalquote bis 2018 auf 12,5 Prozent steigern - weit mehr als von den Aufsehern derzeit gefordert. Die Kosteneffizienz soll steigen, riskante Geschäfte im Investmentbanking sollen eingedampft werden, 200 Filialen geschlossen werden, das übrige Privatkundengeschäft näher an die Kunden rücken. 9000 Mitarbeiter müssen unterm Strich dafür gehen, davon 4000 in Deutschland.
"Die Deutsche Bank hat kein Strategieproblem", liest Cryan auf Deutsch mit leichtem Akzent seine Rede vor," sie hat ein Problem mit der Umsetzung." Nun will er mit Zwischenzielen bis 2018 Investoren greifbare Ziele liefern. "Wenn wir sie erreichen", sagt Cryan, "haben wir einen nachhaltigen Turnaround der Deutschen Bank." Doch Cryan stellt die Investoren auf weitere harte Jahre ein. "2016 und 2017 werden keine starken Jahren werden", sagt er.
Es werde allenfalls ein "zufrieden stellendes Ergebnis" geben. Der Konzernumbau wird teuer: Für Abfindungen, Abschreibungen und Investitionen veranschlagt er 3,5 Milliarden Euro bis 2018. Die Dividende müsse ausfallen, um einen Puffer für "externe Schocks" zu bilden. Erst ab 2018 soll es wieder eine "wettbewerbsfähige Ausschüttung" geben. Bis dahin müssen auch die Investmentbanker mit ihren Boni bluten, macht Cryan klar.
Zweifel an Cyrans Erfolg
Bei all dem muss Cryan sich kritischen Fragen erwehren: Warum sollte die Deutsche Bank ausgerechnet dieses Mal ihre Kostenziele erreichen? Warum kommen die Einschnitte erst jetzt? Wie viele Erträge werden die Rechtsstreitigkeiten dieses Mal aufzehren? Cryan muss plötzlich seinen Ruf als harter Kostenkürzer verteidigen.
"Unsere Kostenziele sind nicht überambitioniert", beteuert er. Die Deutsche Bank habe "lausige IT-Systeme", "langsame Prozesse" und "fürchterliche Kontrollsysteme", sagt Cryan schonungslos auf Englisch. Auf die Fragen der Journalisten muss er in seine Muttersprache wechseln, für spontane Antworten fühlt er sich nicht sicher genug im Deutschen. Dafür streut er immer wieder Wörter wie "Vergütungskontrollausschuss", "Aufsichtsrat" oder Kerngeschäft" in seine englischen Ausführungen. Es hat etwas von Pep Guardiolas spanisch-deutschem Kauderwelsch auf Pressekonferenzen des FC Bayern München.
Kleine Sprachhürden, große Versprechen
Doch trotz kleiner Sprachhürden wird klar: Cryan meint es ernst. Es werde in Zukunft keine Entschuldigung für Fehlverhalten von Mitarbeitern bei Skandalen geben. "Und das gilt für alle Hierarchieebenen." Die Vergütung im Investmentbanking werde sich künftig auch am Verhalten bemessen, Rechtsstreitigkeiten wolle er schnell abbauen. Und Deutschland bleibe Kerngeschäft, sagt Cryan immer wieder. Diese tiefe Verwurzelung müsse gepflegt werden.
Der neue Chef fliegt jetzt Linie
Die Börse bleibt trotzdem skeptisch. Zur Eröffnung notiert die Aktie der Deutschen Bank gut vier Prozent im Minus, baut ihre Verluste dann aus. Wann wird die Deutsche Bank endlich wieder eine normale Bank?, fragt ein Journalist. Warum soll jetzt die Wende gelingen? "Es ist eine Frage des Glaubens", sagt Cryan. "Wir müssen jetzt liefern." Dann muss er zum Flieger. Ein "Linienflug" der Lufthansa steht bereit. Die Investoren in London warten schon viel zu lange.
Auf Seite 2: Einschätzung zur Aktie
Einschätzung zur Aktie
Der neue Vorstandschef John Cryan räumt bei der Deutschen Bank konsequent auf - das ist die gute Nachricht am heutigen Donnerstag. Dass nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch die Aktionäre dafür bluten müssen, war ohnehin klar. Insofern überrascht der Kursverlust von zeitweise sieben Prozent. 2015 und 2016 wird die Dividende ausfallen, sagt der neue Chef. Da blickt man aufmerksam auf die Commerzbank, die für 2015 erstmals wieder eine Ausschüttung plant, und auch ansonsten ein positiveres Bild abliefert.
Die Deutsche Bank dagegen ist aus heutiger Sicht kein Investment, das sich aufdrängt: Noch immer sind die juristischen Risiken, in die das größte deutsche Geldhaus verstrickt ist, unkalkulierbar, und sie sorgen für immer neuen Ärger an der Börse. Und auch das Gespenst einer weiteren Kapitalerhöhung spukt munter weiter. Die Aktie, auch wenn scheinbar günstig bewertet, ist derzeit also nur sehr risikofreudigen Investoren zu empfehlen. Wolfgang Ehrensberger
Empfehlung: Halten
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