Der Vorstandschef der Deutschen Börse hatte im Dezember 2015, gut zwei Monate vor Bekanntwerden der Fusionsgespräche, in großem Stil Aktien von Deutschlands größtem Börsenbetreiber gekauft. Zu diesem Zeitpunkt habe er schon seit Monaten Gespräche mit der Londoner Börse LSE geführt, erklärte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag. Nach der Bekanntgabe der Fusion hatten die Deutsche-Börse-Aktien kräftig angezogen.
Aufsichtsratschef Joachim Faber stellte sich hinter seinen Vorstandschef: "Die Vorwürfe sind haltlos." Kengeter habe die Aktien etwa einen Monat vor der Aufnahme konkreter Verhandlungen über eine Fusion mit der LSE gekauft. Aktionäre hoffen nun, dass die Ermittlungen den gut 25 Milliarden Euro schweren Zusammenschluss mit der LSE nicht zum Scheitern bringen. "Für uns als Investor gilt die Unschuldsvermutung", sagte einer der größten 50 Aktionäre der Börse. Er sei nach Fabers Aussagen zuversichtlich, dass Kengeter juristisch korrekt gehandelt habe und dass die Ermittlungen fallengelassen würden. "Wir hoffen weiter, dass die Fusion zustande kommt." Ähnlich äußerte sich ein LSE-Sprecher. "Wir freuen uns, weiter an der Vollendung der vorgeschlagenen Fusion zu arbeiten."
Kengeter hatte am 14. Dezember 2015 Deutsche-Börse-Aktien für 4,5 Millionen Euro erworben. Auslöser für die Ermittlungen gegen Kengeter waren Strafanzeigen, eine davon anonym, wie die Staatsanwaltschaft erklärte. Nach Erkenntnissen der Ermittler hatten die "Leitungsebenen" der Deutschen Börse und der LSE bereits im Juli und August 2015 über eine mögliche Fusion und sogar über den Sitz einer gemeinsamen Holding gesprochen. "Dem Beschuldigten wird zur Last gelegt, Mitte Dezember 2015 in Kenntnis dieser bis dato nicht veröffentlichten Vertragsgespräche, welche die Staatsanwaltschaft als Insiderinformation (...) wertet, Aktien der Deutsche Börse AG erworben zu haben."
Ob bei dem Aktienkauf alles mit rechten Dingen zugegangen ist, nehmen auch die Wertpapieraufseher der BaFin unter die Lupe. Sie haben ihre Routineuntersuchung zu dem Thema noch nicht abgeschlossen, sagte eine Sprecherin.
"EIN GANZ NORMALER VORGANG"
Kengeter hat die Aktien im Rahmen eines Vergütungsprogramms erworben, mit dem ihn der Aufsichtsrat Insidern zufolge langfristig an das Unternehmen binden wollte. Kengeter hatte sich bei dem Kauf mit eigenem Geld verpflichtet, die Aktien mindestens bis Ende 2019 zu halten. Das Investment war die Voraussetzung dafür, dass er so genannte "Co-Performance Shares" für ebenfalls 4,5 Millionen Euro von seinem Arbeitgeber erhielt. Deren Wert hängt unter anderem vom Gewinn und von der Rendite der Börsen-Aktie ab und steht erst in einigen Jahren fest.
Aus Sicht von Experten zeigt der Fall, wie schwierig es für Unternehmen ist, aktienbasierte Vergütungssysteme zu bauen. "Ob das System gut ist oder nicht - man läuft so oder so Gefahr, öffentlich unter Beschuss zu geraten", sagte Vergütungsexperte Werner Klein von der Düsseldorfer Beratungsfirma Compgovernance. Aufsichtsräte versuchten damit "die Interessen des Managers und des Unternehmens in Einklang zu bringen". Kengeter habe nur getan, was im Sinn der Börsen-Aktionäre sei. "Dass das zeitnah zu seinem Amtsantritt erfolgen muss, ist zwingend." Auch Aktuelle und ehemalige Spitzenmanager des Industriegasekonzerns Linde stehen im Visier der Finanzaufsicht, weil sie im Vorfeld der Fusion mit dem US-Rivalen Praxair Linde-Aktien gekauft hatten.
"DAS IST MINDESTENS UNCLEVER"
Doch gibt es auch kritische Stimmen. Kengeter hätte sensibler sein und Fabers Wunsch nach Aktienkäufen ausschlagen müssen, sagt eine mit dem Vorgang vertraute Person. "Das ist mindestens mal unclever für jemanden, der ohnehin schon genug Geld hat." Faber hatte den 49-Jährigen, der zuvor für die Investmentbanken UBS und Goldman Sachs gearbeitet hatte, in der Hoffnung verpflichtet, dass er für neues Wachstum sorgt.
Finanzkreisen zufolge begann Kengeter unmittelbar nach seinem Amtsantritt im Juni 2015 mit seinen Vorstandskollegen über mögliche Fusionen und Zukäufe zu sprechen - auch über die LSE. Konkrete Vorbereitungen und Sondierungsgespräche fanden Insidern zufolge aber erst im Januar 2016 statt - nach Kengeters Aktienkauf. Faber erklärte: "Erst in der zweiten Januarhälfte 2016 haben sich die beiden Chairmen und CEOs gemeinsam darauf verständigt, Verhandlungen über eine Fusion zwischen LSE Group plc und Deutscher Börse AG zu beginnen."
rtr