Die Deutsche Börse kommt bei ihren Fusionsplänen mit der London Stock Ex-change (LSE) um eine teure Übernahmeschlacht mit ihrem härtesten Konkurrenten herum. Der US-Börsenbetreiber ICE aus Atlanta teilte mit, "derzeit keine Absicht für ein Angebot für die LSE" zu haben. Ein Zusammenschluss mit der Londoner Börse biete nicht genügend Vorteile für Aktionäre und Märkte.

Die ICE hatte im März verkündet, ein Gegenangebot für die LSE zu prüfen. Eine US-Offerte galt neben der Zustimmung der Aufsichtsbehörden als größte Hürde für die geplante Fusion zwischen Deutscher Börse und LSE. Nun steigen die Chancen auf einen Zusammenschluss. Aktien der Deutschen Börse stiegen um bis zu sechs Prozent. Papiere der LSE brachen ein.

Zwar ist eine Übernahmeschlacht noch nicht ganz aus-geschlossen: Die ICE hält sich offen, in den nächsten sechs Monaten doch noch ein Angebot vorzulegen, falls die britischen Aufseher dies erlauben oder die Fusion von Deutscher Börse und LSE scheitert. Auch könnten andere US-Börsen Interesse zeigen. Doch die Wahrscheinlichkeit dafür ist eher gering.

Brexit als Abschreckung



Für den aktuellen Verzicht der ICE auf ein Angebot gibt es mehrere Gründe: So sind die Amerikaner nach einer Reihe von Übernahmen schon relativ hoch verschuldet. Ferner ist ein Deal mit der LSE riskant. Entscheidet sich Großbritannien am 23. Juni gegen den EU-Verbleib, dürfte der Wert der LSE sinken. Experten glauben, dass die EU nach einem Brexit Börsengeschäfte wie die Abwicklung von Euroderivaten in London generell verbieten könnte.

Ein Brexit wäre auch für die Fusionspläne von Deutsche Börse und LSE ein Rückschlag. Die Londoner müssten dann wohl Geschäfte aufgeben oder in die EU verlagern. Doch mit der Deutschen Börse hätten sie dort ein starkes Standbein. Die ICE hat indes nur kleine Töchter in der EU. Das Risiko ist für die Amerikaner größer. "Im Gegensatz zu uns hätten sie im Fall eines Brexit und einer Fusion mit der LSE keine Brücke in die EU", sagte Gregor Pottmeyer, Finanzchef der Deutschen Börse zu €uro am Sonntag (Ausgabe 16).

Konzernchef Carsten Kengeter gab derweil eine Standortgarantie für wichtige Sparten. Die Verrechnung von Derivaten und die Verwahrung von Wertpapieren blieben bei einer Fusion mit der LSE in Frankfurt. Er hatte zuvor schon beteuert, nicht am Aktienhandel in Frankfurt zu rütteln. Kritiker wie der Privatbankier Friedrich von Metzler fürchten einen Bedeutungsverlust des Finanzstandorts am Main, da der Hauptsitz der neuen Börse London sein soll.

Kengeter warb vor der Hauptversammlung der Deutschen Börse am Mittwoch für die Fusion, indem er mehr Börsengänge in Frankfurt in Aussicht stellte. Deutsche Firmen könnten mit einem direkten Zugang zum starken britischen Kapitalmarkt leichter an Eigenkapital kommen. Das werde "Börsengänge in Frankfurt beflügeln".

Mehr Börsengänge am Main?



In London habe es 2015 viermal so viele Börsengänge gegeben wie in Deutschland, sagte Kengeter. Es gebe ein Missverhältnis zwischen Deutschland als Wirtschaftsstandort und als Finanzplatz. Dies könne man jetzt korrigieren.

Banker rechnen bei einer Fusion aber nicht zwangsläufig mit mehr Erstnotizen. "Ich erwarte keine nennenswerten Verbesserungen für den Markt für Börsengänge in Deutschland", sagt Joachim von der Goltz, Chef des Geschäfts der Credit Suisse mit Börsengängen in Nordeuropa und Deutschland. "Die Zeichner der Börsengänge werden an ihren bisherigen Standorten ihre Plattformen nutzen." Chancen gebe es eventuell für Wachstumsfirmen.