"Die meisten Investoren wollen, dass er mit seinem Team weitermacht."
Auf einen Denkzettel muss sich Deutsche-Börse-Chef Kengeter in der Frankfurter Jahrhunderthalle trotzdem einstellen - eine Entlastung des Vorstands mit 99,9 Prozent wie im Vorjahr wird es sicher nicht geben. Aber eine Revolution liegt nicht in der Luft. Einige Investoren sind zwar der Ansicht, dass Kengeter die im März geplatzte Fusion mit der London Stock Exchange (LSE) schlecht vorbereitet und das Brexit-Risiko unterschätzt hat. Aber die Entlastung wollen sie ihm und dem Aufsichtsrat deshalb nicht verweigern. "Wir und viele andere Investoren waren für den Zusammenschluss, wussten aber von Anfang an, dass es eine Hochrisiko-Operation war", sagt Fondsmanager Ingo Speich von Union Investment. Am Ende sei der Deal dann an politischen und regulatorischen Widerständen gescheitert - nicht an eklatanten Fehlern des Vorstands. "Deshalb wäre es falsch, jetzt vor allem beim Management die Schuld zu suchen."
Andere Großaktionäre betonen, dass Kengeter drei strategisch wichtige Deals gelungen seien: die Komplettübernahme des Index-Anbieters Stoxx sowie der Kauf der Devisenhandelsfirma 360T und der Energiebörse Nodal. Die Entwicklung des Aktienkurses spreche ebenfalls für den 50-Jährigen. Seit seinem Amtsantritt im Juni 2015 hat das Deutsche-Börse-Papier rund 27 Prozent zugelegt und damit mehr als doppelt so stark wie der Leitindex Dax. Zuletzt kletterte die Aktie auf 93,71 Euro - den höchsten Stand seit neun Jahren.
"JAMMERN AUF HOHEM NIVEAU"
Dennoch steht hinter Kengeters Zukunft als Börsen-Chef ein großes Fragezeichen. Der langjährige Investmentbanker hatte im Dezember 2015, gut zwei Monate vor Bekanntwerden der LSE-Fusionsgespräche, in großem Stil Deutsche-Börse-Aktien gekauft. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass er damals bereits über den LSE-Deal verhandelte und ermittelt deshalb wegen des Verdachts auf Insiderhandel. Falls Anklage gegen Kengeter erhoben wird, müsste er aus Sicht vieler Großaktionäre gehen. "Wenn diese Linie überschritten ist, dann geht es nicht mehr weiter - auch politisch", sagt einer von ihnen.
Die Aktionärsberater Glass Lewis und Hermes haben sich, vor allem wegen des Insider-Verfahrens, gegen eine Entlastung des Vorstands ausgesprochen. Der einflussreichste Stimmrechtsberater ISS und viele Großaktionäre wollen Kengeter dagegen nicht infrage stellen. Für sie gilt die Unschuldsvermutung. Einige Investoren weisen zudem darauf hin, dass Kengeter die Aktien im Rahmen eines Vergütungsprogramms kaufte, dem sie selbst im vergangenen Jahr auf der Hauptversammlung mit 84 Prozent zugestimmt hatten. "Im Rahmen des Programms haben wir ein Eigeninvestment des Vorstandschefs gefordert, das nur in einem gewissen Zeitfenster erfolgen konnte", sagt Fondsmanager Speich. "Davon hat Herr Kengeter Gebrauch gemacht."
Grundsätzlich ist Speich der Ansicht, dass die Deutsche Börse nun nach vorne schauen sollte. "Das Unternehmen braucht eine neue Strategie oder muss zumindest mehr Details zu den ausgegebenen Zielen vorlegen. Dann muss man sehen, ob Kengeter die geeignete Person ist, diese Strategie umzusetzen." Falls der Konzern weiter auf Wachstum setze und zukaufe, könne Kengeter das glaubwürdig vertreten. "Wenn Schrumpfen und Sparen im Vordergrund steht, bräuchte es dagegen eher einen ausgleichenden Vorstandschef, der die eigenen Leute bei der Stange hält."
Die Deutsche-Börse-Spitze möchte fürs erste die Finger von großen Deals lassen und stattdessen kleinere Zukäufe ins Visier nehmen, vor allem im Index- und Datengeschäft. "Das würde Sinn machen, zumal diese Geschäftsbereiche nicht so schwankungsanfällig sind wie der Handel", sagt ein Investor. Die öffentliche Kritik an dem Konzern in letzter Zeit ist aus seiner Sicht übertrieben. Im Vergleich zur Deutschen Bank, die am Donnerstag zur Hauptversammlung lädt, stehe die Deutsche Börse mit einer Eigenkapitalrendite von zuletzt 17 Prozent doch sehr gut da. "Das ist Jammern auf hohem Niveau."