Deutsche Börse-Vorstandschef Carsten Kengeter erläuterte die Pläne vor dem Deutschen Eigenkapitalforum in Frankfurt: "Wachstumsfinanzierung gehört zu den Kernaufgaben einer Börse", erklärte er. "Wir wollen hiermit einen zuverlässigen Marktplatz schaffen." Das neue Segment solle Unternehmen und Investoren zusammenbringen, und zwar auf einem Niveau, das international längst Standard sei. Die Anforderungen an die Firmen seien sehr hoch. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, der sich für eine solche Initiative starkgemacht hatte, sprach von einer wichtigen Entscheidung: "Ich bin zuversichtlich, dass das neue Segment entscheidend dazu beitragen kann, dass wir wieder mehr Börsengänge von jungen innovativen Wachstumsunternehmen in Deutschland sehen."

Um eine Skandalserie wie am Neuen Markt zu verhindern, baut die Deutsche Börse dieses Mal eine Reihe von Schutzmechanismen ein: Firmen müssen bestimmte Mindestanforderungen erfüllen, etwa bei Umsatz, Mitarbeitern oder Marktkapitalisierung. Zudem werden sie von zwei Analysehäusern unter die Lupe genommen. Diese werden von der Deutschen Börse bezahlt und nicht von den Unternehmen selbst, um Interessenskonflikte zu verhindern. Darüber hinaus müssen sich die Firmen professionell beraten lassen - etwa durch Investmentbanken, Wirtschaftsprüfer oder Anwaltskanzleien. Diese sollen der Firma vor, während und nach dem Börsengang zur Seite stehen. Vor dem Börsendebüt müssen sie das Unternehmen nicht nur nach wirtschaftlichen, sondern auch nach rechtlichen Gesichtspunkten durchleuchten. So will die Deutsche Börse verhindern, dass sich Betrugsfälle wie am Neuen Markt wiederholen, wo einzelne Firmen Umsätze frei erfunden und ihre Börsekurse damit in die Höhe getrieben hatten.

Kay Bommer, Geschäftsführer des Deutschen Investor-Relations-Verbandes, ist zuversichtlich, dass das neue Börsensegment funktionieren kann. Die hohen Anforderungen seien ein Zeichen dafür, dass der deutsche Kapitalmarkt "erwachsen geworden" sei. Der Schritt alleine reiche aber nicht aus, um Wachstumsfinanzierungen hierzulande nachhaltig anzuschieben. So seien etwa steuerliche Anreize für Eigenkapitalgeber wünschenswert. Ähnlich äußerte sich Börse-Chef Kengeter.

DRUCK AUS BERLIN



Der Neue Markt wurde 1997 inmitten des Technologie-Booms geschaffen, damit Startups rasch an Eigenkapital kamen. Bis 2000 schossen die Kurse vieler Internet- und IT-Firmen in die Höhe. Nach dem Platzen der "Dotcom-Blase" stürzten sie dann jedoch ins Bodenlose. Viele Firmen gingen Pleite, Betrugsfälle landeten vor Gericht. 2003 stellte die Deutsche Börse das Segment ein.

Weil sich viele kleine Firmen in Deutschland bei der Suche nach Kapital aber sehr schwer tun, forderte der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) bereits 2013 eine Wiederbelebung des Neuen Marktes. Sein Nachfolger Gabriel (SPD) machte sich dann für einen Markt 2.0 stark. Ein eigenes Segment für Internet- und Tech-Firmen lehnte die Deutsche Börse jedoch ab, weil es dafür aus ihrer Sicht in Deutschland nicht genügend geeignete Kandidaten gibt. Das neue Segment richtet sich deshalb an alle kleinen und mittelgroßen Unternehmen (SME). Basierend auf dem SME-Segment könnte der Börsenbetreiber in einiger Zeit dann auch einen neuen Index auflegen.

Die Deutsche Börse geht davon aus, dass das neue Segment - der Name steht noch nicht fest - im Frühjahr zunächst mit etwa 40 Firmen an den Start geht. Die rund 150 Unternehmen, die derzeit im Entry Standard gelistet sind, haben dann zwei Möglichkeiten: Entweder sie rutschen in die kaum regulierte Klasse "Open Market" ab oder sie erfüllen die Aufnahmekriterien und wechseln ins neue Segment. Dafür müssen sie unter anderem eine Marktkapitalisierung von mindestens 30 Millionen Euro aufweisen. Wenn sich die Firmen in dem neuen Segment gut entwickeln, können sie später in die strenger regulierten Klassen General Standard und Prime Standard aufsteigen. Wer Mitglied in einem Index der Dax -Familie werden will, muss im Prime Standard gelistet sein.

rtr