"Die Zeichen stehen auf Sturm", hatte Verdi-Verhandlungsleiterin Andrea Kocsis am Wochenende angekündigt. Nun lässt die Gewerkschaft die Muskeln spielen: In Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern liefen bis zum Mittag Streiks an. Später folgten Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, allein im bevölkerungsreichsten Bundesland will die Gewerkschaft alle 14 Briefverteilzentren bis Mittwochnachmittag lahmlegen. Die Proteste sind bundesweit geplant. "Die Streikwelle wird über die nächsten Tage fortgesetzt", kündigte ein Verdi-Sprecher an.
Das Klima zwischen Post und Verdi ist seit Monaten vergiftet. Die Post hat angekündigt, Tausende neue und unbefristete Stellen schaffen zu wollen - allerdings in 49 neuen Gesellschaften, für die niedrigere Löhne als im Konzern gelten. Verdi sieht dies als Bruch geltender Verträge. Kocsis hatte mit der Forderung nach kürzeren Arbeitszeiten reagiert. Die 140.000 Tarifbeschäftigten des Konzerns sollen nach ihrem Willen künftig 36 statt 38,5 Wochenstunden arbeiten - bei vollem Lohnausgleich. Verdi fordert zudem 5,5 Prozent mehr Lohn.
Die neuen Gesellschaften hätten sich schon bewährt, sagte Post-Chef Appel vor Analysten. In ihnen werde anders als im Konzern nicht gestreikt. Das Verdi-Paket gehe "an der Wirklichkeit vorbei", kritisierte Post-Personalchefin Melanie Kreis. Der Post drohten Mehrkosten von 600 Millionen Euro, wenn sie die Wunschliste erfülle. Der Post-Vorstand beklagt seit Jahren, dass der Konzern in Deutschland in der Zustellung mehr zahlen müsse als Konkurrenten wie FedEx oder UPS. "Wir werden Wettbewerbsfähigkeit verlieren, wenn wir unsere Lohnkosten nicht näher an die Wettbewerber bringen", mahnte Finanzchef Rosen. Die nächsten Gespräche mit Verdi am 20. und 21. Mai in Königswinter dürften damit schwierig werden.
Auf Seite 2: KRISENSPARTE WIRD ZUR CHEFSACHE
KRISENSPARTE WIRD ZUR CHEFSACHE
Konzernchef Appel hat neben dem Tarifstreit aber noch weitere Baustellen. Er muss sich nun persönlich um das kriselnde Frachtgeschäft kümmern. Nach dem Abgang von Spartenchef Roger Crook im April fungiert Appel dort als Interims-Chef. Die Sparte macht rund ein Viertel des Konzernumsatzes aus. Die Post will vor allem in die Datenverarbeitung des Frachtgeschäfts investieren, das großteils mit Papierdokumenten arbeitet. Doch der Umbau läuft nicht rund - er sei "komplex", sagte Rosen, die Ergebnisse müssten überprüft werden.
In den Bilanzen des Konzerns hinterließ dies Spuren: Im ersten Quartal sank der operative Gewinn (Ebit) trotz deutlicher Zuwächse im internationalen Express- und im Paketgeschäft um ein Prozent auf 720 Millionen Euro. In der Frachtsparte brach er auf 17 (49) Millionen Euro ein. Mit der seit Januar geltenden Portoerhöhung im Rücken will die Post 2015 dennoch weiter das Ebit auf 3,05 bis 3,2 Milliarden Euro steigern. Zu Folgekosten des Streiks könne er aber noch nichts sagen, fügte Rosen hinzu.
Reuters
Auf Seite 3: Einschätzung der Redaktion
Die Geschäftszahlen der Deutschen Post zum ersten Quartal haben enttäuscht. Der Betriebsgewinn (Ebit) schrumpfte um ein Prozent auf 720 Millionen Euro. Analysten hatten mit 737 Millionen gerechnet. Die Aktie war deshalb am Dienstag in einem schwachen Gesamtmarkt einer der schlechtesten Werte im DAX. Kurzfristig kann der Streik der Gewerkschaft Verdi die Stimmung weiter verschlechtern. Charttechnische Unterstützungen bei 28 und 25 Euro sollten den Kurs aber stabilisieren.
Langfristig sehen wir die Aktie der Deutschen Post vor allem dank des starken Express-Geschäfts weiterhin als kaufenswert. Ziel: 39,00, Stopp 22,00
Sven Parplies