Die Kursturbulenzen seit dem Beginn des Ukraine-Krieges wirbeln die Bewertungen der börsennotierten Firmen durcheinander. Unter den 100 Unternehmen mit dem höchsten Börsenwert ist erstmals seit mindestens 17 Jahren kein deutsches mehr zu finden. Deutschland ist im ersten Halbjahr 2022 zum ersten Mal seit Beginn der Erhebung im Jahr 2006 nicht mehr in dieser Rangliste vertreten, wie die Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY am Sonntag mitteilte.

Als der am höchsten bewertete deutsche Konzern kommt mit einem Börsenwert von 106 Milliarden Dollar der Software-Anbieter SAP auf Platz 113, die Deutsche Telekom schafft es den Angaben zufolge mit 98 Milliarden Dollar auf Platz 120. Zudem belegt der einst deutsche Industriegase-Konzern Linde, der seit der Fusion mit Praxair seinen Hauptsitz in Irland hat, Rang 74. Das wertvollste europäische Unternehmen war Ende des ersten Halbjahres der Schweizer Nahrungsmittel-Konzern Nestlé auf Rang 20.

Saudi Aramco nun Nummer 1


Weltweit ist nun der Erdöl-Konzern Saudi Aramco mit einem Börsenwert von 2,3 Billionen US-Dollar das teuerste Unternehmen der Welt - noch vor Apple. Der iPhone-Konzern rutscht mit 2,2 Billionen Dollar auf Platz 2 ab.

Weiterhin dominieren den EY-Angaben zufolge US-Konzerne das Ranking. Die Zahl US-amerikanischen Konzerne, die sich zur Jahresmitte unter den 100 wertvollsten Unternehmen der Welt platzieren können, liegt bei 60. Vor einem halben Jahr waren es 61. Unter den Top 10 finden sich neben Apple zum Stichtag noch Microsoft, die Google-Muttergesellschaft Alphabet, Amazon, Tesla, die Investmentgesellschaft Berkshire Hathaway, der Krankenversicherer UnitedHealth, der Pharma- und Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson sowie der Facebook-Konzern Meta.

Billionen-Werte vernichtet - eine Branche legt zu


Der Kursrutsch an den Weltbörsen vernichtete im ersten Halbjahr 2022 Billionen-Werte. Allein die Marktkapitalisierung - also der Wert der an der Börse gehandelten Aktien - der 100 teuersten Unternehmen sank den Angaben zufolge im Verlauf der ersten sechs Monate um 17 Prozent oder 6,1 Billionen Dollar auf rund 29,8 Billionen Dollar. Der Börsenwert der lange favorisierten Technologie-Konzerne brach dabei gegenüber dem Jahresende 2021 um 28 Prozent ein. Die Öl- und Gas-Unternehmen unter den Top 100 steigerten ihren Börsenwert indes gegen den Trend um 19 Prozent.

"Die massiven politischen und wirtschaftlichen Turbulenzen im ersten Halbjahr haben deutliche Spuren an den Weltbörsen hinterlassen", sagte Henrik Ahlers, Vorsitzender der EY-Geschäftsführung. "Die erheblich eingetrübten Konjunkturaussichten, die hohe Inflation, steigende Zinsen und die massiven geopolitischen Spannungen haben zu einer tiefgreifenden Verunsicherung geführt - obwohl viele der Top-Konzerne nach wie vor hohe Gewinne ausweisen."

Ahlers rechnet mit einem sehr schwierigen zweiten Halbjahr: "Die Hiobsbotschaften häufen sich, viele Krisen, die sich teils gegenseitig befeuern, müssen bewältigt werden, die Gefahr einer weltweiten Rezession ist inzwischen real."

Digitalisierung wird prägen


Ahlers rechnet damit, dass der Digitalisierungsschub, den die Corona-Pandemie ausgelöst hat, die Wirtschaft und die Börsen in den kommenden Jahren entscheidend prägen dürfte. Hier seien Europa und Deutschland schwach aufgestellt. Von den aktuell 23 Technologie-Unternehmen im Top-100-Ranking haben demnach 17 ihren Hauptsitz in Nordamerika, vier in Asien und nur zwei in Europa. Insbesondere der Digitalisierungstrend ließ das Gewicht Europas an den Weltbörsen den Angaben zufolge in den letzten Jahren schrumpfen. Vor der Finanzkrise Ende 2007 kamen demnach noch 46 der 100 wertvollsten Unternehmen rund um den Globus aus Europa. Inzwischen sind es nur noch 16. Und Deutschland ist gar nicht mehr in der Top-Liga vertreten.

mmr mit rtr und dpa