Im Gegenteil: Viele Experten rechnen mit einer Dauerflaute in Europas größter Volkswirtschaft angesichts von Handelskonflikten, schwächerer Weltkonjunktur und Brexit-Unsicherheit. "Vorerst wird die Wirtschaft weiter mit Stagnation oder gar Rezession kokettieren", sagte der Deutschland-Chefvolkswirt der ING, Carsten Brzeski.
Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wuchs von Juli bis September um 0,1 Prozent zum Vorquartal, wie das Statistische Bundesamt am Freitag eine frühere Schätzung bestätigte. "Damit schrammte die deutsche Volkswirtschaft knapp an einer Rezession vorbei", sagte der Chefvolkswirt der VP Bank, Thomas Gitzel. Im zweiten Quartal ist es noch um 0,2 Prozent geschrumpft, im ersten hingegen um 0,5 Prozent gewachsen. Erst bei zwei Minus-Quartalen in Folge sprechen Ökonomen von Rezession, die es zuletzt zum Jahreswechsel 2012/13 gab. "Die Gefahren sind allerdings noch nicht gebannt", warnte Gitzel. "Die Handelsgespräche zwischen den USA und China erweisen sich weiterhin als schwierig. Der noch immer in der Warteschleife stehende Brexit schafft zusätzliche Unsicherheit."
Der Wirtschaftsweise Achim Truger rät der Bundesregierung, sich rechtzeitig auf schlechte Zeiten vorzubereiten: "Es wäre hilfreich, wenn man Investitionsprogramme in der Schublade hätte und sie schnell hervorziehen könnte", sagte er Reuters. Öffentliche Investitionen bräuchten immer einen Vorlauf. "Wegen großen Bedarfs sollte man zügig in eine Investitionsoffensive einsteigen. Das würde ich aber nicht konjunkturpolitisch begründen", sagte der Duisburger Experte für Staatsfinanzen, der vor allem Nachholbedarf bei Bildung und Infrastruktur sieht.
"AUCH EINIGE DIENSTLEISTER IN REZESSION"
Fest in der Rezession steckt hingegen auch am Jahresende die Industrie: Deren Einkaufsmanagerindex stieg im November zwar um 1,7 auf 43,8 Punkte, wie das Institut IHS Markit bei seiner Umfrage unter Hunderten Firmen herausfand. Allerdings zeigt das Barometer erst ab 50 ein Wachstum an. "Neben der Industrie befinden sich nun auch die ersten Dienstleistungsbranchen formal in einer Rezession: Handel, Gastgewerbe und Verkehr sowie die Unternehmensdienstleister", sagte DekaBank-Ökonom Andreas Scheuerle. "Auch an einer anderen Stelle merkt man die Kollateralschäden der globalen Unsicherheit und der Probleme der Automobilindustrie deutlich: Der kräftige Rückgang der Ausrüstungsinvestitionen zeigt, dass die Unternehmen stark auf die hohe Unsicherheit reagiert haben."
Die Investitionen in Ausrüstungen wie Maschinen und Fahrzeugen gingen im abgelaufenen Quartal um 2,6 Prozent zurück. Positive Impulse kamen im Sommer vom Konsum: Die Verbraucher gaben 0,4 Prozent mehr aus, der Staat sogar 0,8 Prozent. Die Exporte wuchsen nach einem schwachen Vorquartal sogar um 1,0 Prozent, während die Importe nur um 0,1 Prozent zulegten. "Daneben wurde in Bauten deutlich mehr investiert als im Vorquartal", betonten die Statistiker. Hier gab es ein Plus von 1,2 Prozent. "Auch die Investitionen in sonstige Anlagen, zu denen unter anderem die Ausgaben für Forschung und Entwicklung zählen, stiegen um 1,0 Prozent", hieß es.
Die Industriestaaten-Organisation OECD sagt der deutschen Wirtschaft daher eine Dauerflaute voraus. Demnach reicht es im laufenden Jahr nur zu einem Wachstum von 0,5 Prozent, dem 2020 ein Plus von 0,8 Prozent folgen solle. 2021 soll es auch nur zu 0,9 Prozent reichen.
rtr