Die Befürchtung der Börsianer: Schwächelt die Wirtschaft im Reich der Mitte, könnte das in bestimmten Branchen zu empfindlichen Einbrüchen führen. Vor allem für den Maschinen- und Fahrzeugbau ist China ein wichtiger Absatzmarkt. Beispielsweise verkauft Volkswagen fast vier von zehn Autos dort und plant im Land weitere umfangreiche Investitionen. Entsprechend gehörte die Aktie der Wolfsburger zu den Hauptverlierern. Auch BMW und Daimler kamen massiv unter die Räder. Von den 19 DAX-Werten, die unsere Redaktion bisher mit "Kaufen" bewertet hatte, fielen acht unter die empfohlenen Stoppkurse.
BÖRSE ONLINE hat die massive Korrektur zum Anlass genommen, die gemessen an der Marktkapitalisierung 100 größten deutschen Aktien unter die Lupe zu nehmen und neu zu bewerten. Unser Universum umfasst sämtliche Dividendenpapiere, bei denen mindestens zehn Prozent des Aktienkapitals frei gehandelt werden. Während der größte Wert Bayer auf fast 101 Milliarden Euro Börsenwert kommt, muss selbst der kleinste Titel - der Immobilienkonzern Patrizia Immobilien - gut 1,58 Milliarden Euro mitbringen, um gerade noch in die Liste zu rutschen.
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Größe ist Trumpf
In der Summe stehen die 100 Titel für einen Börsenwert von 1,46 Billionen Euro. Die Dickschiffe haben voriges Jahr gemeinsam einen Umsatz von knapp 1,88 Billionen Euro erzielt. Zum Vergleich: Das deutsche Bruttoinlandsprodukt lag im gleichen Zeitraum bei knapp 2,92 Billionen Euro. Unter Anlagegesichtspunkten ist die Unternehmensgröße ein entscheidender Faktor. Denn für viele institutionelle Anleger aus dem In- und Ausland gilt ein Börsenwert von einer Milliarde Euro als Mindestgröße für ein Investment. Deutschland hat derzeit 145 solcher Bluechips zu bieten.
Unter den 100 wichtigsten deutschen Aktien sind natürlich alle DAX-Titel vertreten. Dazu kommen 43 Werte aus dem MDAX, dem Index für mittelgroße Werte. Während der Nebenwerteindex SDAX aktuell mit acht Papieren vertreten ist, steuert das Auswahlbarometer für Technologieaktien, der TecDAX, 13 Titel bei. Nur sechs Unternehmen - BB Biotech, BUWOG, Deutsche Pfandbrief, Porsche, TUI und Rocket Internet - sind in keinem der vier Auswahlindizes gelistet. Der Immobilienfinanzierer Deutsche Pfandbrief hat allerdings gute Chancen, bei der nächsten Indexüberprüfung am 3. September (nach Redaktionsschluss) in den MDAX oder SDAX aufzusteigen. Die Aktie ist einer von 55 Kandidaten, welche die Redaktion von BÖRSE ONLINE derzeit mit "Kaufen" beurteilt (die dazugehörige Tabelle finden Sie exklusiv in der Printausgabe).
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Stimmung bleibt gut
Bei der Frage, ob die durch China ausgelösten Turbulenzen nur vorübergehend sind oder einen längerfristigen Trend markieren, sollten sich Anleger einige Zahlen vor Augen halten: Das Reich der Mitte ist zwar zum viertgrößten Handelspartner Deutschlands aufgestiegen. Im vergangenen Jahr gingen aber nur 6,6 Prozent aller deutschen Exporte dorthin. Gemessen an der gesamten Wirtschaftsleistung wären die negativen Folgen eines Einbruchs der Ausfuhren nach China also gering.
Entsprechend optimistisch zeigen sich die Chefetagen der deutschen Unternehmen. Wie das Münchner Wirtschaftsforschungsinstitut Ifo in seiner Umfrage unter 7000 Managern herausgefunden hat, stieg das Barometer für das Geschäftsklima im August um 0,3 auf 108,3 Punkte. Ökonomen hatten hingegen mit einem Rückgang des Ifo-Index auf 107,7 Zählern gerechnet. "Die deutsche Wirtschaft bleibt ein Fels in der Brandung", sagt Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn. Die Unternehmen ließen sich von der chinesischen Wirtschaftspolitik zumindest derzeit noch nicht verunsichern, meint KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner: "Das freut mich, denn die Finanzmärkte übertreiben."
Auch die Experten von JP Morgan halten die derzeitigen Kurseinbrüche für überzogen. "Die pessimistische Stimmung scheint überwältigend zu sein, während wir zugleich feststellen, dass eine Reihe wichtiger Variablen dieses negative Bild nicht untermauern", erklärt Aktienstratege Mislav Matejka. Die immensen Sorgen um das Wachstum der Weltwirtschaft ließen sich weder mit den Entwicklungen in China noch mit wichtigen europäischen Konjunkturdaten oder der jüngsten Quartalsberichtssaison begründen.
Erfolgreiche Quartalsberichtssaison
In der Tat sind bei den meisten deutschen Firmen keinerlei Bremsspuren zu erkennen. Nach Berechnungen der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) haben im zweiten Quartal 17 der 30 DAX-Konzerne mehr Geld verdient als von Analysten erwartet, darunter die Schwergewichte Bayer, Daimler, Deutsche Bank und Siemens. Auch bei der Vorausschau aufs Gesamtjahr überwiegen positive Signale. Die DZ Bank erwartet, dass 16 der 30 DAX-Konzerne 2015 neue Umsatzrekorde und zwölf Indexmitglieder neue Bestmarken beim Gewinn vor Steuern erreichen. Enttäuschungen seien hingegen meist durch Sondereffekte zu erklären. Beispielsweise haben Streiks die Ergebnisse der Deutschen Post und der Lufthansa verhagelt.
Auch der Blick auf die wichtigsten -Bewertungskennziffern des DAX fällt ermutigend aus. So beträgt das Index-Kurs-Gewinn-Verhältnis (Index-KGV) auf Basis der Analystengewinnprognosen fürs kommende Jahr gerade mal 11,8. Damit liegt der DAX zwar hauchdünn über dem langjährigen Schnitt. Angesichts der Ausnahmesituation an den Märkten, bedingt durch die extrem niedrigen Zinsen, sind Aktien damit aber alles andere als teuer. Von den KGV-Niveaus vergangener Übertreibungsphasen ist der Markt ohnehin weit entfernt: Zur Jahreswende 1999/2000 war das Index-KGV kurzzeitig auf über 30 angeschwollen.
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Selektion ist entscheidend
Ähnlich positiv fallen die Vergleiche bei anderen Kennzahlen aus. Während das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV) für den DAX aktuell bei 1,55 liegt, belief es sich zur Hochphase 2007 auf gut zwei. Im Aktienboom zur Jahrtausendwende zahlten Anleger für DAX-Papiere im Schnitt sogar mehr als den dreifachen Buchwert. Mit einer durchschnittlichen Dividendenrendite von 2,9 Prozent sind die 30 DAX-Titel zudem deutlich höher "verzinst" als Bundesanleihen, die derzeit mit gut 0,7 Prozent rentieren. Die Aktien der Indizes MDAX und SDAX sind zwar geringfügig höher bewertet, aber auch hier schlägt der Kennziffernvergleich noch keinen Alarm. Lediglich der TecDAX fällt mit einem 2016er-KGV von mehr als 22 und einem KBV von über drei aus der Reihe. Hier empfiehlt es sich für Anleger, noch mehr als bei den anderen Indizes selektiv vorzugehen.
Zu den Dauerläufern, die in keinem gut sortierten Depot fehlen dürfen, gehören Fresenius, Deutsche Annington und United Internet. Die Aktie des Gesundheitskonzerns Fresenius trotzt seit Jahren jeder Marktkorrektur. Zuletzt hat die Ankündigung einer Dividendenanhebung "um mindestens 20 Prozent" die Notierung gestützt. Zudem sollte der Aufstieg in den Euro Stoxx 50 per 21. September dem Kurs Rückenwind verleihen. Der Immobilienkonzern Deutsche Annington, der demnächst in Vonovia umfirmiert, hat seinen Bestand an Wohnungen durch Zukäufe auf 350 000 ausgebaut und weitere Akquisitionen im Visier. Je stärker die Gesellschaft wächst, umso mehr profitiert sie von Synergieeffekten.
Im TecDAX führt an United Internet kein Weg vorbei. Der Onlinekonzern, bekannt durch seine Marken 1 & 1, GMX und Web.de, hat die Zahl seiner kostenpflichtigen Kundenverträge im ersten Halbjahr 2015 um 430 000 auf 15,2 Millionen gesteigert. Für Fantasie sorgt die mögliche Abspaltung des Teilbereichs mit Anwendungen für Geschäftskunden.
Trotz Stopp ein Kauf
Zu den Aktien, die unter unsere empfohlenen Stoppkurse gefallen sind, die wir aber umgehend wieder mit "Kaufen" beurteilen, gehören Gea Group, Hella sowie Nordex. Die Aktie des Anlagenbauers Gea Group haben neben der allgemeinen Marktschwäche Sorgen um die Auftragsentwicklung nach unten gezogen. Allerdings ist der Kursverfall übertrieben. Denn das mittelfristige Ergebnis- und Margenpotenzial ist dank des laufenden Sparprogramms erheblich. Hella blickt nach einem erfolgreichen Geschäftsjahr 2014/15, das ein Umsatzplus von 9,2 Prozent auf 5,8 Milliarden Euro und einen Zuwachs beim operativen Gewinn von zwölf Prozent auf 445 Millionen Euro hervorbrachte, zuversichtlich nach vorn: Die starke Nachfrage nach hochwertigen Licht- und Elektronikprodukten hält an.
Der Windkraftanlagenbauer Nordex hat nach einem starken ersten Semester seinen Ausblick für das Gesamtjahr angehoben. Nun soll der Umsatz von 1,7 Milliarden Euro im Vorjahr auf zwei bis 2,2 Milliarden klettern. Bislang lag die Prognose bei 1,9 bis 2,1 Milliarden. Die operative Marge soll weiter bei fünf bis sechs Prozent liegen. Kommen neue Großaufträge, dürfte auch bei der neuen Vorhersage noch Luft nach oben sein.
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Gewinne nicht aufgezehrt
Trotz der teils massiven Kursstürze weisen etliche Aktien seit Jahresbeginn hohe Gewinne auf. Sechs Papiere haben um 50 Prozent oder mehr zugelegt. Den Vogel schossen die Anteile von Ströer mit einem Kursplus von mehr als 107 Prozent ab.
Der Aktienkursverlauf verdeutlicht den erfolgreichen Wandel von einem auf Außenwerbung spezialisierten Unternehmen zum digitalen Werbevermarkter, der jüngst in der Übernahme von T-Online gipfelte. 2016 will die Gesellschaft den Umsatz auf eine Milliarde Euro nach oben hieven und eine operative Marge zwischen 23 und 24 Prozent erreichen. Diese Perspektiven spiegelt der Kurs noch gar nicht wider.
Immerhin neun der 100 Aktien notieren ungeachtet der allgemeinen Marktkorrektur weniger als fünf Prozent von ihrem Jahreshoch entfernt. Auch diese Titel sind einen Blick wert, denn wer sich in einer solchen Marktphase charttechnisch derart stabil zeigt, ist meist auch bei einem Wiederaufschwung an den Märkten vorn dabei. Exakt am Jahreshoch notiert DMG Mori. Bei dem deutschen Werkzeugmaschinenbauer hat der gleichnamige japanische Mehrheitsaktionär die Übernahmeofferte zwar bereits zweimal erhöht. Doch dem US-Hedgefonds Elliott, der seine Beteiligung auf zehn Prozent aufgestockt hat, ist das offenbar nicht genug. Gut möglich, dass die auf öffentliche Übernahmen spezialisierte Gesellschaft hier noch etwas mehr herausholen kann.
Auch der Aktie von Grenkeleasing konnte die Marktkorrektur kaum etwas anhaben. Der Konzern profitiert vom Trend, wonach Unternehmen ihren IT-Bedarf zunehmend durch Leasing decken anstatt Geräte zu kaufen. Im ersten Halbjahr legte das Neugeschäft so stark zu, dass das Management die Prognose anhob. Demnach soll der Gewinn im laufenden Jahr um 14 bis 20 Prozent auf 74 bis 78 Millionen Euro (zuvor 71 bis 75 Millionen) klettern. Angesichts der hervorragenden Wachstumsaussichten lässt das aktuelle Kursniveau noch Luft nach oben.
Schrittweise investieren
Aus Sicht der Charttechnik dürfte die turbulente Marktphase durchaus noch andauern. Daher könnte für Anleger der Einstieg auf Raten sinnvoll sein. Die erste Hälfte der geplanten Gesamtposition kann sofort eingegangen werden, die zweite Hälfte nach einem weiteren Kursrückgang. Als erster Anhaltspunkt, wo der Markt einen Boden finden könnte, dient das Zwischentief bei 9338 Punkten. Sollte der DAX darunter fallen, findet sich um 8350 Punkte ein massives Bollwerk. Egal, ob Wahlen wie in Griechenland am 20. September oder in der Türkei am 1. November, eine Verschärfung der China-Problematik, ein Wiederaufflammen der Russland-Ukraine-Krise oder das Ende der lockeren US-Geldpolitik - Risikofaktoren gibt es zuhauf.
Doch auch eine schnelle Marktberuhigung scheint - zumindest beim Blick auf frühere Entwicklungen - denkbar. Im Herbst 2014 war der DAX innerhalb weniger Wochen um rund 15 Prozent auf gut 8350 Punkte eingebrochen, ehe sich der Index in einer V-förmigen Bewegung erholte und bereits Ende November seine Verluste komplett wieder wettgemacht hatte.