Vor wenigen Tagen musste die im Mai 2014 angetretene Regierung unter Narendra Modi ihren ersten schweren Rückschlag hinnehmen. Bei den Parlamentswahlen im Hauptstadtterritorium rund um Delhi sorgte die erst vor 27 Monaten gegründete Aam-Aadmi- Partei (AAP) für eine Sensation: Sie konnte 67 der 70 Sitze erringen. Modis hindu-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP), noch vor wenigen Monaten euphorisch gefeiert, gewann lediglich drei Mandate. Der vom Nehru-Gandhi-Clan dominierte Indische Nationalkongress, seit der Unabhängigkeit 1947 die dominierende politische Kraft im Land, erhielt peinlicherweise keinen einzigen Sitz.

Das Parteisymbol der AAP, der "Partei des kleinen Mannes", ist der Besen - wie im Sprichwort "Neue Besen kehren gut". Eigentlich wäre das ein Motto, das gut zu Modi passen würde. Seine Regierungskoalition agiert bislang für indische Verhältnisse wirtschaftsliberal, pragmatisch und reformfreudig. Das Wahlprogramm des 46-jährigen AAP-Chefs Arvind Kejriwal, traf jedoch in weiten Teilen der Bevölkerung einen Nerv. Die AAP hat sich den Kampf gegen die grassierende Korruption auf die Fahnen geschrieben und vereint Revoluzzer-Anarchismus mit sozialistischen Ideen und Unternehmenskritik. Als erste Amtsmaßnahmen plant Kejriwal unter anderem ein umfangreiches Subventionsprogramm für Wasser und niedrigere Strompreise. Die jüngsten Wahlen in Delhi sind in ihrer Bedeutung ungefähr mit den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus vergleichbar, auf den ersten Blick also für die Bundespolitik Indiens nicht entscheidend. In zweierlei Hinsicht kommt der Aufstieg Kejriwals jedoch einem politischen Erdbeben gleich.



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Politaufsteiger mit Ambitionen

Zum einen strahlt ein symbolträchtiger Wahlerfolg in Delhi in andere Teile des Landes mit seinen insgesamt 1,26 Milliarden Einwohnern aus. Die AAP könnte bald in den Wahlkampf in Uttar Pradesh, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat Indiens, sowie im Punjab einsteigen - sich also als nationale Kraft zu etablieren versuchen.

Zum anderen markiert Kejriwals Wahlerfolg möglicherweise eine historische Wende. Der Nationalkongress, der sich in der Vor-Modi-Ära vor allem durch Klüngelei und organisierten Stillstand hervorgetan hat, ist politisch völlig ins Abseits geraten - und wird möglicherweise auf Jahre hinaus dort verharren. Die AAP könnte künftig die Rolle der führenden Oppositionspartei in Indien spielen.

Im Vorfeld der Volksabstimmung in Delhi hatten die indischen Börsen sensibel auf Kejriwals linkslastige Wahlkampfversprechen reagiert und sieben Tage in Folge empfindliche Kursrückgänge verbucht. Hinzu kam, dass das vierte Quartal 2014 für Indiens Großunternehmen insgesamt holprig und überraschend enttäuschend verlief. Die Gewinne vieler Firmen blieben hinter den Analystenerwartungen zurück, sanken oftmals sogar deutlich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum - beispielsweise beim Bauunternehmen Larsen & Toubro.

Anleger sollten den aktuellen Dämpfer an den seit Langem boomenden Börsen dennoch für den Einstieg oder für Zukäufe nutzen. Modi hat zwar einen Rückschlag erlitten, verfügt aber weiterhin über eine beträchtliche Machtfülle und verfolgt in wirtschaftlicher Hinsicht eine insgesamt überzeugende Reformpolitik, die Indiens Wachstum steigern dürfte.

Auf Seite 3: Trotzdem ist Vorsicht geboten



Investoren sollten sich allerdings nicht von den jüngst vorgelegten Wachstumszahlen - 7,4 Prozent in der ersten Hälfte des Fiskaljahres 2014/15 (per Ende September 2014) - blenden lassen. Diese Revision von zuvor vermeldeten 5,5 Prozent ist die Folge einer Änderung der Berechnungsmethode. Wenngleich mit dem schönen Nebeneffekt, dass Indiens Wirtschaftswachstum dank der statistischen Umstellung 2015 nun voraussichtlich bei knapp sieben Prozent liegen wird, höher als in China. Zudem hat Raghuram Rajan, der Gouverneur der Reserve Bank of India (RBI), Mitte Januar überraschend die Zinsen gesenkt. Dafür gibt es weiteren Spielraum, weil die Inflation im Zuge des Ölpreisverfalls aktuell deutlich sinkt. Anders als die westlichen Notenbanken druckt die RBI nicht in großem Stil Geld, was den Außenwert der Rupie, in den vergangenen zwölf Monaten eine der stärksten Währungen der Welt, rasant steigen lässt. Um den Aufwertungsdruck zu bremsen, kauft Rajan US-Dollars und verkauft Rupien. Die Folge: Die Devisenreserven lagen Anfang Februar mit gut 330 Milliarden US-Dollar auf Rekordniveau.

Neue Details zum Reformkurs

Im Auge behalten sollten die deutschen Anleger nun die in Kürze anstehende Präsentation des Staatshaushalts für das nächste Fiskaljahr (ab 1. April), bei der Finanzminister Arun Jaitley den künftigen Reformkurs erläutern dürfte. Eine weitere Zinssenkung durch die RBI - in der Regel ein Treibsatz für Börsenkurse - könnte schon am 7. April folgen.

Anleger, die in Indien investieren wollen, sollten dies angesichts der inzwischen relativ hohen Bewertungen mit Augenmaß tun, Rückschläge aber konsequent nutzen. Aus Sicht der Redaktion sind der Industriekonzern Reliance Industries sowie die indischen Privatbanken HDFC Bank, ICICI und Axis Bank für langfristig orientierte Investoren interessant. Wem es zu riskant ist, auf einzelne Aktien zu setzen, kann Fonds wie den Danske India A kaufen. Hier kümmert sich ein Profi um die Titelauswahl. Indexfonds wie der Lyxor ETF MSCI India verzichten dagegen auf einen Fondslenker und sind im Gegenzug preiswerter.

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