von Daniel Wild, Vorstandschef der Ecommerce Alliance

Die IPOs von Zalando und Rocket Internet waren viel mehr als ein normales Going Public. Denn mit den beiden Vertretern konnte die deutsche Internetindustrie ein Comeback in der öffentlichen Wahrnehmung feiern. Jahrelang fristeten selbst gute und erfolgreiche Webfirmen aus Deutschland ein Schattendasein, weil sie im Glanz übermächtiger Konkurrenten aus den USA wie Facebook oder Amazon übersehen wurden. Doch nun interessieren sich die Medien wieder, und die Investoren sind bereit, auch für innovative heimische Webschmieden tief in die Tasche zu greifen.

Doch mit dem Rampenlicht kehrt auch eine uralte Debatte zurück, die schon zuzeiten der sogenannten New Economy in den 90er-Jahren hohe Wellen geschlagen hat: Darf man für Unternehmen, die noch nie Gewinne ausgewiesen haben, so hohe Bewertungen aufrufen und derart üppige Preise bezahlen? Auch Zalando und Rocket wurde vorgerechnet, dass sie an der Börse auf einem Level beispielsweise mit der Deutschen Lufthansa spielten. Also alles nur eine einzige Übertreibung? Mitnichten.

Auf Seite 2: Zur Entwicklung eines Marktführers



Auf den ersten Blick wirken die Summen zwar recht fantastisch, die selbst für solche Internetunternehmen aufgerufen werden, die erst ein paar Jahre existieren. Doch schaut man genauer hin, wird klar, dass bei Internetunternehmen wie in keiner anderen Branche konsequent die Zukunft bewertet und bezahlt wird. Investoren kaufen hier potenzielle künftige Marktführer im E-Commerce in großen Märkten. Ähnlich wie bei Amazon muss in den Aufbau von Marktführern einige Jahre sehr viel investiert werden. Sind die Firmen dann oben angekommen, können sie sehr viel Geld verdienen. Investoren, die Rocket- oder Zalando-Aktien gezeichnet haben, bewerten diese Zukunftschancen.

Das eigentlich Erstaunliche an der Web- und E-Commerce-Branche ist aber die Geschwindigkeit, mit der sich der gesamte Prozess vollzieht. Das Internet entwickelt sich ständig weiter, ebenso müssen sich auch neue Geschäftsmodelle im Eiltempo etablieren. Vor 20 Jahren war Google noch ein Fremdwort, vor zehn Jahren kannte kaum jemand Facebook. Heute sind das zwei der größten Konzerne der Welt. Was für solche Giganten gilt, das muss auch jeder innovative Internetunternehmer beherzigen, wenn er mit seinem Geschäftsmodell erfolgreich sein will: Am Anfang stehen stets hohe Anfangsinvestitionen und -verluste. Denn die Marktführerschaft muss so rasch wie möglich erreicht werden. Auf dem Weg dorthin ist die einzig wirkliche Stellgröße das Wachstum. Je schneller der Kundenstamm aufgebaut und vergrößert wird, desto besser. Daher investieren Internetunternehmen jeden freien Cent in zukünftiges Wachstum und zeigen in den ersten Jahren vielfach überhaupt keinen Gewinn - auch wenn Banken und Investoren natürlich immer lauter danach rufen. Vereinfacht gesagt: Besser schnell wachsen und sehr groß werden als langsam wachsen und schnell (kleine) Gewinne zeigen - denn dann steigt die Gefahr, von der Konkurrenz überholt zu werden.

Auf Seite 3: Was das für Investoren bedeutet



Das heißt für Investoren natürlich nicht, dass sie ihr Geld quasi in eine nicht zu kalkulierende Blackbox angelegt haben. Ganz im Gegenteil: Sogenannte Seed-Investoren, die in frühen Phasen in Web- oder E-Commerce-Modelle investieren, können die Verfassung ihrer "Schäfchen" heute mit fast wissenschaftlicher Präzision auf Herz und Nieren prüfen - über sogenannte Key Performance Indicators (KPI) und eben nicht über klassische Kennzahlen wie Ebit oder Überschuss. Kann ein Geschäftsmodell mit Kunden letztlich mehr Geld einnehmen, als es zu ihrer Gewinnung zuvor ausgegeben hat? Fällt diese Rechnung positiv aus, ist das für Internetfirmen in frühen Phasen deutlich mehr wert, als am Ende des Jahres Gewinne auszuweisen. Zugegeben: Ein bisschen Übertreibung ist wohl bei jedem Börsengang dabei. Allerdings wirkt die Übertreibung nun so stark, weil in Deutschland über viele Jahre Internetfirmen pauschal unterschätzt wurden.

Daniel Wild

Der Diplom-Kaufmann und MBA Daniel Wild ist CEO der Ecommerce Alliance, einer im Entry Standard notierten und auf E-Commerce spezialisierten Beteiligungsgesellschaft. Der 43-jährige Unternehmer gilt als einer der erfahrensten und erfolgreichsten Internet- bzw. Seed-Investoren in Deutschland. Seit 2001 hat er in mehr als 100 Start-ups investiert, darunter Xing (damals Open BC), Lokalisten und Trivago.