Kaufen, wenn die Kanonen donnern" lautet ein altes Börsensprichwort. Zumindest was die Heftigkeit des Knalls angeht, passt diese Weisheit gut in die aktuelle Zeit. Denn die von Covid-19 ausgelöste Marktkorrektur hat kein Börsensegment verschont. So kam es auch bei den Nebenwerten zu enormen Verwerfungen. Um knapp 40 Prozent rauschte etwa der SDAX in die Tiefe. Ist aber nun wirklich die Zeit der Schnäppchenjäger gekommen?
Geht es nach den Experten der DZ Bank, lautet die Antwort Ja. "Wenn die Unsicherheit am größten ist, sich jedoch die Risikoaversion und damit einhergehend die Übertreibung nach unten lockert, können sich großartige Chancen für risikobereite Investoren ergeben", konstatiert Analyst Michael Bissinger. Eine ähnliche Meinung vertritt Fondsmanager Björn Glück von Lupus alpha: "Einige Aktien werden bereits unter ihrem Buchwert gehandelt."
Das Risiko bleibt hoch
Zugegeben, in dem Ausverkauf wurde kaum zwischen hoch- und minderwertigen Titeln unterschieden, sondern das Gros der Unternehmen in Sippenhaft genommen. Tatsächlich leiden einige Branchen unter den momentanen Einschränkungen des öffentlichen Lebens massiv und müssen daher operativ die höchsten Einbußen verkraften. So meldete etwa die Restaurantkette Vapiano bereits Insolvenz an, und den Reisekonzern TUI hält nur noch ein milliardenschwerer Staatskredit über Wasser.
Dass die Lage weiterhin ernst ist, zeigt nicht zuletzt die Fülle von Prognosesenkungen und Dividendenausfällen. Laut DZ Bank finden sich die Folgen der Corona-Krise in den Gewinnschätzungen der Analysten aber bisher nur unzureichend wieder. "Die Wahrscheinlichkeit, dass die Aktienmärkte die Tiefs nochmals testen, sollte daher nicht unterschätzt werden", gibt Experte Bissinger zu bedenken. Ein Blick in den Rückspiegel verdeutlicht die Situation: In der Finanzkrise 2008/09 gingen die Prognosen mehrere Monate nach unten, bis die Kurse ihr Tief erreichten.
Von diesem Punkt scheinen die Börsen heute aber noch ein Stück entfernt zu sein. Dass Deutschland und dem Rest der Welt eine Rezession bevorsteht, ist unter Ökonomen zwar längst eine ausgemachte Sache, die Frage ist jedoch, wie stark sie ausfallen wird. Je länger der Lockdown dauert, desto heftiger dürfte sich die realwirtschaftliche Abwärtsspirale drehen. Prognosen des Ifo-Instituts zufolge wird die Corona-Pandemie dafür sorgen, dass die deutsche Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um 4,2 Prozent schrumpfen wird. Um eine noch größere Talfahrt zu vermeiden, greifen Geld- und Finanzpolitik der Konjunktur kräftig unter die Arme. So kündigte die US-Notenbank Fed kurz vor der Veröffentlichung des jüngsten desaströsen Arbeitsmarktberichts neue billionenschwere Hilfen an. Auch die europäischen Finanzminister einigten sich kurz vor Ostern auf eine Unterstützung der Wirtschaft. Dafür sollen mindestens 500 Milliarden Euro lockergemacht werden.
Die Strategie, mit der Geld-Bazooka die Krise zu bekämpfen, half den Börsen zuletzt wieder auf die Beine. Der SDAX holte vom Tief aus bereits wieder mehr als ein Viertel auf. Dennoch finden sich noch einige Titel, die zu Unrecht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Dies gilt vor allem für den deutschen Mittelstand. "Mit vielen Nebenwerten sind spannende Geschichten verbunden, die von der Zukunftsfähigkeit der Unternehmen zeugen", sagt etwa WBS-Vermögensverwalter Thomas Hünicke.
Wir haben Ausschau nach interessanten Small Caps gehalten und sind dabei auch fündig geworden. Anleger sollten ihr Pulver aber nicht sofort verschießen, da sich die hohe Volatilität an den Märkten noch eine Weile fortsetzen könnte. Das Depot "scheibchenweise" mit Nebenwerten zu bestücken scheint uns eine angemessene Strategie zu sein.
Sechs Nebenwerte mit Potenzial
Seit knapp drei Jahrzehnten widmet sich PVA Tepla der Vakuumtechnik. Heute sind die Hessen mit ihren innovativen Anlagen für Vakuum-, Hochtemperatur- und Plasmaprozesse vom Markt kaum mehr wegzudenken. Allein in den vergangenen fünf Jahren ist der Umsatz kontinuierlich um knapp 13 Prozent pro Jahr gestiegen, das Ergebnis legte gar um 163 Prozent pro Jahr zu. Ein detaillierter Blick auf 2019 unterstreicht den Erfolgkurs. Die Erlöse erhöhten sich um 35 Prozent, das Ebit um 29,5 Prozent und das Book-to-Bill-Ratio (Verhältnis vom Auftragseingang zum Umsatz) liegt bei hoffnungsvollen 1,3. "Mit unseren führenden Technologien in der Kristallzucht und Metrologie sind wir hervorragend aufgestellt, was unsere gut gefüllten Auftragsbücher zeigen", sagt Vorstandschef Alfred Schopf.
Allerdings mahnt der Firmenlenker auch zur Vorsicht: "Durch den Ausbruch des Coronavirus befinden wir uns in einer Ausnahmesituation, die große Unsicherheiten mit sich bringt." Mittelfristig sind die weiteren Wachstumsaussichten aber seiner Ansicht nach intakt. Selbst 2020 muss laut Hartmut Moers von Matelan Research noch nicht abgeschrieben werden: "Da sich die Krise in China bereits etwas entspannt hat, besteht eine gute Wahrscheinlichkeit, dass sich die verschobenen Verkäufe im Laufe des Jahres erholen, sodass 2020 noch ein Wachstum von 25 Prozent erwartet werden kann."
In Sachen Vakuum kennt sich auch Va-Q-tec bestens aus. Die mittelständische Hightechfirma entwickelt seit 2001 innovative Dämmlösungen auf Basis von energieeffizienten, platzsparenden und zugleich umweltfreundlichen Vakuumisolationspaneelen. Die Produkte kommen unter anderem beim Transport von Pharma- zeutika, in Kühl- und Gefriergeräten oder auch in Autos sowie Flugzeugen zum Einsatz. Und das mit steigender Tendenz. 2019 legte der Umsatz um 28 Prozent zu.
Das Wachstum wurde vor allem von dem margenstarken Servicegeschäft angefeuert, das sich um 62 Prozent verbesserte. Darin enthalten ist das Container- und Boxenvermietungsgeschäft für den Transport temperatursensibler Güter wie jene aus dem Gesundheitsbereich. Ein Segment, das während der aktuellen Pandemie verstärkt nachgefragt werden dürfte. Auf der Ergebnisseite drückte Va-Q-tec zuletzt noch stärker aufs Tempo. Das operative Ergebnis verdreifachte sich auf zehn Millionen Euro. Für 2020 ist die Firma trotz Covid-19 optimistisch und geht von einem moderaten bis mittelstarken Erlösplus bei gleichbleibender Profitabilität aus. Dass das Vertrauen in das künftige Geschäft hoch ist, beweisen jüngste Insiderkäufe. Aufsichtsrat Gerald Hommel steckte knapp 50 000 Euro bei einem Kurs von 9,48 Euro in eigene Aktien.
Eine gute Marktstellung im Gesundheitssektor hat Medios. Die Spezialpharma- firma steht auf zwei Beinen: Arzneimittelversorgung und patientenindividuelle Therapien. 2019 kletterte der Umsatz um 57,6 Prozent auf 516,8 Millionen Euro. Das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) kam ebenfalls um mehr als die Hälfte voran. Damit wurde die im September deutlich angehobene Prognose sogar leicht übertroffen. "2019 war das erfolgreichste Geschäftsjahr in unserer Firmengeschichte", freut sich Finanzchef Matthias Gärtner. Und er blickt positiv nach vorn: "Für 2020 gehen wir von einem weiterhin anhaltenden Wachstum aus." Da Medios über ein relativ konjunkturunabhängiges Geschäftsmodell verfügt, erwartet Gärtner einen Konzernumsatz von 610 bis 670 Millionen Euro sowie ein bereinigtes Ebitda von 19,5 bis 22,5 Millionen Euro. Auch wenn Medios fast die ganzen Kursverluste der letzten Wochen wieder aufgeholt hat, ist die Aktie weiterhin unterbewertet.
Gute Auftragslage
Wenig Gegenwind spürt indes der Spezialist für innovative Materialien IBU-tec. Die Produktion läuft derzeit an allen Standorten planmäßig, bestehende Aufträge werden termingerecht umgesetzt und die Aufträge für die kommenden Monate seien derzeit robust, heißt es aus der Zentrale. "In der aktuellen Krise bewährt sich die breite Diversifizierung unseres Unternehmens mit mehreren Hundert Einzelprojekten pro Jahr und einer Vielzahl von Kunden aus den unterschiedlichsten Branchen", sagt Vorstandschef und Großaktionär Ulrich Weitz. Die Aktie notiert trotz der positiven Aussichten immer noch ein Drittel unter dem Niveau von Mitte Februar und hat damit deutliches Comeback-Potenzial.
Digitale Erlebnisse und Produkte für Marken, Firmen und Menschen sind die Kompetenzen der Medienagentur Syzygy. Die Bad Homburger zählen das Who’s who der deutschen und internationalen Wirtschaft zu ihren Auftraggebern, darunter BMW, die Commerzbank und Paypal. Aufgrund einer Schwäche der Auslandstöchter musste das Unternehmen 2019 etwas kleinere Brötchen backen. Allerdings lief das Kerngeschäft in Deutschland, das für drei Viertel der Konzernerlöse steht, auf Hochtouren. Im laufenden Jahr könnte es zwar holprig werden. Wegen der Corona-Krise rechnet der Vorstand 2020 mit rückläufigen Erlösen im Bereich zwischen zehn und 20 Prozent sowie einer Ebit-Marge im mittleren einstelligen Bereich (2019: 8,6 Prozent). Eine kurze Durststrecke ist für die Firma allerdings kein Problem, die Eigenkapitalquote liegt bei soliden 44,3 Prozent. "Dies erhöht die Flexibilität in einem möglichen Krisenszenario", so die Analysten von GBC. Auch operativ ist Syzygy gut aufgestellt und kann schnell wieder auf Wachstum umschalten. GBC erwartet für 2021 und 2022 einen Umsatzanstieg von jeweils 15 Prozent sowie eine prozentual zweistellige Marge.
Ganz ungeschoren wird Eckert & Ziegler (E & Z) nicht durch die Viruskrise kommen. Der Medizin- und Strahlentechnikspezialist rechnet mit leichten Einbußen bei Umsatz und Gewinn. Erste Auswirkungen der Pandemie bekommt E & Z bereits zu spüren, da in mehreren Ländern Operationen verschoben wurden. Allerdings dürften nicht alle Bereiche gleichermaßen betroffen sein. So rechnen die Analysten von Hauck & Aufhäuser im Segment Radiopharma, das mit mehr als 50 Prozent Anteil am operativen Ergebnis der wichtigste Gewinntreiber im Konzern ist, mit weiterhin gut laufenden Geschäften. Zudem soll spätestens 2021 die Wachstumsdynamik wieder zunehmen. Daher rufen sie ein beachtliches Kursziel von 210 Euro aus.
Fondsmanager Björn Glück im Interview: "Es bieten sich Einstiegschancen"
Börse Online: Der Crash hat ein Blutbad an den Börsen angerichtet. Wie schätzen Sie die aktuelle Lage ein?
Björn Glück: Die Finanzmärkte haben in den vergangenen Wochen den schnellsten Crash aller Zeiten erlebt. Dadurch sind auch die Bewertungen ganz erheblich zurückgekommen. Einige Aktien werden bereits unter ihrem Buchwert gehandelt und künftige Gewinne gar nicht mehr berücksichtigt. Für Investoren bieten sich ausgewählte Einstiegsmöglichkeiten. Allerdings ist das richtige Stock-Picking dabei das A und O.
Was spricht aktuell für eine Anlage in Nebenwerte?
Ein großer Vorteil von Small Caps ist die große Vielfalt von Firmen aus unterschiedlichen Branchen mit ganz verschiedenen Geschäftsmodellen. Gerade bei kleinen Firmen ist die Dynamik sehr hoch, auch was Adjustierung des Geschäftsmodells betrifft. Das birgt Chancen. So hat Cropenergies die Bioethanolproduktion umgestellt, sodass das Ethanol jetzt als Vorleistung für Desinfektionsmittel genutzt werden kann.
Bei welchen Branchen sehen Sie Übertreibungen nach unten?
Ich denke, der Halbleitersektor sticht hier fast als einziger Sektor heraus. Hier gibt es besonders viele Titel, die zwar stark gefallen sind, aber fundamental nicht so hart betroffen sind, wie man das vielleicht erwarten würde. Die Digitalisierung in Deutschland hat durch die Corona-Krise einen enormen Schub erhalten. Deswegen halte ich das typische Abverkaufsverhalten der Investoren aktuell gegenüber der zyklischen Semiconductor-Branche in vielen Fällen für übertrieben oder sogar falsch.
Wie agieren Sie mit Ihren Fonds in derart volatilen Zeiten?
Wir sind ganz nah bei unseren Firmen, haben viele Gespräche und Videokonferenzen mit dem Topmanagement. So wissen wir genau, was in den Unternehmen passiert. Wir passen unser Portfolio kontinuierlich an, nutzen günstige Einstiegsmöglichkeiten und verabschieden uns von Werten, die stark unter Druck kommen werden.
Worauf sollten Anleger beim Stock-Picking unbedingt achten?
Mit Abstand am wichtigsten ist es, auf Unternehmen zu setzen, die so robust aufgestellt sind, dass sie auch diese Krise am ehesten überstehen werden. Gesellschaften, deren Geschäftsmodell schon vorher auf tönernen Füßen stand, werden im sich abzeichnenden Konjunktureinbruch dagegen schlecht dastehen.