VP-Bank-Chefvolkswirt Thomas Gitzel über die Zinspolitik der US-Währungshüter, die Linie der EZB, und warum er vor unruhigen Zeiten warnt

Die US-Börsen könnten wegen der Zinspolitik der Fed noch kräftig ins Schleudern kommen, und auch um Chinas Wirtschaft ist es nicht gut bestellt, sagt Thomas Gitzel. Er  ist Chefökonom im Investment Research Team der VP Bank Gruppe. 


Börse Online: Die Fed hat in ihren gerade veröffentlichten Protokollen nach einer Serie aggressiver Zinsschritte ein langsameres Tempo bei der Straffung der Geldpolitik signalisiert. Zeichnet sich damit schon die seit langem erwartete Zinswende ab, die die Aktienkurse wieder beflügeln könnte?

Thomas Gitzel: Die Fed wird ihre Tempo weiter drosseln. Wir rechnen damit, dass noch zwei weitere "kleine" Zinsschritte um jeweils 25 Basispunkte im ersten Quartal lanciert werden. Dann ist aber Schluss. Die weiter nachgebenden Inflationsraten und die sich abkühlende US-Wirtschaft sprechen gegen weitere Zinsanhebungen im zweiten Quartal. Dass die Fed das Zinsanhebungstempo weiter drosselt und anschließend still hält, ist für sich genommen sicherlich eine gute Nachricht für die Börsen.

Börse Online: Ist bis zum Jahresende bereits wieder mit ersten Zinssenkungen der Fed zu rechnen?

 Thomas Gitzel: Nein. Die Inflationsraten werden trotz eines Rückgangs weiter über dem Fed-Ziel von 2% liegen. Gerade deshalb kann die Fed das Zielband für die kurzfristigen Zinsen nicht senken.

Börse Online: In Deutschland deuteten diese Woche veröffentlichte Zahlen zumindest auf ein Überschreiten des Inflationshöhepunkts hin. Könnte auch die EZB auf einen moderateren Zinskurs einschwenken?

 Thomas Gitzel: Zunächst nicht. Christine Lagarde hat auf der letzten Sitzung im Dezember dicke Löcher gebohrt. Die Botschaft lautete: Es werden auf den ersten beiden Sitzungen des Jahres 2023 jeweils Zinsanhebungen um 50 Basispunkte vollstreckt. Danach wird auch noch nicht Schluss sein. Wir gehen davon aus, dass noch ein bis zwei Zinsanhebungen um jeweils 25 Basispunkte nach dem ersten Quartal folgen werden. Die Inflationsraten werden trotz eines Rückgangs noch längere Zeit über dem EZB-Ziel von 2% liegen. Die EZB muss also handeln. Die Zinsanhebungen in der Eurozone gehen weiter.

 Börse Online: Was bedeuten die jüngsten Zahlen zur Inflation und die Fed-Aussagen für den Markt: Könnte er zu einer neuen Aufwärtsbewegung ansetzen?

 Thomas Gitzel: Isoliert betrachtet sind die fallenden Inflationsraten und die erwartete Einstellung weiterer Zinsanhebungen ein gute Botschaft für die Märkte. Allerdings kann aufgrund des aggressiven geldpolitischen Kurses der Fed davon ausgegangen werden, dass der US-Wirtschaft eine harte Landung widerfährt. Eine harte Landung der US-Wirtschaft wiederum ist kein gutes Fundament für steigende Kurse. Wir raten deshalb weiterhin zur Vorsicht.

Börse Online: Zur Lage in China: Die Signale sind widersprüchlich. Mal gibt es Hoffnung auf eine schnelle Belebung der Wirtschaft, dann wieder die Befürchtung eines massiven Rückschlags durch steigende Covid-Infektionen. Wie besorgt sind Sie? 

Thomas Gitzel: China bereitet uns schon seit längerem Sorgen. Nicht nur wegen der steigenden Covid-Zahlen, sondern auch weil der europäische und der US-Konsument aufgrund der gestiegenen Lebenshaltungskosten zum Sparen verdammt sein wird. Darunter werden vor allem langlebige Konsumartikel wie etwa Elektronik und Möbel leiden - Produkte also, die zu einem hohen Maße aus China kommen. Das Covid-Risiko kommt nun noch obendrauf. Um die Volksrepublik ist es in diesem Jahr nicht gut bestellt.