Die Geldpolitik der EZB - Eine Reise ohne Rückfahrkarte
· Börse Online Redaktionvon Robert Halver
Frühere Anlageblasen am Immobilien- oder Neuen Markt waren nur Bläschen im Vergleich zur heutigen Mutter aller Blasen. Ich spreche von der Anleiheblase. Seit 1981 wird der Ballon der Staatsanleihen aufgeblasen, ihre Renditen kennen seit 34 Jahren nur den Sinkflug.
Als verantwortliche Luftpumpen betätigen sich neben der US-Notenbank die Bank of Japan und mittlerweile auch unsere EZB. Ja, auch unsere Notenbank betreibt mittlerweile - der Not gehorchend - eindeutig Konjunkturpolitik: Denn über ultraniedrige Leitzinsen animiert die EZB Geschäftsbanken, ihr Zentralbankgeld zinsgünstig aufzunehmen und zu attraktiveren Konditionen in länger laufende Staatsanleihen anzulegen. Dieser renditedrückende Effekt erlaubt Euro-Staaten, kreditgünstige staatliche Konjunkturpakete aufzulegen.
Denn alternativ ist eine konsequente Reformpolitik, über die sich langfristig selbsttragende Wirtschaftskräfte entfalten könnten, nicht in Sicht. Mario Draghi ist - um etwas zu seiner Ehrenrettung beizutragen - der gezwungene Erfüllungsgehilfe stinkend reformfauler EU-Politiker.
Auf Seite 2: Künstlichen Wiederbelebung der "Stabilitätsunion"
Künstliche Wiederbelebung der "Stabilitätsunion"
Durch diese geldpolitische Renditedrückung bleibt der Zinsdienst auf die Schulden begrenzt: Von 2002 bis 2016 wird sich die Staatsverschuldung in der Eurozone zwar knapp verdoppelt, jedoch der Anteil der Zinszahlungen an den Staatsausgaben bei unterstellter Beibehaltung des aktuell günstigen Zinsniveaus von 6 auf 0,5 Prozent verringert haben. Und jetzt kommt das Sahnehäubchen: So lässt sich nicht zuletzt das Maastricht-Stabilitätskriterium, wonach die jährliche Neuverschuldung unter drei Prozent der Wirtschaftsleistung bleiben soll, erfüllen.
Neben Zins- setzt die EZB ab März zusätzlich dramatisch auf Liquiditätspolitik im Sinne eines Aufkaufs insbesondere von Staatsanleihen in üppiger Höhe von monatlich 60 Mrd. Euro bis September 2016. Als Alibi für diese unkonventionelle Maßnahme - es ist nichts anderes als verdeckte Staatsfinanzierung - nutzt die EZB die aktuelle Deflation in der Eurozone. Ist Preisstabilität nicht ohnehin ihr primäres Ziel?
Mit dieser Sintflut an Liquidität schlägt sie zwei Fliegen mit einer Klatsche. Erstens wird damit eine schuldentrunkene Finanz- und reformfeindliche Wirtschaftspolitik der Euro-Länder nicht mehr wie früher durch Risikoaufschläge an den nationalen Staatsanleihemärkten bestraft. Gegen die Urgewalt der sintflutartigen Liquiditätsschwemme der EZB haben die nationalen Wellenbrecher reform- und sparfeindlicher Politik überhaupt keine Chance. Ebenso wird damit ein Überschwappen der griechischen Schuldenkrise auf andere Euro-Schuldnerländer verhindert. Selbst ein wider Erwartung stattfindender Grexit würde keine Euro-Staatsschuldenkrise 2.0 auslösen. Durch die EZB wurde am Rentenmarkt die Marktwirtschaft abgeschafft und die Planwirtschaft eingeführt.
Auf Seite 3: Die EZB unterdrückt den Euro
Die EZB unterdrückt den Euro
Zweitens schwächt die EZB mit dieser Happy Hour den Euro und verbessert damit die globale Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone. Neben ohnehin günstigeren Leitzinsen als in den USA werden über Anleiheaufkäufe Zinsanlagen aus dem Euroraum für internationale Anleger gegenüber Investments in den USA über Währungsverluste unattraktiver. Und siehe da: Der Euro hat sich seit seinem Jahreshoch 2014 von nahezu 1,40 auf aktuell ca. 1,14 US-Dollar abgeschwächt. Mission erfüllt! Bis 2016 ist sogar das Erreichen der Parität möglich. Die deutsche Exportindustrie ist der große Nutznießer: Eine Abwertung des Euro gegenüber US-Dollar um 10 Prozent in diesem Jahr würde den DAX-Konzernen einen Gewinnanstieg von schätzungsweise 8 Prozent ermöglichen.
Auf Seite 4: Die alles entscheidende Frage: Platzt die Anleiheblase?
Die alles entscheidende Frage: Platzt die Anleiheblase?
Trotz all der positiven Darbietungen der EZB drängt sich dennoch eine frevelhafte Frage auf. Historisch gab es bei Anlageblasen noch nie ein Happy End. Durch Umschalten der Notenbanken auf geldpolitische Restriktion platzen irgendwann alle Blasen. Könnte es also sein, dass Fed, EZB & Co. erneut Luftablass, sprich Zinserhöhungen und Liquiditätsverknappung, betreiben könnten. Platzt also früher oder später auch die größte Anlageblase aller Zeiten: Die Anleiheblase?
Wenn ja, stellte sich für unser gelddrogenabhängiges Welt-Finanzsystem die Existenzfrage? Haben beim Platzen der Immobilienblase 2008 die Dämme des westlichen Finanzsystems noch geradeso standgehalten, würden sie beim Bersten der Super-Blase bei Anleihen definitiv versagen. Die Welt ist mit weit über 100 Bill. US-Dollar verschuldet. Als mit Abstand größte Anlageklasse machen sich Anleihen bei allen Kapitalsammelstellen, Versicherungen und Pensionsfonds breit.
Bei geldpolitischer Schubumkehr käme es an den Zinsmärkten nicht zu einem kontrollierten Exodus, es käme zu chaotischer Verkaufspanik. Dort hat man sich an immer billiger werdendes Geld gewöhnt. Kein Investor unter 55 kennt steigende Anleiherenditen. Eine Kehrtwende würde sie auf dem falschen Fuß erwischen. Mit der Angst vor einer dann folgenden Wende von Anleiherenditen nach oben und zur Verhinderung von Kursverlusten wollten alle Anleger gemäß dem Motto "Rette sich wer kann" gleichzeitig ihre Anleihen loswerden. Kursverluste würden Kursverluste in allen Anleiheklassen nähren. Durch eine umfängliche "Cash is King"-Haltung wäre die Schuldenrefinanzierung der meisten Euro-Staaten unmöglich und aus blanker Verlustangst würde auch die reale Euro-Volkswirtschaft insgesamt auf Investitionsentzug gesetzt. Die Konjunkturstimmung würde verblühen wie eine Topfblume, die während der Urlaubsabwesenheit nicht gegossen wurde. Und nicht zuletzt würden die für die Weltwirtschaft so bedeutenden Schwellenländer von massiver Kapitalflucht heimgesucht.
Auf Seite 5: Geldpolitische Wende? Eher wird aus Streuobstwiesen Zierrasen!
Geldpolitische Wende? Eher wird aus Streuobstwiesen Zierrasen!
Aus dieser geldpolitischen Nummer kommt die EZB nicht mehr heraus. Das gilt aber auch für andere Notenbanken. Absurderweise muss die Anleiheblase weiter aufgeblasen werden, weil sie ansonsten platzt. Daher wird auch die US-Zinswende im Schonwaschgang vollzogen. Sie wird ein Zinswendchen sein. Ich behaupte, dass wir in unserer real existierenden Finanzwelt nie mehr wirklich hohe Zinsen bzw. Renditen sehen werden (können). Das können wir uns gar nicht mehr leisten. Wir haben es mit einer geldpolitischen Einbahnstraße zu tun, ein Umkehren führt zum Crash. Vor diesem Hintergrund ist leider zu erwarten, dass die EZB selbst bei einem Inflationsanstieg nicht restriktiv wird. Hier kommt Argumentationshilfe von Amerika. Dort benutzt die Fed die Inflationsdefinition, die ihr gerade in den Kram passt. Passt ist ein gutes Stichwort: Was nicht passt, wird eben passend gemacht.
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Die Notenbanken klauen uns eine ganze Anlageklasse
Aber selbst wenn die Anleiheblase nicht platzt, gibt es außer für altruistische Rendite-Hungerkünstler keinen Grund, massiv in Zinsanlagen investiert zu sein. Nach Inflation und Steuern bleibt schon heute NIX mehr übrig. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass die Renditen deutscher Staatsanleihen bis zur Laufzeit von 10 Jahren noch unter null fallen. Dieser Negativzins wäre dann sozusagen die von Anlegern zu zahlende Versicherungsprämie für die Sicherheit deutscher Staatspapiere, eben auch die Sicherheit, Geld zu verlieren.
An Aktien hingegen führt wegen der geldpolitischen Liquiditätsschwemme - mit der zur Freude deutscher Industrie- und Exportunternehmen die Euro-Konjunktur angekurbelt und der Euro abgewertet wird - kein Weg vorbei. Auch bei Angst vor dem Aktienhöhenrausch sind regelmäßige Aktiensparpläne eine großartige Anlagestrategie. Ihre Altersvorsorge wird es Ihnen danken.
Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128