Die Summe ist gewaltig: Auf 225.000 Milliarden Dollar schätzt Kreditkartenkonzern Mastercard den globalen Markt für bargeldloses, digitales Bezahlen. Die Summe entspricht dem Zehnfachen der Wirtschaftsleistung der USA, der größten Volkswirtschaft der Welt. Digitales Bezahlen ist in vielen Ländern beim Onlineshoppen, aber auch in Supermärkten oder in Cafés Alltag. Die Einschränkungen des öffentlichen Lebens während der Pandemie haben diese neue Gewohnheit gefördert.
Experten des internationalen Beraterkonzerns Cap Gemini erwarten, dass die Anzahl der bargeldlosen Transfers bis 2022 weltweit um 14 Prozent pro Jahr auf dann über eine Billion zulegen wird, am stärksten in Asien einschließlich China. Dort werden jährliche Zuwächse von fast 30 Prozent prognostiziert. Auch für die Länder in der Euro-Zone wird ein robustes Wachstum von 8,6 Prozent erwartet. Das ist fast doppelt so stark wie die 4,7 Prozent Plus in den USA.
In Schweden und Frankreich sind schon knapp 60 Prozent der Bezahlvorgänge digital. Rund 95 Prozent der Schweden zwischen 18 und 24 Jahren bezahlen inzwischen alles bargeldlos, oft über die Swish, eine App der schwedischen Banken für digitales Bezahlen. Geldautomaten sind in dem Land für ein Fünftel der zehn Millionen Einwohner inzwischen obsolet. Schließlich kann überall, beim Bäcker, in Restaurants, im öffentlichen Nahverkehr, beim Parken, sogar für die Nutzung öffentliche Toiletten digital bezahlt werden. Es ist einfach, bequem und offenbar auch hip.
Die Basis für eine schnelle Verbreitung des bargeldlosen Bezahlens, vor allen im stationären Einzelhandel, ist auch weltweit vorhanden. 62 Prozent der installierten Registrierkassen können NFC-Chips für das kontaktlose Bezahlen via Handy lesen, berichten Experten von Bloomberg Intelligence. Zudem haben 38 Prozent der Menschen weltweit Handys mit digitalen Brieftaschen, in den USA sind es sogar 72 Prozent.
Visa und Co bleiben am Ball
Technologiekonzerne wie Alphabet mit Google Pay, Amazon, Apple und in Asien Samsung, Alibaba und Tencent über das soziale Netzwerk WeChat haben diesen Bereich im Wachstumsmarkt digitales Bezahlen früh und erfolgreich besetzt. Die Zahlungsströme über digitale Portemonnaies werden allerdings auch über die Netzwerke von Kreditkartenunternehmen abgerechnet. So gelingt es Primus Visa und Verfolger Mastercard, ihren Einfluss auch in der Welt des neuen, digitalen Geldes geltend zu machen.
Derzeit wird das Geschäft der beiden Konzerne zwar durch die starken Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf Tourismus und Luftfahrt erheblich gebremst. Die Finanzunternehmen können das jedoch wegstecken. Ihre Netzwerke für den globalen Geldtransfer bleiben auch während der Digitalisierung eine Bastion, die von Konkurrenten nicht eingenommen werden kann, urteilen die Analysten von Bloomberg Intelligence. Bis 2016 versuchte Onlinezahlungsdienstleister Paypal Visa im Web Kunden abzujagen, dann änderten die Kalifornier plötzlich ihre Strategie und kooperierten mit dem Finanzriesen aus Foster City in Kalifornien. Visa revanchierte sich bei den Gebühren und verschaffte Paypal in seinem Netzwerk Zugang zu kontaktlosem Bezahlen via Smartphone.
Für großes Aufsehen sorgte zuletzt Visas Kauf der US-Firma Plaid. Für die Fintech-Firma, über deren Netzwerk Entwickler von Finanz-Apps Daten von Banken in ihre Miniprogramme integrieren können, zahlten die Kalifornier stolze 5,3 Milliarden Dollar. Meistens sind es jedoch Beteiligungen und kleinere Zukäufe, die Visa und Mastercard den Zugang zu Technologien des digitalen Bezahlens sichern.
Fintechs setzen Banken zu
Die Banken bringen Fintechs und der Wandel des Bezahlens indes stark unter Druck. So trauen Analysten dem US-Zahlungsabwickler Square in Amerika inzwischen zu, mit seiner populären App Cash den Banken ein Fünftel aller Online-Girokonten, sogenannte direct deposits, abzuluchsen. Mit Square können Händler zudem Zahlungen in allen Formen abrechnen: Cash, Kreditkarte oder digital. Sie können die Arbeitszeiten ihrer Angestellten verwalten und Darlehen ausgeben - einfacher und weniger bürokratisch. Fintechs verdienen an jeder Geldtransaktion.
Paypal ist als ehemaliger Zahlungsabwickler des Onlineauktionators Ebay weltweit eine starke Marke. Der Konzern aus San José zählt mit mehr als 300 Millionen Onlinekonten und 25 Millionen Einzelhändlern zu den Größten im Geschäft mit bargeldlosen Transaktionen. Über Garantien für Käufer und Verkäufer, die konsequent durchgesetzt werden, hat sich Paypal viel Vertrauen bei allen Seiten erarbeitet.
Wirecards Schatten
Deutschlands Bezahldienstleister Wirecard hat das Vertrauen binnen Wochen verspielt. Der niederländische Onlinezahlungsabwickler Adyen hofft, von den Auswirkungen der beispiellosen Bilanzmanipulation bei Wirecard verschont zu bleiben. An Teilen des insolventen DAX-Konzerns ist Adyen nicht interessiert. Die Niederländer setzen auf eigenes Wachstum. Auch Adyen profitiert stark vom Zuwachs der bargeldlosen Transfers. 2019 verdoppelte sich der Bruttoumsatz auf 2,7 Milliarden Euro, knapp hinter Wirecard mit 2,8 Milliarden Euro, ein Plus von 40 Prozent.
Allerdings hat der insolvente Konzern seine Zahlen aus der jüngsten Vergangenheit inzwischen selbst in Frage gestellt. Wirecards hohe operative Rendite von zuletzt 28 Prozent wurde voraussichtlich auch manipuliert. Die Rendite des Konkurrenten Adyen war trotz ähnlicher Größe und Aufstellung stets viel niedriger. Zuletzt waren es 10,5 Prozent Marge. Bis das volle Ausmaß der Manipulationen bei Wirecard bekannt ist, wird es noch dauern. Währenddessen fischt die Konkurrenz die Kunden ab. Der Untergang des Fintechs aus Aschheim bei München wird das hohe Tempo des Wandels nicht bremsen.
Kollege Computer legt an
Doch nicht nur Zahlungsabwickler krempeln traditionelle Prozesse um. Auch die Art und Weise, wie Geldprofis Kapital anlegen, hat sich grundlegend gewandelt. Kaum ein Fondsmanager verzichtet heute auf Computerunterstützung, um attraktive Aktien, Anleihen oder andere Wertpapiere zu finden.
Meist greifen Fondsgesellschaften im Rahmen der Vorselektion auf die Hilfe des Computers zurück. Denn dieser filtert rasch ein Universum von zigtausend Aktien nach bestimmten Finanzkennziffern. In vielen Fällen haben Vermögensverwalter den quantitativen Prozess aber bereits wesentlich weiter ausgedehnt.
"Das ist heute allein schon eine Frage der Kosten und der Effizienz", sagt Lars Edler, Geschäftsführer bei HQ Asset Management, einem Finanzdienstleister der Familie Harald Quandt. "In unserer vernetzten Welt können Sie als Investor keinen Informationsvorsprung mehr erzielen. Also müssen Sie versuchen, wenigstens der Daten Herr zu werden, die täglich in die Märkte strömen."
Die Bilanzen vieler Unternehmen seien komplexe Zahlenwerke, deren Durchdringung Zeit verschlinge. "Ein Analyst aus Fleisch und Blut kann heutzutage 15 bis 20 große Firmen detailliert überblicken. Mehr ist im Schnitt nicht drin", so Edler.
Für die Geldverwalterbranche bietet es sich zunehmend an, auf quantitative Modelle zu setzen. Vor allem, weil sich in den vergangenen zehn Jahren die technischen Möglichkeiten fast explosionsartig entwickelt haben. "Über Speicherkapazität und Rechenpower muss sich heute niemand mehr ernsthaft Gedanken machen", sagt Edler, "diese Dinge spielen praktisch keine Rolle mehr".
Bei HQ Asset Management habe man sich darum "eine Armee von Analysten im Computer nachgebaut", wie der Geschäftsführer es ausdrückt. Neben der ungleich höheren Kapazität lieferten diese auch ein konsistenteres Bild quer über die betrachteten Unternehmen hinweg. "Habe ich mehrere Analysten, die mir zuliefern, habe ich häufig auch verschiedene Blickwinkel auf die Firmen", erklärt Edler.
Mit einem quantitativen Modell, das von der Aktienanalyse bis zur Portfoliokonstruktion alles erledigt, wolle man bewusst die menschlichen Anlagefehler ausschließen. Das Ergebnis muss dabei keinesfalls spektakulär sein. "Wir sind eher Sammler als Jäger", sagt Edler. "Wir setzen auf viele kleine Positionen, die in der Gesamtheit aber ein stabiles Portfolio ergeben." HQ Asset Management legt überwiegend für Banken, Stiftungen und Versicherungen an. Ein interessanter Fonds der Gesellschaft ist aber auch für Privatanleger erhältlich (siehe Investor-Info unten). Neben klassischen Finanzdaten nehmen die Quant-Spezialisten aus Düsseldorf nun auch Nachhaltigkeitsdaten in ihre Systeme mit auf. Sogenannte alternative Daten verwenden sie noch nicht.
Innovationsstärke erkennen
Auf dieses Feld hat sich der Global Innovation Leaders Fund der Münchner Gesellschaft Quant IP spezialisiert. Seine Zusammensetzung wird von alternativen Daten bestimmt. Der Fonds verfolgt eine regelbasierte Anlagestrategie und setzt auf die quantitative Auswertung von Millionen von Patentdaten.
Ziel ist es, die innovationsstärksten Unternehmen zu identifizieren und deren Aktien in einem Portfolio zu versammeln. "Wir werten die Patente pro Unternehmen aus, eine öffentliche, aber von Investoren bisher kaum genutzte Informationsque", sagt Quant-IP-Gründer Lucas von Reuss. Ein Anbieter liefert den Münchnern Rohdaten von 48 Patentämtern weltweit. Diese werden in der eigenen Datenbank mit Kennzahlen zu den Unternehmen verknüpft.
Wichtig sind insbesondere die Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Denn stellt man diese der Zahl registrierter Patente gegenüber, erhält man Aufschluss, wie effizient ein Unternehmen bei Innovationen ist. "Es macht schon einen Unterschied, ob mich ein Patent eine Million oder nur 500.000 Euro gekostet hat", so von Reuss.
Neben der Innovationseffizienz bilden das Innovationswachstum und die -qualität die wichtigsten Maßstäbe zur Beurteilung von Unternehmen. Und nicht zuletzt muss auch die Bewertung stimmen. "Es kommen nur solche Firmen ins Portfolio, die gemessen an der relativen Innovationskraft besonders günstig sind", sagt von Reuss.
Wie es sich für einen reinrassigen quantitativen Fonds gehört, wurden alle Überlegungen zur Anlagestrategie in ein Regelwerk gepackt, das nun seit einem Jahr selbstständig die Anlageentscheidungen fürs Portfolio trifft. Mit dem Ergebnis zeigt sich der Quant-IP-Gründer zufrieden: "Der Fonds hat sich verhalten wie erwartet - sowohl in starken Abwärts- wie auch Aufwärtsphasen. Nach einem Jahr liegen wir 4,5 Prozentpunkte vor unserem Vergleichsindex, dem MSCI World."
Smarte ETF auf Quant-Basis
Die Macht der Daten haben neben vielen kleineren Gesellschaften auch die großen Indexfonds-Anbieter erkannt, die mit "smarten" Produkten um die Anlegergunst werben. Die Idee: Statt Wertpapiere wie in den klassischen Indizes nach Marktkapitalisierung zu gewichten, verwendet man andere Kriterien. Das verspricht längerfristig eine höhere Rendite oder ein geringeres Anlagerisiko.
Jeder Anleger kann heute mithilfe von ETFs einfache Quant- Strategien umsetzen - sei es ein Investment in die weltweit schwankungsärmsten Aktien oder die wachstumsstärksten Unternehmen Europas (s. Investor-Info). Die Auswahl trifft ein Computer, der ein Universum von Wertpapieren nach sogenannten Faktoren screent.
Noch einfacher in Sachen Anlage machen es sogenannte Robo-Advisors, die auf den folgenden Seiten vorgestellt werden. Sie bieten eine komplette Vermögensverwaltung - meist in Form kostengünstiger ETFs -auf Basis von Algorithmen.
INVESTOR-INFO
Paypal
Wertvolles Netzwerk
Mit weltweit über 300 Millionen Konten von Konsumenten und mehr als 25 Millionen Einzelhändlern ist Paypal gut aufgestellt, um stark vom Wachstum der bargeldlosen Transaktionen im Onlinehandel und beim kontaktlosen Bezahlen zu profitieren. Händlern gewährt Paypal inzwischen Kredite, Verkäuferschutz und Unterstützung in der Finanzverwaltung der Shops. Für 2021 und 2022 erwarten Analysten jeweils mehr als 20 Prozent Gewinnwachstum pro Aktie.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 190,00 Euro
Stoppkurs: 130,00 Euro
Square Inc.
Nummer 1 der E-Wallets
Das Fintech aus San Francisco könnte sich über seine in den USA populäre Cash-App ein Fünftel der dortigen Girokonten sichern, sagen Analysten. Das beflügelt den Aktienkurs deutlich. Mit 37 Millionen Nutzern der App ist Square in den USA bereits die Nummer 1 der digitalen Geldbörsen (E-Wallets). Darüber hinaus sind 3,5 Millionen Händler Kunden von Square. Für Risikofreudige.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 135,00 Euro
Stoppkurs: 85,00 Euro
Visa
Starker Kreditkartenprimus
Die Digitalisierung des auf 18 Billionen Dollar geschätzten globalen Bestands von Bargeld und Schecks bietet der Nummer 1 der Kreditkarten viel Potenzial. Zwar belasten Buchungsrückgänge im Tourismus das Geschäft, gleichzeitig profitiert Visa aber vom Onlinehandel. Für das neue Geschäftsjahr (ab Oktober) und danach werden jährliche Gewinnzuwächse von 15 Prozent erwartet.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 210,00 Euro
Stoppkurs: 140,00 Euro
HQAM Global Equities DM4EM
Schwellenländer indirekt
Im April 2019 hat Quant-Manager HQ Asset Management diesen Fonds aufgelegt, mit dem Anleger vom Wachstum der Schwellenländer profitieren sollen. Angelegt wird allerdings in Unternehmen aus den entwickelten Märkten, die einen wesentlichen Teil ihrer Geschäfte in den Schwellenländern tätigen. Die Auswahl der rund 100 Fondstitel erfolgt nach einem quantitativen Modell, das auf Basis der Analyse von mehreren Hundert Kennzahlen die relativ attraktivsten Aktien identifiziert.
Quant IP Gl. Innovation Lead.
Patentes Portfolio
Mit einem Jahr Historie ebenfalls recht frisch auf dem Markt ist der Global Innovation Leaders Fund von Quant IP. Sein Anspruch ist es, die innovationsstärksten Unternehmen der Welt in seinem Portfolio zu versammeln. Maßstab dafür sind Patentdaten, die in der hauseigenen Datenbank mit Finanzkennzahlen verknüpft und quantitativ ausgewertet werden. Im Fonds befinden sich nicht nur Tech-Titel, auch der Sektor Gesundheit ist gut vertreten. Neben den USA dominiert Japan.
Deka Eur. Strong Growth ETF
Wachstum quantifiziert
Viele kostengünstige Indexfonds nutzen ebenfalls quantitative Modelle, um Aktien nach bestimmten Kriterien oder Faktoren auszuwählen. Der Deka Stoxx Europe Strong Growth 20 ETF zum Beispiel versammelt unter seinem Dach die 20 "reinsten" Wachstumsunternehmen Europas. Welche das sind, ermittelt ein Computermodell durch die Analyse von sechs fundamentalen Kennzahlen. Mit knapp neun Prozent am stärksten gewichtet im Indexfonds ist aktuell der niederländische Online-Zahlungsabwickler Adyen.