Vor allem China bereitet große Sorgen. Doch die konjunkturelle Abschwächung war seit einiger Zeit abzusehen. Dabei sollte man bedenken: Chinas Wirtschaft wächst langsamer, aber sie wächst weiter. Es stimmt, China ist ein großer Faktor, global gesehen ist China aber nicht so wichtig, wie viele Investoren denken. Wichtiger ist die gute Nachricht, dass das Geld von den Emerging Markets wieder in die entwickelten Industriestaaten zurückfließt. Wir stehen am Anfang einer Phase, in der die Wachstumsdynamiken der geografischen Regionen ein neues Gleichgewicht finden.
All dies bedeutet aber keinen brutalen Stillstand der wirtschaftlichen Aktivität oder einen Rückfall in die Rezession. Die negative Stimmung lässt sich zudem nicht in der wirtschaftlichen Realität der europäischen Unternehmen wiederfinden. Wir haben uns mit vielen Vorständen getroffen, und der Tenor der Gespräche war insgesamt ermutigend. Abgesehen von den öl- und rohstoffabhängigen Sektoren hat der Großteil der Unternehmen die vorherrschenden Trends bestätigt: In Europa setzt sich die Erholung mit einer deutlichen Belebung der Geschäftsaktivität in den Peripherieländern fort. Die Konjunktur in den USA bleibt robust, und die Situation in China scheint sich zu stabilisieren.
Die aktuelle Berichtssaison bestätigt diese Trends. So verzeichneten die Auftragseingänge bei Siemens im letzten Quartal einen Anstieg um 27 Prozent, wobei das Verhältnis von Auftragseingang zu Umsatz auf 120 Prozent kletterte. Die gleiche Tendenz war bei Philips zu beobachten, dessen Auftragsbücher sich um 15 Prozent füllten. Das IT-Unternehmen Altran verzeichnete eine solide Entwicklung in Südeuropa (+14,5 Prozent). Auch die Umsätze von Rémy Cointreau entwickelten sich erfreulich, mit einem Anstieg der Verkaufszahlen in den USA und einer Stabilisierung in China.
Der Einbruch der Finanzmärkte eröffnet neue Chancen. Obwohl es für viele Anleger schwierig ist, in Phasen mit derart volatilen Bewegungen die Ruhe zu bewahren, hat uns die Erfahrung gelehrt, dass sich gerade in solchen Phasen hervorragende Anlagechancen bieten. Rund 35 Prozent der europäischen Aktien sind noch überbewertet. Das gilt vor allem für Pharma- und Immobilientitel. Doch der größte Teil ist gegenwärtig unterbewertet. Dabei reden wir von etwa zwei Drittel der Aktien. Wir schauen uns derzeit einige deutsche Aktien genau an. Wir sind schon in Linde, Gea und der Deutschen Telekom investiert und haben gute Unternehmen wie etwa BMW im Auge. Wir schauen auch auf französische Aktien wie etwa LVMH.
Für uns Value-Investoren ist das eine sehr interessante Zeit, denn sie bietet hervorragende Chancen, Aktien von Qualitätsunternehmen mit starken internationalen Wettbewerbspositionen zu günstigen Kursen zu kaufen. Man muss nur die Ruhe bewahren. Noch ein Wort zum Ölpreis. Ein niedriger Ölpreis hat einen Wachstumseffekt bei den Konsumenten in den USA und Europa. Für sie ist das eine Art von Vermögenseffekt. Das ist positiv. Und was die großen Spieler im Markt betrifft, so werden sie die Phase niedriger Ölpreise überleben. Einige kleinere Firmen wohl nicht. Und was passiert, wenn ganze Länder aufgrund des niedrigen Ölpreises pleitegehen? Es wäre nicht das erste Mal, dass dies Ländern wie Argentinien, Venezuela oder Nigeria passiert. Und? Hat das viel in der Welt verändert? Ich denke nein.
Isabel Levy
Levy ist geschäftsführende Generaldirektorin der französischen Fondsgesellschaft Metropole Gestion, die sie zusammen mit François-Marie Wojcik 2002 gegründet hat. Metropole Gestion ist ein Spezialist für Value-Investing und auf europäische Aktien fokussiert. Das Fondshaus verwaltet Kundeneinlagen von über fünf Milliarden Euro, darunter den rund zwei Milliarden Euro schweren All-Cap-Fonds Metropole Selection.