Hilfreiche Hintergrundinformationen dazu liefern sechs aufschlussreiche Grafiken rund um dieses Thema, deren Kenntnis sich aus Anlegersicht lohnt.

Am kommenden Sonntag ist es endlich soweit. Gemeint sind damit die Bundestagswahlen. Die meisten Bundesbürger dürften froh sein, wenn dieser Spuk vorbei ist. Allerdings dürfte mit dem Urnengang selbst die Sache noch nicht erledigt sein. Denn mit einer schnellen Regierungsbildung ist zumindest angesichts der derzeitigen Umfrageergebnisse nicht zu rechnen.

Damit dürften Nachrichten rund um die Wahlen und die damit verbundenen Konsequenzen noch eine Zeit lang die Schlagzeilen dominieren. Auch bei den Börsianern ist die Bundestagswahl natürlich ein viel diskutiertes Thema. In diesem Jahr umso mehr, da nach 16 Jahren CDU/CSU-geführter Regierungen unter Angela Merkel so oder so ein wichtiger personeller Wechsel an der Spitze ansteht. Völlig offen ist dabei die Frage, wer den Kampf um das Kanzleramt gewinnt und welche Parteien eine Regierungskoalition eingehen.

Trotz eines gewissen derzeit bestehenden gewissen Machtvakuums sind die meisten Aktien-Strategen mit Blick auf die Wahl und den damit verbundenen Folgen für Wirtschaft und Börse ziemlich gelassen. Das gilt insbesondere auch für im Ausland ansässige Institute und für den Fall, dass es nicht zu einer Regierungsbildung unter Einbindung der Linkspartei kommt.

Das Meinungsbild der uns vorliegenden Einschätzungen zu diesem Thema spiegeln ganz gut die nachfolgenden Aussagen der UBS wider. Die Schweizer Großbank erinnert im Vorfeld des Urnengangs daran, dass in der Vergangenheit die Wahlen in Deutschland den Anlegern keine großen Sorgen bereitet haben, da das Wahlsystem Stabilität und schrittweise Entwicklung begünstigt.

Dies wird laut UBS auch weiterhin der Fall sein, aber die Finanzmärkte sollten sich auf eine stärkere regulatorische, fiskalische und politische Konzentration darauf einstellen, Deutschland intelligenter, grüner und digitaler zu machen. An den Rändern hält man eine Ampelkoalition für europafreundlicher, und die Erwartung höherer Steuerausgaben würde den laufenden Aufschwung und die Erholung unterstützen. Die zuständigen Analysten gehen davon aus, dass jedes Wahlergebnis Investmentoptionen rund um das Thema Nachhaltigkeit unterstützt.

Obwohl die Börse entspannt mit dem bevorstehenden Großereignis umgeht, gibt es rund um die Bundestagswahlen einige spannende Grafiken, deren Kenntnis sich aus Anlegersicht lohnt. BÖRSE ONLINE zeigt nachfolgend diese Grafiken und ergänzt diese um einige für das Verständnis dazu hilfreiche Erläuterungen.

Die Regierungsbildung kann sich hinziehen





Zur ersten Grafik haben wir bereits einleitend einen kurzen Kommentar abgegeben. Und zwar den, dass sich speziell Politikverdrossene nicht zu früh glauben sollten, dass mit der Wwahl an sich alles gegessen ist. Vielmehr ist mit dem Urnengang selbst die Sache vermutlich noch längst nicht erledigt. Denn mit einer schnellen Regierungsbildung ist zumindest angesichts der derzeitigen Umfrageergebnisse nicht zu rechnen.

Auch aus der Sicht der Deka Bank, die den Chart oben erstellt hat, kann der Weg bis zur Regierungsbildung angesichts der vielen Möglichkeiten wieder einmal ein langer werden. Dafür spreche auch, dass bereits in den vergangenen Legislaturperioden die Dauer bis zur Regierungsbildung stark zugenommen habe. Auch dieses Mal müssten wieder viele Brücken geschlagen werden, allerdings mit vermutlich drei Parteien, was es sicherlich nicht einfacher machen dürfte, Kompromisse zu finden.

Kurzzeitig höhere Aktienkursschwankungen nach der Wahl denkbar





Es droht somit auch nach der Wahlauszählung mit hoher Wahrscheinlichkeit zunächst noch einiges an Ungewissheit bezüglich der künftigen Regierungszusammensetzung. Ungewissheit ist aber etwas, was Anleger nicht gerade mögen. Vielleicht taugt das auch mit als ein Erklärungsansatz für die Ergebnisse aus der obigen zweiten Grafik.

Denn laut Deka Bank ist eine weitere Erkenntnis, welche sich aus der Kursanalyse um die historischen Wahltermine herum ableiten lässt, dass die Aktienkursschwankungen in einem Zeitfenster nach der Wahl höher sind als vor der Wahl. Dies gilt wie es heißt auch in der relativen Betrachtung.

Der DAX schwankt demnach - relativ zum S&P 500 betrachtet - nach dem Wahltermin stärker, als das vor dem Wahltermin der Fall war. Besonders ausgeprägt sind die Unterschiede in der Volatilität in einem kurzen Zeitfenster von bis zu 20 Handelstagen um die Bundestagswahlen herum.

Rein aus der Historie heraus betrachtet würde das bedeuten, dass sich Anleger vor der Bundestagswahl zurückhalten sollten, sich von höheren Kursausschlägen nach der Wahl aber nicht verunsichern lassen, sondern im Gegenteil, die zu erwartende Verunsicherung für den Positionsaufbau nutzen sollten, erklärt dazu die Deka Bank.

Gleichzeitig räumen die Analysten aber auch ein, dass für eine systematische Ausbeutung die Zusammenhänge zu schwach sind. Zwar scheinen die Effekte einer gewissen Systematik zu folgen, insgesamt sei die Ausprägung aber sehr gering und selbst bei einer Wiederholung der Muster kaum auszunutzen.

Volatil dürfte es dieses Mal auch dann zugehen, falls es wider Erwarten zu einer Koalition unter Einbeziehung der Partei "Die Linken" kommt. Die Landesbank Baden-Württemberg etwa hält diese nicht nur wegen der Außenpolitik der Linkspartei zwar für unwahrscheinlich, jedoch nicht für völlig ausgeschlossen. Die dortigen Analysten sprechen gleichzeitig aber auch davon, dass aus der Sicht der Märkte eine solche Konstellation ein "Politikunfall" wäre. Kursrückgänge am Aktienmarkt und ein Anstieg der Bund-Renditen wären laut Landesbank Baden-Württemberg dann zu erwarten.

Gelassener, selbst mit der Möglichkeit einer Linkskoalition (SPD, Linke, Grüne) ist man bei Julius Bär. Die Schweizer Privatbank bezeichnet eine solche Linkskoalition zwar auch für wenig wahrscheinlich. Dennoch sei es für Investoren sinnvoll, sich auf dieses Szenario zu konzentrieren, da es die größte Abweichung vom Status quo in der deutschen Politik bedeuten würde.

Zu den bemerkenswertesten Änderungen gehörten dann voraussichtlich eine höhere Besteuerung von Vermögen und Wohlhabenden, höhere Steuerausgaben und stärkere Regulierung. Während die Auswirkungen auf die Finanzmärkte im Bereich der festverzinslichen Wertpapiere durch höhere Staatsanleiherenditen und engere Spreads bei Anleihen der EU-Peripherieländer sichtbarer wären, erwarten man aus den folgenden Gründen schwächere Auswirkungen auf deutsche Aktien:

Erstens beschränkten sich die beabsichtigten Steuererhöhungen auf das persönliche Einkommen und Vermögen, während Unternehmen ausgespart würden. Dies könnte sich zwar auf die Stimmung und damit auf die Aktienbewertungen auswirken, dürfte die Unternehmensgewinne jedoch kaum beeinflussen.

Zweitens hätten die höheren Staatsausgaben und eine europafreundliche Haltung einer Linkskoalition das Potenzial, das Wirtschaftswachstum und den Handel in der Eurozone gar zu verbessern und damit einen Teil der negativen Auswirkungen höherer Steuern und schärferer Vorschriften zu kompensieren.

Drittens, und das sei der wichtigste Punkt, würden deutsche Aktien stärker von ausländischen als von inländischen Faktoren beeinflusst. Im deutschen Leitindex DAX 40 würden lediglich 20 Prozent der Umsätze im Inland erzielt (siehe Grafik unten). Es überrasche nicht, dass der Index ein höheres Beta für das globale Wachstum aufweise als für das inländische Wachstum. Vor diesem Hintergrund könnten die Auswirkungen einer Linkskoalition auf deutsche Aktien geringer ausfallen als befürchtet.



Deutsche Aktien sind stark von der Weltkonjunktur abhängig



Zu ähnlichen Schlüssen kommt auch die DZ Bank. Für die dortigen Analysten stellt ein möglicher Politikwechsel zwar immer eine Gefahr für die Planungssicherheit von Unternehmen und damit für Verwerfungen am Kapitalmarkt dar. Jedoch fänden sich die meisten denkbaren Regierungskonstellationen bereits in den Bundesländern wieder. Von einem echten Politikwechsel könne somit allgemein nicht gesprochen werden bzw. von einer damit zusammenhängenden potenziellen Aktienmarktbelastung.

Viel wichtiger in diesem Zusammenhang sei jedoch die Tatsache, dass die deutsche Wirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten über ihre Handelsbeziehungen immer stärker von der Weltkonjunktur abhängig geworden sei, auf die eine nationale deutsche Regierung nur einen geringen Einfluss habe. Nicht nur der Exportweltmeister Deutschland, sondern ganz Europa partizipiere an dem Wachstum des starken US-Binnenmarktes und vor allem der Emerging Market, allen voran Asien und Lateinamerika.



Dieser Effekt auf deutsche Aktien sei gerade in der jüngeren Vergangenheit während der Corona-Pandemie extrem deutlich geworden. Ein erneutes Aufkeimen des Virus in den USA und China belaste deutsche Aktien überproportional. Internationale Fiskalprogramme und Impffortschritte dagegen sorgten für eine deutliche Entspannung. Des Weiteren sollten lokale politische Risiken für Anleger auf Portfolioebene irrelevant sein, da es ein Leichtes sei, diese durch überregionale Diversifikation zu eliminieren.

Vor diesem Hintergrund ist man bei der DZ Bank über die Bundestagswahl hinaus positiv für den deutschen Aktienmarkt gestimmt. Weitere internationale Öffnungsmaßnahmen sowie eine fortwährend unterstützende Notenbankpolitik förderten die Konjunkturerholung auf globaler Ebene und damit auch in Deutschland. Man erwartet für die Jahre 2021/2022 ein Wirtschaftswachstum in Höhe von 6,0/4,4 Prozent in den USA, 4,5/4,5 Prozent in der EWU sowie 2,7/4,8 Prozent in Deutschland. Auf dieser Basis erscheine ein Indexstand für den DAX bei 16.500 Punkten im Jahr 2022 als angemessen.

Marktauswirkungen von Bundestagswahlen nicht überschätzen



Zu beachten ist außerdem etwas ganz Grundsätzliches, worauf die Deka Bank in einer Publikation hinweist. Demnach ist es so, dass von Anlegerseite die Auswirkungen von Wahlentscheidungen auf die Finanzmärkte allgemein stark überschätzt werden. Weder in Deutschland noch in den USA seien in den letzten Jahrzehnten starke Ausschläge an den Aktienmärkten selbst im unmittelbaren Umfeld der Wahl zu beobachten gewesen.

In Deutschland sei selbst bei den wichtigen "Richtungswahlen" der vergangenen Jahrzehnte der ohnehin herrschende Trend am Aktienmarkt nicht verändert worden: die Performance des deutschen Leitindex habe in den drei Monaten vor und nach der Wahl überwiegend das gleiche Vorzeichen gehabt. Sofern überhaupt Politik-Erwartungen hierbei eine Rolle gespielt hätten, erscheine es so, als wären Regierungen mit der SPD als Hauptakteur vom Aktienmarkt eher skeptischer, also mit Abschlägen im Umfeld der Wahl, beurteilt worden und umgekehrt CDU/CSU-geführte Koalitionen von einem steigenden kurzfristigen Kurstrend begleitet worden.



Lediglich die Regierung Schröder habe diese Standardeinschätzung relativ schnell widerlegen können: sie habe das einzige Beispiel dargestellt, wo sich der Kurstrend vor der Wahl danach gedreht habe. Im Allgemeinen bleibt jedoch ein Aktientrend von vor einer Bundestagswahl auch danach erhalten.

Das liegt laut Deka Bank hauptsächlich daran, dass in Deutschland bei allen Unterschieden in wirtschaftlichen Einzelfragen der große Rahmen der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung von einem überwältigenden Teil des politischen Spektrums nicht infrage gestellt werde. Wachstums- und Inflationstrends hingen von vielen anderen Bedingungen ab als dem Handeln einer einzelnen Regierung: Halte sich dieses Regierungshandeln innerhalb gewisser marktwirtschaftlicher Leitplanken, dann seien es eher konjunkturelle und wachstumsrelevante Faktoren, die mittelfristig den Verlauf der Märkte bestimmten. Eine direktere Beeinflussung von Aktienwerten liege höchstens auf der Ebene einzelner Branchen oder sogar Unternehmen vor, die hin und wieder von einzelnen Punkten in Wahlprogrammen begünstigt oder benachteiligt würden.

MSCI Deutschland in der Merkel-Ära mehr als verdreifacht





Anknüpfend an die zuvor gezeigte Tabelle mit den Ergebnissen rund um die DAX-Performance bei früheren Wahlen zum Abschluss noch der Verweis darauf, dass die Börsianer Angela Merkel als Bundeskanzlerin eigentlich vermissen müssten. Zumindest wenn man als Maßstab dafür die Performance-Bilanz während ihrer Regierungszeit heranzieht.

Denn wie der Chart oben aus einer Publikation der Barclays Bank hervorgeht, erzielte der MSCI Deutschland seit 2005 eine Rendite von rund 200 Prozent. Er liegt damit knapp vor Frankreich, während Spanien und Italien gleichzeitig kaum zulegen konnten. Mit der Entwicklung von US-Aktien konnte Deutschland in den vergangenen 16 Jahren aber nicht mithalten. Zu sehen ist das für europäische Verhältnisse gute Resultat im Übrigen vor dem Hintergrund, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt seit 2005 real um die Hälfte gewachsen ist, was mehr ist als in den meisten anderen Ländern der EU, wobei auch die Firmengewinne vergleichsweise stark gestiegen sind.

Allerdings sollte man vorsichtig damit sein, einen zu engen Zusammenhang zwischen den führenden Politikern eines Landes und der Entwicklung um jeweiligen lokalen Aktienmarkt herzustellen. Denn zumindest so lange, wie die Politik nicht an der bisherigen Grundordnung rüttelt, ist es vermutlich viel wichtiger, ob die Geldpolitik expansiv oder restriktiv ist. Und natürlich hängt auch vieles daran, wie gut auf Unternehmensebene das Management und allgemein die Fähigkeiten der Mitarbeiter sind.

Warum man zu diesem Schluss kommen kann, dafür gibt es auch ein gutes aktuelles Beispiel. Denn Ex-US-Präsident Donald Trump nahm bekanntlich in der für ihn eigenen Bescheidenheit wie selbstverständlich an, dass die insgesamt gute Performance an der Wall Street in seinen Amtsjahren nicht zuletzt sein Verdienst war. Er warnte sogar mehrfach dafür, dass bei seiner Niederlage und einem Sieg von Joe Biden am US-Aktienmarkt ein Crash unausweichlich ist.

Bekanntlich hat die US-Börse aber auch nach der Amtsübernahme durch Biden ihre Kursrekordjagd bis jetzt unbeirrt weiter fortgesetzt. Wobei auch das nicht der Verdienst von Biden ist, sondern mit der weiterhin expansiven Geldpolitik sowie der günstigen Entwicklung der Unternehmensgewinne.