Nach dem sehr strengen Lockdown im ersten Quartal zog die Industrienachfrage in China im zweiten Quartal 2020 kräftig an. Hierdurch gerieten viele weltweite Hersteller unter Druck.
Gleichzeitig liefern sich die größten chinesischen Smartphone-Hersteller (Oppo, Vivo, Xiaomi) einen erbitterten Wettbewerb, um Huawei Marktanteile streitig zu machen. So bestellten sie etwa Chips und elektronische Komponenten doppelt und verknappten damit das Angebot für die Konkurrenz.
Im vierten Quartal zog auch die Automobilnachfrage an, wobei ein zunehmender Trend hin zu Elektroautos die Nachfrage nach Halbleitern zusätzlich anheizte.
Auch die Tatsache, dass die Menschen wegen der Lockdowns einen größeren Teil ihrer Zeit zuhause am PC oder mit Videospielen verbrachten, sorgte für eine konstant hohe Nachfrage nach Halbleitern.
Hinzu kamen in jüngerer Zeit extreme Wetterereignisse, die im Februar 2021 Komponentenfabriken dazu zwangen, ihren Betrieb teilweise einzustellen. In Texas sorgte eine Kältewelle im Februar 2021 für Stromausfälle in wichtigen Produktionsstätten von Samsung Electronics, Infineon und NXP. Zur gleichen Zeit hatte ein Erdbeben in Japan eine zweitägige Schließung des Werks von Renesas in der Stadt Naka zur Folge.
Der Halbleitermarkt wird mittlerweile von einem Duopol beherrscht: TSMC (Taiwan) und Samsung Electronics (Korea). Andere Marktteilnehmer (z.B. Global Foundries, UMC und SMIC) spielen nur noch eine Nebenrolle. Die Werke von TSMC und Samsung Electronics stellen damit quasi das Nadelöhr in der gesamten globalen Halbleiter-Lieferkette dar. Mit prall gefüllten Auftragsbüchern können diese Unternehmen die Preise erhöhen, vor allem aber sich auf das rentabelste Segment des Marktes (die ultrakleinen Chips) konzentrieren und sich ihre Kunden aussuchen. Hierzu zählen beispielsweise Apple, Qualcomm, Nvidia, AMD oder Mediatek. Das Feld der weniger profitablen "Lagging Nodes" überlassen sie ihren Konkurrenten aus dem Großraum China wie UMC und SMIC. Der Wettlauf um die Spitze ist jedoch noch lange nicht gewonnen: Intel kündigte kürzlich an, 20 Milliarden Dollar in die Halbleiterfertigung zu investieren - eine technologische "Kampfansage" an die aktuellen Top-Anbieter.
Makroökonomische Auswirkungen
Halbleiter tragen etwa 12% zum US-BIP bei. Die Verknappung könnte daher die Teuerungsrate für Waren (deutlich) in die Höhe treiben und stellt ein mögliches Abwärtsrisiko für die Wachstumsaussichten dar. Die Frage ist, in welcher Größenordnung?
Goldman Sachs schätzt, dass es im Jahr 2021 zu einem Anstieg der Kerninflation um 0,4 % und einem Rückgang des BIP um weltweit -0,60 % kommen könnte. Was die Inflationsrisiken angeht, so ist die Nachfrageelastizität bei Produkten auf Halbleiterbasis tendenziell recht hoch, zum Beispiel bei Unterhaltungselektronik und Autos. Aktuell reagiert der Markt weiterhin recht empfindlich auf Inflationsrisiken. Entsprechend hoch ist der Druck auf die Zentralbanken. Nach unserer Einschätzung wird diese Angebots-/Nachfrageverzerrung nur vorübergehend sein (auch wenn der disinflationäre Zyklus möglicherweise nachhaltig seinem Ende entgegengeht) und sollte das globale Wachstum nicht stark beeinträchtigen.
Die Auswirkungen werden von Sektor zu Sektor unterschiedlich sein.
Smartphone-Hersteller wie Apple, bei denen Halbleiter einen erheblichen Teil der Produktionskosten ausmachen, trifft Goldman Sachs zufolge der Preisanstieg dieser Komponenten (Speicher, Modem, 5G System-on-a-Chip, RF-Antennen) mit voller Wucht. Angesichts der starken Konkurrenz aus der "Android-Welt" (Samsung, Vivo, Oppo, Xiaomi) ist Apple gezwungen, die iPhone-Verkaufspreise stabil zu halten und kann diese Kosten nicht einfach an die Kunden weitergeben.
Autohersteller, bei denen nur ein geringerer Anteil der Produktionskosten auf Halbleiter entfällt, können diese Mehrkosten versteckt auf den Endpreis des Fahrzeugs aufschlagen.
Auch zum Redaktionsschluss befinden sich die Halbleiterbestände weiterhin auf sehr niedrigen Niveau, und die Vorlaufzeiten (d.h. die Zeit zwischen der Bestellung eines Mikrocontrollers und seiner Auslieferung an den Autohersteller, zum Beispiel) werden immer länger. Bis zur Standardisierung der Vertriebskette (Hersteller, Vertriebsstellen und Endkunden), die noch ganz am Anfang steht, dürfte es noch einige Quartale dauern.
Geopolitische Auswirkungen
Taiwan befindet sich seit langem in einem diplomatischen Spannungsfeld. Auf der einen Seite vertritt Peking die Ansicht, dass es nur ein China gibt, und sieht in der Insel eine rebellische Provinz. Washington hingegen erkennt zwar "politisch" die Ein-China-Doktrin an, betrachtet Taiwan aber "wirtschaftlich" als eigenständige Einheit.
Dabei ist die Insel Taiwan für die weltweite Halbleiterindustrie von entscheidender Bedeutung. Laut IC Insights, einem führenden Marktforschungsinstitut der Branche, waren dort Ende 2019 21,6 % der weltweiten Halbleiterproduktionskapazitäten (unabhängig von der Nationalität der Fabrikbesitzer) angesiedelt, noch vor Südkorea (20,9 %), Japan (16 %), China (13,9 %), Nordamerika (12,8 %) und Europa (5,8 %). Zwar sind TSMC und Mediatek die globalen Flaggschiffe der Branche. Auf der Insel gibt es aber Dutzende weitere Akteure der Halbleiter-Wertschöpfungskette, darunter Realtek, Novatek, Phison und Silicon Motion.
Taiwan nimmt damit eine zentrale Stellung in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen ein, und die wirtschaftlichen Folgen eines Konflikts wären erheblich. Auch wenn kein Vertrag die USA zur Verteidigung Taiwans verpflichtet (auch nicht der Taiwan Relations Act), würde ein Nichthandeln der USA Peking de facto zur dominierenden Macht in Asien machen. Vor allem aber würde damit das Konzept der Pax Americana in Asien in sich zusammenfallen, da den Verbündeten klar würde, dass sie nicht mehr auf die Verteidigung durch die Vereinigten Staaten zählen können. Dem amerikanischen Interventionismus liegt aber noch ein weiteres Motiv zugrunde: Den Daten der Research-Firma Gartner zufolge stellt TSMC mehr als 50% der Halbleiter für die US-amerikanischen Chip-Riesen (AMD, Nvidia, Qualcomm, Intel...) her.
Die USA müssen daher (in Abstimmung mit Taiwan) dafür sorgen, dass ein Krieg für Peking eine zu riskante Option bleibt. Für eine Politik der Abschreckung braucht es eine verstärkte Kooperation in Bereichen wie dem weltweiten Gesundheitswesen, der Wirtschaft und der regionalen Sicherheit. Die Sicherung von Versorgungskapazitäten (oder im Klartext: der wirtschaftlichen Vormachtstellung) hat die klassische Verteidigungspolitik verdrängt, die auf Waffen als Mittel der Abschreckung setzt. Die ultimative Waffe ist heute ein Bauteil von wenigen Nanometern, und mit jeder Verknappung verschärfen sich die Spannungen.
Was bedeutet das für die Positionierung in den Portfolios?
Wir haben uns dazu entschieden, solche Technologiewerte zu meiden, die in hohem Maße auf elektronische Komponenten angewiesen sind. Wie groß ihre Preismacht auch sein mag, so werden sie in einem derart wettbewerbsintensiven Umfeld doch nicht in der Lage sein, sämtliche Mehrkosten an die Verbraucher weiterzureichen. Dem Automobil- und dem Industriesektor hingegen ist es möglich, Preiserhöhungen etwas unauffälliger zu verpacken. Das macht diese beiden Sektoren attraktiv, zumal die Bewertungen nach unserer Einschätzung weiter auf angemessenem Niveau liegen, vor allem in Europa.
Investoren könnten sich damit durchaus Möglichkeiten bieten, von der Wertschöpfung des Halbleitermarktes zu profitieren. Unserer Meinung nach empfiehlt es sich hier jedoch eher, in vorgelagerte Sektoren zu investieren als direkt in Hersteller, bei denen die Eintrittsbarrieren zu hoch sind.
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