Stimmen die Schotten tatsächlich für die Loslösung vom Nachbarn, droht ein Umzug der hauptsächlich in Edinburgh ansässigen Banken, Vermögensverwalter und Versicherer nach London. Denn in England sitzt die große Mehrheit der Kunden. Viele Finanzfirmen haben dort aber sowieso schon Ableger gegründet. Ob es zu einem großen Umzug der schottischen Finanzindustrie kommen wird, steht noch in den Sternen. In den Umfragen zur Unabhängigkeit zeigen sich derzeit viele Bürger unentschlossen. Doch auch ohne eine mögliche Abwanderung ist in die schottische Branche der Vermögensverwalter Schwung gekommen.
Vergangenen Montag machte die auch hierzulande bekannte Fondsgesellschaft Aberdeen Asset Management die Übernahme von Scottish Widows Investment Partnership (SWIP) von der Lloyds Banking Group perfekt. Das verwaltete Vermögen von Aberdeen wächst dadurch von 226 auf 393 Milliarden Euro. Die Fondsgesellschaft steigt damit zum größten börsennotierten Vermögensverwalter Europas auf - noch vor dem britischen Konkurrenten Schroders. Lloyds erhält im Gegenzug eine Kapitalbeteiligung an Aberdeen von 9,9 Prozent und eine zusätzliche Zahlung von 47,7 Millionen Euro. Insgesamt kommt der Deal damit auf ein Volumen von rund 666 Millionen Euro.
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Regulierung und Konsolidierung
Etwas weniger, nämlich 466 Millionen Euro, legte die Investmentsparte des schottischen Versicherers Standard Life wenige Tage zuvor auf den Tisch, um sich den ebenfalls schottischen Anlagespezialisten Ignis einzuverleiben. Dieser gehörte bisher zur Phoenix Group, dem größten britischen Verwalter von Geschlossenen Lebensversicherungspolicen. Standard Life Investments (SLI), die bisher rund 200 Milliarden Euro an Vermögen verwaltet haben, gewinnen durch den Ignis- Deal rund 80 Milliarden Euro hinzu.
Manche Beobachter sehen in den jüngsten Übernahmen einen weiteren Beleg für die zunehmende Konzentration in der Fondsbranche. Diese wird auch durch eine immer schärfere Regulierung der Finanzmärkte getrieben. Denn strengere Gesetze und umfangreichere Meldepflichten bescheren den Investmentgesellschaften häufig Kostensteigerungen. Das wird vor allem für kleinere und mittlere Anbieter unangenehm. Größere Gesellschaften können durch Zukäufe und Übernahmen dagegen ihr verwaltetes Vermögen steigern und dadurch in Relation die Fixkosten drücken.
Daneben spielen noch andere Motive eine Rolle. Für Aberdeen etwa ist die SWIPÜbernahme eine gute Gelegenheit, sich als Vermögensverwalter noch breiter aufzustellen. Ursprünglich managte die 1983 gegründete Fondsgesellschaft nur Aktienfonds. Vor allem durch ihre erfolgreichen Schwellenländerportfolios erlangten die Schotten Aufmerksamkeit. 2005 erweiterte Aberdeen durch eine Übernahme das Anlagespektrum um Rentenfonds. Und im Geschäft mit Immobilienfonds ist Aberdeen seit vielen Jahren präsent.
Der Zukauf von SWIP stärkt nun insbesondere die Bereiche britische und europäische Aktien sowie britische Rentenpapiere und stellt das Geschäft auf eine breitere Basis. Ein offensichtlich nötiger Schritt, lag doch Aberdeens Schwerpunkt bisher klar bei Schwellenländerinvestments. Zwei Drittel des Umsatzes erzielten die Schotten mit ihren Fonds für Emerging-Markets- und Asien- Pazifik-Aktien sowie globale Dividendentitel. Dass sie dabei einen hervorragenden Job machen, zeigen die guten und sehr guten Fonds- Noten.
Ihr Pech: Schwellenländeranlagen waren in den vergangenen Monaten alles andere als gefragt. Allein im Januar und Februar dieses Jahres zogen Anleger unterm Strich 3,9 Milliarden Pfund (rund 4,7 Milliarden Euro) aus Aberdeen-Fonds ab. Doch das kann schnell wieder drehen. Mittlerweile scheint zumindest das Schlimmste überstanden, und hohe Zuflüsse in Fonds für Emerging-Markets- und Hochzins-Anleihen fangen die Abflüsse aus den Schwellenländer- Aktienfonds fast wieder auf.
Die SWIP-Übernahme bietet Aberdeen allerdings noch mehr als die Vergrößerung der Produktpalette. Die Gesellschaft kündigte an, langfristig strategisch mit der Lloyds Banking Group, dem Verkäufer von SWIP, zusammenarbeiten zu wollen. "Lloyds hat in Großbritannien einen hohen Marktanteil bei Sparguthaben und Immobilienkrediten, aber nur einen winzig kleinen im Bereich Vermögensverwaltung, den sie ausbauen wollen", so Aberdeen-Sprecher James Thorneley. Für die Schotten also eine gute Chance, sich einen neuen Vertriebsweg zu erschließen.
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Versicherer unter Druck
Etwas anders gelagert sind die Interessen im Fall SLI und Ignis. Dort ist die SLIMutter - der Versicherer Standard Life - bestrebt, sein Geschäft mit Vermögensverwaltung zu stärken. Zufall oder nicht: Der Zusammenschluss wurde verkündet, nachdem der britische Finanzminister George Osborne eine Woche zuvor eine Liberalisierung der Regeln für betriebliche Pensionsguthaben verkündet hatte. Davon betroffen ist der Markt für Annuitäten. Das sind Verträge, in denen sich Versicherer zur Auszahlung lebenslanger Renten gegen die Einzahlung des Pensionsvermögens angehender Rentner verpflichten. Die künftigen Rentner waren bisher zum Kauf von Annuitäten verpflichtet. Fällt diese Pflicht nun weg und Ruheständler können ihr Pensionsguthaben anlegen, wie sie wollen, werden wohl viele die mickrig rentierenden Annuitäten vermeiden.
Britische Versicherer dürften deshalb ihr Geschäft mit Vermögensverwaltung stärker ausbauen, da dort die Nachfrage steigen wird. Mit der Verstärkung von SLI durch Ignis geht Standard Life diesen Schritt. Die Versicherung profitierte schon von der gut aufgestellten Investmentsparte. Bemerkenswert bei SLI ist, dass sie seit dem vergangenen Jahr mehr Gelder für externe Anleger managt als für Kunden des Versicherers Standard Life. Mit dem Kauf von Ignis verwaltet die Gesellschaft nun fast zwei Drittel ihrer gesamten Anlagesumme für externe Investoren.
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Starke Schottenfonds
Zum Erfolg von SLI trägt ganz wesentlich der Bestsellerfonds Global Absolute Return Strategies Fund (kurz: GARS) bei. Allein 2013 flossen dem Fonds und seiner britischen Variante 7,2 Milliarden Euro zu. Auch bei deutschen Anlegern wird der Fonds immer beliebter. Er beweist, dass die Schotten in den unterschiedlichsten Anlageklassen, von Aktien und Renten über Immobilien bis hin zu Private Equity, ihr Handwerk verstehen (s. Investor-Info).
Das gilt auch für die Anlagemanager von Ignis. Hierzulande noch wenig bekannt, gehen die Wurzeln der Gesellschaft bis ins Jahr 1899 zurück. Damals wurde in Glasgow die kleine Versicherungsgesellschaft Foreman & Staff Mutual Benefit Society gegründet. Später formte sich daraus die FS Assurance, die 1983 ein eigenes Investmentmanagement-Haus gründete. Nach weiteren Fusionen entstand 2009 die heutige Ignis.
Die Kernkompetenz des Hauses liegt bei Anleihen. Von den rund 80 Milliarden Euro an Anlagegeldern werden etwa 60 Milliarden in Rentenfonds gemanagt. Das Flaggschiff der Schotten im europäischen Markt ist der Ignis Absolute Return Government Bond Fund. Seit 2011 ist dieser Fonds für Privatanleger zugänglich. Erst kürzlich gab’s von der Ratingagentur Fitch eine Auszeichnung für die hohe Fondsqualität.
Vielleicht gelingt Anbietern wie Ignis und SLI ja künftig auch, was Aberdeen bereits im vergangenen Jahr erreicht hat. 2013 zeichneten die BÖRSE ONLINE-Schwesterpublikationen €uro am Sonntag und €uro den schottischen Vermögensverwalter als "Fondsboutique des Jahres" aus.
Auf Seite 5 und 6: Investor-Info