von Dirk Elsner
Wer sich heute als Kunde in die Finanz- und Anlagewelt aufmacht, der muss das Gefühl haben, sich in ein unbekanntes Abenteuer zu stürzen, wenn er wenig oder kein Vorwissen mitbringt. Mit den Details der Finanzwelt müssen oder wollen sich aber notgedrungen immer mehr Bürger befassen, wenn sie den niedrigen und in manchen Fällen sogar negativen Zinsen für ihre angelegten Gelder entkommen wollen.
Dabei haben die meisten Kunden heute noch Glück, denn im Finanzbereich hat sich für Privatkunden, nüchtern betrachtet, die Produktpalette vieler Banken in den letzten 10 Jahren kaum weiterentwickelt, wenn wir einmal absehen von den unzähligen Varianten am Derivate- und Zertifikatemarkt. Nur der Papierkram rund um die Eröffnung von Konten und Depots sowie die Anlageberatung ist deutlich umfangreicher geworden. Die gestiegene Bürokratie spiegelt die umfangreichen regulatorischen Anforderungen wider, die aber selten mit merkbaren Leistungsverbesserungen für die Kunden einhergehen.
Über gesetzlich erzwungene Neuerungen im Zahlungsverkehr, wie SEPA, freuen sich die wenigsten Kunden. Kaum ein Kunde spürt die Vorteile, die der einheitliche EURO-Zahlungsverkehrsraum mitbringt. Zahlungen zwischen verschiedenen Banken sind immer noch eine gefühlte Ewigkeit unterwegs und das im digitalen Zeitalter, in dem Nachrichten in Millisekunden um die Erde geschickt und verarbeitet werden. Spätestens seit dem durch Michael Lewis´ Buch "Flash Boys" bekannt ist, wie der Hochfrequenzhandel der Investmentprofis und Banken funktioniert, weiß die interessierte Öffentlichkeit, dass selbst milliardenschwere Finanztransaktionen in Sekundenbruchteilen abgewickelt werden können, wenn der Wille besteht. Am Bankkonto sind solche Errungenschaften bisher vorbeigegangen.
Seit einiger Zeit vollzieht sich aber ein Wandel. "Financial Technology" oder kurz FinTech heißt das Zauberwort, das derzeit vor allem Fachleute und eine immer größer werdende digitale Avantgarde elektrisiert. Weltweit sind IT- und Telekommunikationsunternehmen zusammen mit über 3.500 Start-ups dabei, Dienstleistungen rund um den Finanzsektor und das Internet zu entwickeln und an den Markt zu bringen.
Allein in Deutschland zählen wir mittlerweile über 150 Start-ups, die angetreten sind, Bankdienstleistungen bequemer, informativer, schneller oder cleverer anzubieten. Viele dieser Angebote setzen auf bestehende Konten und Depots bei Banken auf, verbessern aber den Service. Ein Beispiel dafür ist moneymeets (siehe dazu auch dieses Video). Das Unternehmen bezeichnet sich als "das erste soziale Netzwerk für Finanzthemen". Die Mitglieder der Community können sich über bereitgestellte Tools untereinander beraten und so von Banken unabhängige Finanzentscheidungen treffen. Über die Plattform können Daten aus bestehenden Depots eingelesen und ausgewertet werden. So holt das Unternehmen oft mehr Informationen aus den Depotdaten als manch eine Bank. Mittlerweile können auch Handelstranskationen mit Investmentfonds und börsennotierten Wertpapieren angestoßen werden.
Während bei Moneymeets aber Konten und Depots bei der bisherigen Hausbank bleiben, erheben andere den Anspruch, diese überflüssig zu machen. So will das Berliner Start-up number26 Europas mondernstes Girkokonto bieten, das nur über eine Smartphone-App funktioniert. Dabei verspricht das Unternehmen auch eine Lösung, um die umständliche Eingabe der SEPA-Daten zu vermeiden.
Ich werde mich in dieser Kolumne mit vielen der Neuigkeiten befassen, mit denen die FinTechs gerade erst ihre Kundenjagd begonnen haben. Wir werden dabei auch sehen, dass nicht alles digitale Gold glänzen kann. Nur die wenigsten Start-ups werden wohl das Banking revolutionieren oder gar die klassischen Banken überflüssig machen können.
Ein Grund, warum es gerade für kleinere Newcomer schwer im Finanzdienstleistungsbereich ist, ist die extrem hohe Dichte an Vorschriften. Die Regulierung der Banken sollte ja bekanntlich "die Finanzmärkte zähmen" und für die Kunden sicherer machen. Das aber was Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden in den letzten Jahren in Basel, Brüssel und den Hauptstätten produziert haben, geht weit darüber hinaus. Viele der neuen Vorgaben regeln bis in operative Details, wie Leistungen zu erbringen und abzuwickeln sind. Ich habe erhebliche Zweifel, ob die Finanzmärkte dadurch sicherer geworden sind, in jedem Fall sind sie noch komplizierter geworden.
Ein Beispiel: Kurz vor Weihnachten veröffentlichte die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) ihre Vorschläge für regulatorische Standards und technische Durchführungsvorschriften zu der im vergangenen Jahr aktualisierten Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente (in Fachkreisen MiFID II) genannt. Interessierte Leser sollten sich diese Bezeichnung schon jetzt merken, müsse aber die über 2.000 Seiten MiFID II und ergänzender Vorgaben nicht gelesen haben. Dieses Paket wird die europäischen Finanzmärkte nicht nur weiter "harmonisieren", sondern großen Einfluss darauf haben, ob überhaupt und wie künftig Anlagegeschäfte betrieben werden können. Was diese Richtlinie konkret bedeutet, werde ich in späteren Beiträgen vertiefen. In jedem Fall dokumentiert sie das große Misstrauen des Staates, dass Banken ohne diese detaillierten Vorgaben ihre Geschäfte fair und sicher anbieten und abwickeln können.
Die kritische Haltung gegenüber dem Finanzsystem infolge der Krise bremst seine Weiterentwicklung. Die Ironie dabei hielt Robert Shiller, Nobelpreisträger für Wirtschaftswissenschaft, schon vor über drei Jahren fest: "Wir brauchen bessere Finanzinstrumente und nicht weniger finanzwirtschaftliche Aktivität, um die Wahrscheinlichkeit künftiger Finanzkrisen zu verringern."
Den Willen, finanzwirtschaftliche Leistungen zu verbessern, sehen viele eher bei den Technologieunternehmen. Insbesondere in Deutschland wagen sich die meisten Risikokapitalgeber aber nur sehr vorsichtig an neue Technologie. Vielleicht sind deswegen bisher die ganz großen Würfe ausgeblieben. Manch einer glaubt, sich bereits mit fünfstelligen Beträgen in das digitale Bankgeschäft einkaufen zu können. Mag sein, dass dies auch einmal klappen könnte. Schaut man allerdings nach England, in die USA oder nach Asien, dann werden dort mittlerweile zwei- bis dreistellige Millionenbeträge aufgerufen für Investitionskapital.
Zu den schon etablierten und weltweit erfolgreichsten FinTechs gehört die US-Kreditbörse Lending Club. Das Unternehmen vermittelt über seine Internetplattform Kredite von Privatanlegern und institutionellen Investoren an Privathaushalte sowie an kleine und mittlere Unternehmen und ist derzeit die größte "Crowdlending"-Plattform der Welt. Das seit 2007 existierende Unternehmen wagte im Dezember den Gang an die New Yorker Börse und gehört laut finanzen.net zu den zehn größten Internet-Börsengängen in der Geschichte. Lending Club wird mittlerweile mit über acht Milliarden US-Dollar an der Börse bewertet.
Die Potenziale, die hinter solchen und vielen anderen Unternehmen stecken, sind gewaltig und das Bedrohungspotenzial für klassische Banken hoch. Die Betonung liegt aber hier (noch) auf Potenzial, denn aktuell kann man allenfalls in Asien und in Afrika besichtigen, dass die etablierte Finanzwelt durch Newcomer aus dem IT- und Kommunikationsumfeld erfolgreich bedrängt wird. In Europa und den USA haben die Banken traditionell eine sehr starke Position und profitieren neben den durch die Regulierung entstandenen Markteinstiegshürden auch von staatlichen Bestandsgarantien und der Politik des billigen Geldes.
Noch ist also längst nicht klar, wie genau der digitale Wandel das Banking gestalten wird. Es besteht aber kein Zweifel daran, dass die Veränderungen längst begonnen haben.
Dirk Elsner arbeitet als Unternehmensberater für die Innovecs GmbH. Zu seinen Schwerpunkten gehören u.a. Veränderungen der Finanzwirtschaft, Regulierungsthemen und digitale Finanzdienstleistungen. Seit 2008 betreibt er das private Wirtschaftsblog Blick Log, das mehrfach ausgezeichnet wurde.