Benjamin Franklin gilt nicht nur als einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten, er war auch Naturwissenschaftler und Erfinder. Ob es ihm gefallen hätte, dass sein Porträt heute die 100-Dollar-Note der USA ziert? Bestimmt begeistert wäre er vom Fortschritt, den die Digitalisierung der Menschheit beschert.

Auch das Thema Geldanlage ist längst ein Teil im modernen Kosmos der Nullen und Einsen. Seit etlichen Jahren können Privatanleger ihr Kapital nämlich von sogenannten Robo-Advisors verwalten lassen.

Treibend bei der Entwicklung dieser digitalen Vermögensmanager waren - Franklin lässt grüßen - die USA. Bereits 2008 gingen dort Anbieter wie Wealthfront oder Betterment an den Start. Heute verwalten die Robo-Advisors jenseits des Atlantiks das mit Abstand größte Anlagevermögen: umgerechnet mehr als 600 Milliarden Euro.

Vergleichsweise bescheiden nimmt sich dagegen die Summe aus, die Sparer in Deutschland bei den digitalen Anlagehelfern geparkt haben. Auf rund fünf Milliarden Euro schätzen sie die Experten des Analysehauses FondsConsult in ihrer 2020 zum zweiten Mal erschienenen Marktstudie. Seit ungefähr fünf, sechs Jahren fassen Robo-Advisors auch auf dem deutschen Markt Fuß. Ihr Ziel ist es jeweils, digitalaffinen Privatanlegern den einfachen Aufbau und die Verwaltung eines Depots zu ermöglichen. Da die Robos häufig preiswerte Indexfonds, die ETFs, einsetzen, können sie ihre Dienstleistung günstiger als die etablierten Rivalen anbieten.

Die Branche ist jedoch noch sehr jung, und die Akteure müssen vielfach noch beweisen, dass sie langfristig gute Anlageergebnisse erzielen können. Grundsätzlich verfolgen sie zwei unterschiedliche Ansätze bei der Vermögensverwaltung, die nachfolgen näher beschrieben werden.

Von einem passiven Ansatz spricht Philipp Dobbert nicht so gern. Denn gemeinhin gilt Aktivität als gut, Passivität als schlecht. Lieber verwendet der Chefvolkswirt von Quirion den Begriff "prognosefrei". So also werden die Kundendepots bei dem Berliner Robo-Advisor gemanagt: "Die Zukunft kann niemand vorhersagen", meint Dobbert. "Deshalb bringt es unserer Ansicht nach auch nichts, wegen irgendwelcher Prognosen Anlagequoten taktisch zu erhöhen oder zu senken."

An die Vorhersagbarkeit der Börsenzukunft glaubt man beim digitalen Ableger der Quirin Privatbank dezidiert nicht. Dafür umso mehr an die Kapitalmarktforschung. Und die zeige sehr konsistent: "Auf Dauer scheitern prognosegetriebene Manager stets daran, eine höhere Rendite als der breite Markt zu erzielen oder dessen Rendite mit einem geringeren Risiko zu erwirtschaften", erklärt Dobbert. Das Credo des Hauses lautet: "Aktives Management ist fehlerbehaftet und lohnt sich nicht."

An dieser Überzeugung ändere auch die Tatsache nichts, dass aktive Fondsmanager ihre Vergleichsindizes zuweilen doch schlagen. "Was gestern Carmignac war, ist heute Flossbach", so Dobbert. Statistisch betrachtet, seien solche Erfolgsgeschichten vom Zufall nicht unterscheidbar. Der Privatanleger solle für den langfristigen Vermögensaufbau lieber auf einen prognosefreien Ansatz setzen. "Dabei entscheidet sich der Quirion-Kunde einmal für eine bestimmte Anlageaufteilung, die seiner Risikoneigung entspricht, und diese Aufteilung wird dann durchgehalten." Dabei spielt das Rebalancing des Depots eine wichtige Rolle. Mindestens einmal im Jahr wird die ursprüngliche Gewichtung der Anlageklassen im Depot wiederhergestellt. Gibt es Abweichungen von mehr als zehn Prozent bei den festgelegten Quoten, werden sie bereits vorher ausbalanciert.

Als Besonderheit zeichnet den Robo- Advisor aus, dass mit entsprechenden ETFs sogenannte Faktorprämien vereinnahmt werden sollen: Vor allem wird auf Value und Size gesetzt. Konkret bedeutet das einen Fokus auf unterbewertete Firmen sowie Nebenwerte. "Historisch betrachtet, liefern diese Faktoren Überrenditen, auch wenn Value-Werte in den vergangenen Jahren stark zurückgeblieben sind", sagt Dobbert. "Doch die Value-Prämie ist nicht tot", ist er überzeugt.

Große Spreizung bei Mindestanlage

Der digitale Vermögensverwalter der Quirin Privatbank kam bereits 2013 auf den Markt und ist heute mit Blick auf das verwaltete Vermögen der Marktführer bei den passiven beziehungsweise prognosefreien Robos. Doch natürlich tummeln sich in diesem Bereich inzwischen weitere Mitbewerber. Die fünf größten Anbieter mit den wichtigsten Eckdaten sind in der Tabelle unten versammelt. Beim verwalteten Vermögen griff die Redaktion auf die Schätzungen der jährlichen Robo-Advisor-Studie von FondsConsult zurück. Im Anbieterfeld zeigen sich deutliche Unterschiede, vor allem was die Mindestanlagesummen betrifft. Sie reichen von 500 Euro bei Growney und WeltInvest bis hin zu 100.000 Euro bei Liquid, hinter dem das Family Office der Quandt-Familie steht.

Am Anfang des Gesprächs mit Salome Preiswerk steht eine Begriffsklärung. "Wir sind aktiv, aber nicht aktionistisch", sagt die Gründerin und Geschäftsführerin von Whitebox. Der Freiburger Robo-Advisor ist seit Anfang 2016 auf dem Markt und zählt damit schon zu den erfahreneren Anbietern. Und wie Vertreter aus dem passiven Robo-Lager betonen, dass ihr Ansatz nichts mit Untätigkeit zu tun habe, soll bei Whitebox nicht der Eindruck von Hyperaktivität aufkommen.

"Wir verfolgen bei der Depotkonstruktion für unsere Kunden einen Value-basierten Ansatz", sagt Preiswerk. Dabei würden aus über 300 Anlageklassen, Regionen und Sektoren die vielversprechendsten ausgewählt. Vielversprechend heißt: Mit Investments in Anlagen, die unterbewertet sind, und bei denen man darauf wartet, dass sie zu ihrem fairen Wert zurückkehren, will Whitebox Mehrrendite erzielen.

Das ist der eine Teil des Portfoliomanagements. Der andere besteht darin, das Depot robust zu machen, damit es in vielen Marktsituationen besteht. "Wir modellieren das Risiko immer langfristig", erklärt Preiswerk, "dabei betrachten wir vor allem die sogenannten Tail-Risiken, Ereignisse mit geringer Eintrittswahrscheinlichkeit, aber hohem Schadenspotenzial." Das geschieht mithilfe eines Mean-CVaR-Ansatzes (siehe Glossarerklärung unten) sowie Szenario- und Stresstests.

Einen Punkt betont die Whitebox- Gründerin besonders: "Wir betreiben kein Volatilitätsmanagement." Denn Kursschwankungen seien nicht etwas grundsätzlich Negatives. "Und langfristig kostet der Versuch, die Volatilität zu glätten, nicht unerheblich an Rendite." Oft werde zum Beispiel nach Abschwüngen der Aufschwung verpasst.

"Das Risikomanagement muss immer kongruent sein zum Anlagehorizont", sagt Preiswerk. Diese Regel würden viele Marktteilnehmer nicht beherzigen. "Man ist sich einig, dass die Geldanlage mittel- bis langfristig ausgerichtet sein soll. Doch die Risiken können häufig nicht kurzfristig genug gemanagt werden." In die Depots der Whitebox- Kunden werde nur eingegriffen, wenn sich die längerfristige Risiko-Chancen- Struktur ändert.

Auch etablierte Banken mischen mit

Mit seinem wissenschaftlich fundierten Ansatz zählt der Robo-Advisor aus dem Südwesten Deutschlands zu den aktuell fünf größten Anbietern der aktiven Kategorie. In der Tabelle unten sind die Schwergewichte aufgeführt. Auch dieser Auflistung liegen die Schätzungen zum Anlagevolumen durch FondsConsult zugrunde.

In der Gruppe tauchen gleich zwei Robo-Advisors auf, die Banken zuzuordnen sind. Hauptanteilseigner bei Cominvest ist die Commerzbank; das Gros der Mittelzuflüsse kommt vom Direktbankableger Comdirect. Und mit Robin betreibt auch Deutschlands größtes Geldinstitut, die Deutsche Bank, seit 2017 einen digitalen Anlageverwalter.

Unbestrittener Wachstumsprimus und Marktführer ist aber das seit 2016 tätige Münchner Start-up Scalable Capital. Dort hat man sich bei den Portfolios ganz dem systematischen Risikomanagement verschrieben, das auf sehr kurzfristiger Basis erfolgt - ganz im Gegensatz zu Whitebox.


 


Glossar:

CVaR: Die Abkürzung steht für Conditional Value-at-Risk, eine Weiterentwicklung der klassischen Risikokennziffer Value-at-Risk (siehe auch VaR-Musterdepot). Der CVaR berücksichtigt neben der Wahrscheinlichkeit für große Kursabweichungen auch die Höhe der möglichen Verluste. Robo-Advisors wie Whitebox setzen den CVaR zur Portfoliooptimierung ein.

ETC: Abkürzung für Exchange Traded Commodity, zu Deutsch börsengehandelter Rohstoff. ETCs bieten die Möglichkeit, zum Beispiel von einem Anstieg der Edelmetallpreise zu profitieren. Zu den hierzulande beliebtesten ETCs zählt das Produkt Xetra Gold.

ETF: Kürzel für den englischen Begriff Exchange Traded Fund, zu Deutsch börsengehandelter Fonds. Diese Finanzprodukte werden auch passive Fonds genannt. Denn in der Regel folgen sie einem Börsenindex wie dem DAX im Verhältnis eins zu eins und weisen im Vergleich zu aktiven Fonds deutlich niedrigere Gebühren auf.

Faktorprämie: Merkmal eines Wertpapiers, das statistisch identifizierbar als Treiber von Rendite und Risiko fungiert. Als bekannteste Faktorprämien, die tendenziell höhere Renditen versprechen, gelten Small Size (kleine Aktiengesellschaften) und Value (günstig bewertete Unternehmen, sog. Substanzwertaktien).

Fintech: Zusammengesetztes Wort aus den Begriffen "Finanzdienstleistung" und "Technologie". Als Fintechs werden Unternehmen bezeichnet, die herkömmliche Bankdienstleistungen durch Technologie vereinfachen und verändern wollen. Auch Banken gründen eigene Fintechs oder kaufen/beteiligen sich an Start-ups.

Rebalancing: Das Zurücksetzen eines Depots in seine Ursprungskonstellation. Wichtiges Mittel zur Depotpflege, damit die Ausrichtung der Vermögensanlage (defensiv, moderat, offensiv) auch nach vielen Jahren noch mit dem persönlichen Anlageplan übereinstimmt. Die meisten Robo-Advisors rebalancieren die Depots ihrer Kunden regelmäßig oder wenn von gewissen Quoten abgewichen wird.

Volatilität: Schwankungsbreite einer Wertpapieranlage und häufig als Maß für das Anlagerisiko verwendet.