Banken und Sparkassen in Deutschland klagen immer lauter über die Kosten der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) - und treiben ihre Bemühungen voran, ihre Kunden daran zu beteiligen. "Der Negativzins frisst sich in unsere Gesellschaft", so formulierte es der Chefvolkswirt des Sparkassenverbands DSGV, Reinhold Rickes, gegenüber BÖRSE ONLINE (siehe Interview). "Die EZB macht es auch den Sparkassen immer schwerer, sich gegen Negativzinsen für ihre Kunden zu stemmen."

Wegen zunehmender konjunktureller Risiken hat die EZB kürzlich eine weitere Lockerung ihrer Geldpolitik und Zinssenkungen in Aussicht gestellt. Bereits seit Jahren müssen Banken für die Einlage von überschüssigem Kapital bei der Notenbank Negativzinsen von 0,4 Prozent zahlen. Derzeit, so Rickes, zahlten allein die Sparkassen jährlich rund 100 Millionen Euro Negativzinsen an die EZB, die Landesbanken, also die Zentralinstitute der Sparkassen, weitere 300 Millionen Euro. "Diese Rechnung würde sich mit verändertem Zins linear erhöhen", warnt der Sparkassen- Volkswirt.

Den deutschen Bankensektor insgesamt kostete der Einlagenzins zuletzt 2,3 Milliarden Euro im Jahr. Der Privatbankenverband BdB rechnet mit einem Anstieg der Gesamtbelastung der deutschen Banken um 500 Millionen auf 2,9 Milliarden Euro, falls auf der nächsten EZB-Sitzung am 12. September der Einlagensatz von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent gesenkt wird.

"Die Möglichkeiten, zusätzliche Belastungen über Entgelte und Zinsen weiterzugeben, sind zwar begrenzt", sagte BdB-Präsident Hans-Walter Peters gegenüber BÖRSE ONLINE. "Aber der Druck steigt immer stärker, sie auszuschöpfen. Ich könnte mir vorstellen, dass viele Banken zusätzliche Belastungen auch in der Breite an Privatkunden weitergeben." Bislang haben die Institute aus Image- und Wettbewerbsgründen weitgehend darauf verzichtet, die Kosten über "Strafzinsen" ihrer Kundschaft im Massengeschäft aufzubrummen.

Hemmschwelle sinkt


Der Spielraum der Geldhäuser ist dabei rechtlich ohnehin begrenzt. Im normalen Einlagengeschäft darf die Bank keine Negativzinsen verlangen. Deshalb werden aus dem Sparkassenlager bereits Forderungen nach Gesetzesänderungen laut.

Alternativ können die Banken aber auch ihre Gebühren anheben - wovon sie bereits rege Gebrauch machen. "Für die Profitabilität ist es letztendlich egal, ob das Kind Strafzins, Verwahrentgelt oder Kontoführungsgebühr heißt", sagt der Ökonom Friedrich Heinemann vom Forschungsinstitut ZEW Mannheim.

Nach einer Analyse des Finanzportals Biallo bezahlen die Bankkunden in Deutschland bereits vier Milliarden Euro Grundgebühr pro Jahr für Girokonten. Laut Biallo gibt es außerdem nur noch ein paar Dutzend Institute, die ein Konto ohne Kontoführungsgebühren anbieten, darunter ING, DKB, Commerzbank und Santander. Nach den jüngsten EZB-Zinssignalen dürfte die Zahl weiter sinken.

Interview mit Reinhold Rickes: "Der Negativzins frisst sich in die Gesellschaft"


400 Millionen Euro Strafzinsen jährlich zahlt der deutsche Sparkassensektor bereits an die EZB. Laut Reinhold Rickes, Chefvolkswirt der Sparkassenverbands DSGV, zeichnen sich höhere Belastungen ab - und der Druck wächst, das an die Kunden weiterzugeben.

BÖRSE ONLINE: Die Europäische Zentralbank (EZB) hat wegen der schwachen Konjunktur eine weitere Lockerung ihrer Geldpolitik und Zinssenkungen in Aussicht gestellt. Hat sie dazu überhaupt noch eine Alternative?
Reinhold Rickes: Wir halten es für verfehlt, auf noch mehr monetäre Expansion zu setzen, egal ob mit wieder ausgeweiteten Anleihekäufen oder mit noch niedrigeren Leitzinsen. Das regt keine Investitionen mehr an. Die Wirkung auf Konjunktur und Preise verpufft. Vielmehr überwiegen zunehmend die Nebenwirkungen dieser harschen Medizin. Kapital wird fehlgeleitet, Schulden blähen sich auf, Vermögenspreisblasen können entstehen. Und die Wende wird immer schwieriger, je tiefer sich die EZB im Negativzins verschanzt und je abhängiger die Kapitalmärkte von der künstlichen Liquidität werden.

Welche Folgen ergeben sich für die Sparkassen?
Die unerwünschten Nebenwirkungen lassen sich nur schwer quantifizieren. Fest steht: der Schaden für Wirtschaft und Gesellschaft ist bereits heute groß und wird jetzt wohl noch wachsen. Nimmt man die heutige Ankündigung und schaut sich nur die unmittelbarsten Auswirkungen an - die Zahlungen an die EZB und die eigene Anlagepolitik bei Sparkassen - dann ergibt sich folgendes Bild: Sparkassen zahlten derzeit jährlich rund 100 Millionen Euro Negativzinsen an die Notenbank. Bei den Landesbanken, also den Zentralbanken der Sparkassen, waren es 300 Millionen Euro. Wenn die EZB ihren ohnehin schon negativen Einlagensatz auf ihrer nächsten Sitzung im September weiter senkt, würde sich diese Rechnung linear erhöhen.

Mit welchen volkswirtschaftlichen Effekten rechnen sie?
Der Schaden in der Branche ist viel höher. Im gesamten Euroraum beträgt allein der direkte Negativzins an das Eurosystem 7,5 Milliarden Euro jährlich. Das sind Erträge, die zur Stabilisierung und Festigung des angeschlagenen Bankensektors fehlen und in manchen Ländern dringend nötig wären.

Inwieweit müssen sich Sparkassenkunden jetzt auf "Strafzinsen" einstellen?
Die EZB macht es den Häusern immer schwerer, sich dagegen zu stemmen. Der Negativzins frisst sich immer breiter in die Gesellschaft. Allerdings kann niemand voraussagen, wie sich die Konditionen entwickeln. Das ist eine Entscheidung der einzelnen Häuser. Die Konditionen und Preise bilden sich im Markt und im Wettbewerb.

Die EZB hat einen sogenannten Staffelzins mit Freibeträgen für die Banken ins Spiel gebracht, um die negativen Folgen für die Geldhäuser einzudämmen. Halten Sie diesen Ansatz für hilfreich?
Ja, ein Staffelzins wäre zumindest eine Linderung der unmittelbaren Auswirkung auf die Kreditwirtschaft. Andere Länder, die zum Instrument des negativen Leitzinses gegriffen haben, etwa die Schweiz, Dänemark oder Japan, haben solche Freibeträge gewährt. Sie sind schonender mit ihrem Bankensektor umgegangen und haben auch die Rückwirkungen auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Kreditwirtschaft berücksichtigt. Insofern begrüße ich es sehr, wenn die EZB solche Modelle jetzt ebenfalls ernsthaft prüft.