€uro: Herr Resch, seit Januar gilt in Stuttgart das erste große Dieselfahrverbot, weitere werden in anderen Städten folgen. In Essen wird ab Juli sogar eine Autobahn für ältere Diesel gesperrt. All diese Fahrverbote haben Sie erklagt. Zufrieden?


Jürgen Resch: Wir wollen den Autofahrern nicht ihre Mobilität nehmen. Unser Ziel ist, dass die betroffenen Diesel-Pkw bei einem zwei- bis vierstündigen Werkstattaufenthalt eine Hardware-Nachrüstung bekommen. Danach würden sie 80 Prozent weniger Dieselabgasgift NO2 (Stickoxid) ausstoßen und wären von Fahrverboten befreit. Vor Weihnachten hat die Bundesregierung endlich die dafür notwendige Nachrüst-Richtlinie erlassen.

Auch viele Dieselbesitzer wollen Nachrüstungen. Werden die wirklich kommen?


Wegen des Widerstands der Dieselkonzerne und der Verkehrsminister Scheuer und Dobrindt hat es 40 Monate gedauert, bis die Nachrüst-Richtlinie kam. 40 Monate! VW und Daimler haben nun zwar einer Kostenübernahme von 3000 Euro zugestimmt, aber noch am gleichen Tag hat VW Kunden explizit vor Nachrüstungen gewarnt. Das ist absurd. Die Politik muss die Autobauer endlich zwingen, alle elf Millionen Betrugsdiesel auf eigene Kosten nachzurüsten.

Die Autobauer sagen, Nachrüstungen seien technisch kaum umzusetzen.


Warum hat VW dann in den USA ausdrücklich technische Hardware-Nachrüstungen mit den Behörden vereinbart? Für 50 Prozent der betroffenen Diesel-Pkw müssen die Teile dafür nicht erst entwickelt werden.

Noch wird aber nicht nachgerüstet. Einige Fahrverbote gelten hingegen schon, weitere drohen. Millionen Autofahrer sind deshalb sauer auf Sie. Verstehen Sie deren Wut?


Ich kann die Wut der Autofahrer verstehen. Und ich staune darüber, dass Autobauer und Politik uns den Schwarzen Peter zuschieben wollen. BMW, Daimler, Audi, VW, Porsche und Bosch haben sich über 20 Jahre in Hotelhinterzimmern getroffen und eine minderwertige Abgasreinigung abgesprochen, das haben sie in einer Selbstanzeige eingestanden. Das war ein kriminelles Kartell, das nun der Organisation, die den Dieselabgasskandal aufgeklärt hat, die Folgen ihres Betrugs in die Schuhe schieben möchte.

Wichtiger als die Schuldfrage ist für Autofahrer, dass ihr Auto überall fahren darf.


Das ist auch das Recht der Autobesitzer, die viel Geld für ihren als sauber beworbenen Diesel ausgegeben haben. Es ist doch ganz einfach: Rüsten die Hersteller die Fahrzeuge nach, dürfen diese wieder überall fahren.

Die Hersteller setzen lieber weiter auf Umtauschprämien. Ist das für Sie in Ordnung?


Wir sprechen mittlerweile von Einwegautos, weil Diesel-Pkw offensichtlich nur noch eine Abgasstufe lang fahrbar sind. Wenige Jahre alte Euro-5-Diesel nun gegen ebenfalls schmutzige Euro-6-Diesel auszuwechseln, ist umweltpolitisch absurd und belohnt die betrügerischen Hersteller auch noch mit Rekordgewinnen durch Neuwagenverkäufe.

Bei den Umtauschaktionen wurden viele Euro-6-Diesel verkauft. Deutsche Gerichte halten Fahrverbote für diese Autos für unverhältnismäßig, europäische Gerichte nicht. Wollen Sie, dass auch neue Diesel nicht mehr in die Stadt dürfen?


Viele Euro-6-Diesel sind bei Straßenmessungen ähnlich schmutzig wie Euro-5-Diesel. In Städten mit sehr hohen NO2-Werten droht für diese Schmutzdiesel ab 2020 ein Fahrverbot, sollten die bis dahin geltenden Fahrverbote nicht ausreichen. Der Europäische Gerichtshof hat gerade selbst zu Euro-6d-Diesel unsere Rechtsauffassung bestätigt.

Und Benziner ohne Partikelfilter, wie sie bis vor Kurzem noch verkauft wurden?


Auf deren hohe Partikelemissionen haben wir bereits seit 2010 hingewiesen und für Benzin-Direkteinspritzer einen Filter gefordert. Deren Einbau hat die Automobilindustrie aber systematisch verzögert.

Sie sagen, dass an Dieselabgasen in Deutschland pro Jahr 13 100 Menschen sterben, und werfen der Autoindustrie Totschlag vor. Ist das nicht übertrieben?


Wir zitieren nur die offiziellen Studien der Europäischen Kommission.

Ihre neueste Forderung ist Tempolimit 120 auf Autobahnen. Da setzen Sie aber regelrecht auf den kollektiven Aufschrei, oder?


Unsere Forderung nach einem Tempolimit wiederholen wir seit 30 Jahren. Vor 15 Jahren traten selbst prominente CDU-Politiker wie Professor Andreas Troge, der damalige Chef des Umweltbundesamts, öffentlich für ein Tempolimit ein. Die Aufrüstung auf unseren Straßen geht aber weiter - bis hin zu Autos mit 1500 PS und einer Höchstgeschwindigkeit von 420 km/h. Die gehören auf den Nürburgring, aber nicht auf die Autobahn.

Das ist jetzt aber ein Extrembeispiel.


Ja, aber Tempo 250 ist heute bei Serienfahrzeugen in der Mittel- und Oberklasse Standard. Alle anderen Industriestaaten dieser Erde haben ein Tempolimit, nur in Deutschland darf auf vielen Tausend Kilometern Autobahn unbeschränkt gerast werden. Der reflexartige Aufschrei der Autolobby beim Thema Tempolimit erinnert mich an die Diskussion über die Waffengesetze in den USA.

Zwischen Waffen und Autos gibt es immer noch einen kleinen Unterschied.


In unserer Autorepublik scheint ein Tempolimit aber ebenso wenig durchsetzbar zu sein wie in den Vereinigten Staaten die Beschränkung des Waffenbesitzes.

Eine gesunde Portion Vernunft wäre beim Autofahren der Idealfall. Darf man Menschen zu mehr Vernunft zwingen?


Das Problem ist doch, dass manche Zeitgenossen mit solchen Freiheiten nicht umgehen können. Ich bin froh, dass nicht jeder Bürger bei uns eine halbautomatische Waffe besitzt. Sprechen Sie mal mit der Autobahnpolizei oder Rettungsdiensten, was die bei Hochgeschwindigkeitsunfällen erleben.

Sie wollen die Straßen sicherer machen?


Das ist ein wichtiger Nebeneffekt. Der Anlass unserer Forderung ist aber die Einhaltung der für 2020 verpflichtenden Klimaziele. Ein Tempolimit spart nach Berechnungen des Umweltbundesamts fünf Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr ein.

Die Autobranche lehnt Ihre Pläne kategorisch ab. Auch, weil sich mit dem Mythos "German Autobahn" gut werben lässt.


Ich bin überzeugt, dass die deutschen Ingenieure zu den besten der Welt zählen. Wann bekommen sie von den Konzernlenkern endlich den Auftrag, attraktive und gleichzeitig sparsame und saubere Autos zu bauen? Vielleicht sogar wettbewerbsfähige Elektro-Pkw für Familien und Firmen?

Werden Sie für Tempo 120 klagen?


Die Frage der Klage stellt sich hier erst einmal nicht. Es geht um die politische Durchsetzung einer überfälligen Entscheidung.

Neben Autos sind Sie derzeit bei zwei weiteren Themen sehr aktiv: Silvesterböller und Kaffeebecher. Um was geht es da genau?


Ich freue mich auch über einen schönen Jahreswechsel. Was aber nicht geht, ist die archaische Böllerei in hoch belasteten Innenstadtbereichen. Die Feinstaubbelastung durch Kracher und Raketen ist enorm. Jedes Silvester werden 5000 Tonnen freigesetzt. Das ist fast ein Fünftel der Feinstaubwerte, die pro Jahr im Straßenverkehr entstehen.

Schießen Sie selbst Raketen?


Nein. Aber ich schaue mir gern gut gemachte, professionelle Feuerwerke wie beim Seenachtsfest am Bodensee an.

Und die Kaffeebecher?


Jährlich werden drei Milliarden Einweggetränkebecher weggeworfen, die dann über 100 Jahre als Plastikmüll die Umwelt belasten. Wir möchten Mehrweggetränkebecher durchsetzen. Im vergangenen Jahr hatten wir einen schönen Erfolg. Wir haben den FC Bayern München davon überzeugt, in der Allianz Arena grundsätzlich von Einweg- auf Mehrwegbecher umzustellen.

Sind Sie eigentlich ein Lobbyist?


Wie alle Umweltverbände sind wir jedenfalls in Brüssel im Lobbyregister der EU gelistet. Als Umweltlobbyist setzen wir uns für den Klimaschutz, für sauberes Wasser und seit 30 Jahren für saubere Luft ein.

Sie bekommen aber auch Spenden von Firmen, die von Ihren Kampagnen profitieren. Beim Dosenpfand war das etwa ein Hersteller von Leergutautomaten. Auch Toyota hat Ihnen jahrelang Geld gegeben.


Das haben wir nie verheimlicht. Toyota hat uns über 20 Jahre hinweg mit kleineren Beträgen im Promillebereich unseres Jahresetats unterstützt, 2018 waren es 30 000 Euro. Das hat uns nicht davon abgehalten, Toyota genauso des Dieselabgasbetrugs zu überführen und 47 Mal gegen Toyota und seine Händler vor Gericht zu ziehen.

Auch diese Klagen gegen Firmen, mit denen Sie über zwei Millionen Euro pro Jahr einnehmen, werden kritisiert. Joachim Pfeiffer von der CDU tituliert Sie als "semikriminellen Abmahnverein". Was ist da dran?


Das ist üble Nachrede. Wir kämpfen für die Einhaltung von Recht und Gesetz und machen keinen Gewinn mit der Marktüberwachung. Die Einnahmen decken die Kosten für Kontrollen, Gutachten, Messungen und für die Verbraucherberatung. Von 25 Branchen, die wir stichprobenhaft überprüften, wehrt sich nur die Autobranche mit Händen und Füßen. Bis heute wagen es die zuständigen staatlichen Stellen ja nicht, Bußgelder gegen Autobauer auszusprechen. Herr Pfeiffer ist übrigens in einem CDU-Bezirksverband, der über drei seiner Vorstandsmitglieder direkt mit der Autoindustrie und dem Verkehrsministerium verbunden ist.

Trotzdem kommt immer wieder der Vorwurf, dass Sie selbst kleine Autohäuser wegen Bagatellen wie zu klein gedruckter Verbrauchsangaben zur Kasse bitten.


Würde das stimmen, würden wir die Fälle vor Gericht nicht gewinnen. Wir verlieren aber nur zwei bis drei Prozent der Verfahren.

Welche Delikte verfolgen Sie konkret?


Bei Autos geht es um korrekte Abgas- und Kraftstoffverbrauchsangaben. Und hier wird nach wie vor betrogen. Peugeot Deutschland hat zum Beispiel in den sozialen Medien Werbevideos für Autos veröffentlicht, ohne die vorgeschriebenen Verbrauchsangaben zu machen. Die Begründung war, das sei Unterhaltung und keine Werbung. Das ging bis vor den Bundesgerichtshof und den Europäischen Gerichtshof, und wir bekamen recht.

Der kleine Autohändler an der Ecke wird von Ihnen also sicher nicht abgemahnt?


Bei den Pkw-Kontrollen trifft es meist größere Autohändler oder Hersteller und Importeure.

Ein Teil der CDU will Ihnen wegen Ihrer Klagen und Abmahnungen die Gemeinnützigkeit aberkennen lassen. Sorgt Sie das?


Die CDU Nordwürttemberg hat den Antrag gestellt, sie ist der politische Arm der Autokonzerne in Deutschland. Deren Vorsitzender Steffen Bilger hat dies mit unseren vielen Gerichtsverfahren für die Durchsetzung der Luftreinhaltung begründet. Wir sollen also dafür bestraft werden, dass wir Rechtsfragen dort entscheiden lassen, wo sie in einer Demokratie hingehören: vor den Gerichten. Und zur geforderten Prüfung der Gemeinnützigkeit: Wir werden seit 43 Jahren von den Behörden geprüft und jedes Mal als gemeinnützig bestätigt, zuletzt im Herbst 2018 durch das zuständige Finanzamt.

Sie sind immer wieder massiven Anfeindungen ausgesetzt. Im Netz kursierte vor Kurzem ein Bild von Ihnen mit Hitlerbart. Schockt Sie das oder ist das Alltag?


Im Internet versucht man immer wieder, uns systematisch zu diffamieren. Vor allem aus der rechten Ecke gibt es solche Angriffe. Interessanterweise bekommen wir aber von den Betroffenen des Dieselskandals mehr Zuspruch als Kritik.

Zur Person: Jürgen Resch wurde 1960 nahe Stuttgart geboren und wuchs am Bodensee auf. Er leistete Zivildienst bei der Naturschutzorganisation BUND, die eng mit der DUH zusammenarbeitet. 1988 brach er sein Verwaltungsstudium für die Stelle als DUH-Geschäftsführer ab, die er heute zusammen mit Sascha Müller-Kraenner bekleidet. In seiner Freizeit schippert Resch oft mit seinem Elektroboot über den Bodensee und beobachtet Vögel. Seine CO2-Bilanz sei "berufsbedingt schrecklich", so Resch, der Zehntausende Kilometer im Jahr unterwegs ist. Privat zwängt er sich und seine Familie in einen elektrischen Renault Zoe. Vor zwei Jahren hat sich der DUH-Chef ein etwas geräumigeres Tesla Model 3 bestellt. Er hat die Hoffnung, dass es bald ausgeliefert wird, mittlerweile fast aufgegeben.

Deutsche Umwelthilfe: Schwefelfreie Kraftstoffe, Dosenpfand, Diesel-Partikelfilter: Die Kampagnen der 1975 gegründeten Deutschen Umwelthilfe führten in den vergangenen 20 Jahren immer wieder zu schärferen Umweltauflagen. Für Diesel-Fahrverbote hat sie schon 34 Klagen eingereicht und bisher keine davon verloren. Gerichte verdonnerten Städte wie Hamburg, Stuttgart oder Köln Fahrverbote zu verhängen. Mit Darmstadt fand die DUH eine außergerichtliche Einigung. Die gemeinnützige und klageberechtigte Organisation mit etwa 100 Mitarbeitern und nur 350 Mitgliedern nahm 2017 rund 8,3 Millionen Euro ein. 2,2 Millionen sind Spenden und Förderbeiträge, die gleiche Summe stammt aus den umstrittenen Abmahnungen ("ökologische Marktüberwachung"), 2,5 Millionen sind Projektzuschüsse, die mitunter von öffentlichen Stellen kommen.