Herr Bielmeier, auch das jüngste Treffen der Finanzminister der Eurozone mit Griechenland hat keine Einigung im Schuldenstreit gebracht. Wie schlimm kann es noch werden?
Beide Verhandlungsseiten haben ein Interesse an einer Einigung. Für Griechenland steht der Verbleib im Euroraum auf dem Spiel, für die Kreditgeber geht es um Forderungen in dreistelliger Milliardenhöhe. Da die Positionen beider Verhandlungsseiten aber weit auseinander liegen und vor allem die griechische Regierung umfangreiche Wahlversprechen abgegeben hatte, ist das Risiko eines politischen Unfalls und somit eines Scheiterns der Gespräche hoch.
Die neue griechische Regierung fordert mehr Zeit und drängt dabei auf zahlreiche Zugeständnisse, darunter einen Überbrückungskredit, um eine mögliche Staatspleite abzuwenden. Außerdem soll offenbar das Sanierungsziel des Staatshaushalts aufgegeben werden. Statt des ab 2016 anvisierten Primärüberschusses von 4,5 Prozent des BIP soll die Zielmarke auf 1,5 Prozent gesenkt werden. Sollte die EU diesen Forderungen nachkommen?
Griechenlands Schuldenstandsquote von etwa 175% ist auf Dauer kaum tragfähig. Die einzige Chance, die Griechenland hat, seine Finanzlage zu stabilisieren und Vertrauen bei Investoren zurückzugewinnen sind Strukturreformen und weiterhin starke Sparanstrengungen. Wird der
Primärüberschuss wie geplant gesenkt, würde sich die Schuldenspirale hingegen noch schneller drehen. Griechenland würde mittelfristig erneut Hilfsgelder benötigen oder ein erneuter Zahlungsausfall wäre kaum noch abzuwenden.
In den vergangenen Wochen ist auch die Diskussion um einen Grexit wieder hochgeschwappt. Wie realistisch ist ein solches Szenario?
Das Risiko, dass die Verhandlungen entweder bereits bei der Frage eines Überbrückungskredits für die Zeit nach dem 28. Februar oder im Laufe der anschließenden Hauptverhandlungen scheitern, ist durchaus vorhanden. Selbst wenn Griechenland finanzielle Hilfe von einem Drittstaat bekäme, wäre ein Zahlungsausfall auf Sicht eines Jahres kaum abwendbar. Der Grexit wäre dann die logische Konsequenz, da sonst die Glaubwürdigkeit der gesamten EWU auf dem Spiel stünde.
Welche Entwicklung erwarten Sie an den Börsen für die kommenden Wochen: Wird die politische Entwicklung in Griechenland sowie der Ukraine die Berichtssaison weiter überlagern?
Die Quartalsausweise der Unternehmen spielen angesichts der politischen Themen momentan eine untergeordnete Rolle. Es sind definitiv die politischen und geldpolitischen Themen, die Anleger in den kommenden Wochen im Auge behalten müssen. Mittelfristig zählen dann wieder die Fundamentaldaten und die müssen bei den Unternehmen zukünftig wieder besser ausfallen, um das hohe Kursniveau an den Aktienmärkten zu rechtfertigen. Ansonsten drohen Enttäuschungen.
Auf Seite 2: Was ein möglicher Grexit für die Börsen bedeuten würde
Was würde ein möglicher Grexit für die Börsen bedeuten: Müssten sich Anleger dann auf einen Crash einstellen?
Einen massiven Crash wird es nicht geben, weil ein Austritt der Griechen keine Überraschung mehr für die Börsen wäre. Allerdings dürfte eine Austritt kurzfristig zu Verwerfungen führen, auch der DAX würde dann leiden und in den Bereich von vielleicht 9.600 Punkte fallen. So eine Korrektur wäre im Übrigen kein Drama, sondern lediglich eine Rückkehr zur 200-Tage-Linie und eine Gelegenheit für Käufe.
Was würde ein möglicher Grexit für die Zukunft des Euro bedeuten: Wäre die Gemeinschaftswährung dann überhaupt noch zu retten?
Das kommt auf die Umstände an. Ein geordneter Austritt, verbunden mit
einem engeren Zusammenrücken der verbleibenden Staaten, könnte den
Euro längerfristig sogar stärken.
Auf Seite 3: Welche Folgen ein Grexit für Griechenland hätte
Wie schlimm wären die Folgen eines möglichen Grexit für die griechische Wirtschaft und die Bevölkerung?
Die unmittelbaren wirtschaftlichen Folgen für Griechenland dürften drastisch sein. Es würde eine Kapitalflucht einsetzen, der man nur mit Kapitalverkehrskontrollen begegnen könnte. Griechenlands Wohlstandsniveau würde rapide sinken. Gut ausgebildete Griechen könnten in Scharen das Land verlassen. Mittel- und längerfristig würde die Abwertung einer neuen Drachme gegenüber dem Euro dem Land aber helfen, die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Neben einem wachsenden Tourismussektor könnten auch industrielle Investitionen auf Basis deutlich geringerer Lohnstückkosten folgen. Die Arbeitslosenquote würde auf längere Sicht sogar zurückgehen. Bis Griechenland sein altes Wohlstandsniveau wieder erreichte, könnten aber Jahre oder gar Jahrzehnte vergehen.