Hermann Josef Abs galt als gediegen, verschwiegen und mächtig. "Doch er stand auch für Restauration, für die Adenauer-Republik, in der viele wieder zu Geld, Macht und Ehre kamen, die sich im Dritten Reich arrangiert und eingerichtet hatten", schrieb der "Spiegel". Er war umstritten und einflussreich wie wenige Wirtschaftsführer, ein Finanzdiplomat, wurde beinahe Adenauers Außenminister und hatte eine Vertrauensstellung im Bonner Kanzleramt. Im Zenit seiner Macht kam er auf zwei Dutzend Aufsichtsratsmandate. Auch war Abs ein Mann der schönen Künste und ein einflussreicher Kunstmäzen. Das Geflecht der Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik verband sich - im Guten wie im Bösen - mit seinem Namen.

Abs war 1901 in Bonn als Sohn eines liberal gesinnten Wirtschaftsanwalts zur Welt gekommen; sein Großvater hatte es zum königlich-preußischen Justizrat gebracht. Hermann Josef Abs, der streng katholisch erzogen wurde und mit 17 Jahren den Untergang des Kaiserreichs erlebte, absolvierte nach dem Abitur an einem Bonner Gymnasium eine Banklehre bei einem jüdischen Privatbankier und begann danach in Bonn ein Studium der Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Er spielte Orgel und Klavier und wollte nach dem Gymnasium eigentlich Mathematik und Musik studieren, brach das Studium aber nach einem Semester ab - die Familie konnte es nicht mehr finanzieren.

Schon früh hatte er erkannt, was seine Bestimmung war. In seinem Abiturzeugnis gab er zum Entsetzen seiner Lehrer, die ihn zu einer Karriere im öffentlichen Dienst drängten, als Berufswunsch "Bankkaufmann" an. Abs hatte sich seinen eigenen Weg gesucht: Deutschland nach dem Krieg - eine Zeit tiefgreifender Umbrüche aller staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und eine Zeit des Abschieds von den Karrieremustern des untergegangenen Kaiserreichs.

Karstadt-Sanierer mit 35 Jahren


1921 heuerte er in Köln beim Bankhaus Delbrück von der Heydt & Co. an. Er spezialisierte sich auf den Devisen- und Terminhandel, ging erst als Devisenhändler nach Amsterdam, später für jeweils unterschiedliche Bankinstitute nach England, Frankreich, Spanien, in die USA und nach Lateinamerika. Zurück in Deutschland, bewährte er sich im Alter von erst 35 Jahren als Partner im Berliner Bankhaus Delbrück Schickler & Co. bei der Sanierung des Warenhauskonzerns Karstadt.

Als die Nationalsozialisten die Macht übernahmen, sah Abs seine Chance für einen Karrieresprung. Der ehrgeizige Banker, der fließend Englisch, Niederländisch, Französisch und Spanisch sprach, wollte nun "die ganz große Orgel spielen", wie er sagte, und wechselte 1938 in den Vorstand der Deutschen Bank, einer damals gerade wieder erstarkten Universalbank.

Dort war er für das Auslandsgeschäft und die Industriefinanzierungen zuständig. Expansion war damals die wirtschaftliche Vision der Deutschen Bank. Aber ebendies war auch die politische Vision der Nationalsozialisten. Abs war in die Arisierung der deutschen Industrie und der Finanzunternehmen verwickelt. Er saß im Aufsichtsrat der IG Farben, die in Auschwitz ein gigantisches Zwangsarbeiterwerk baute, und hatte bei der Übernahme von Banken und Produktionsfirmen in den besetzten Gebieten mitgeholfen. Auch wenn später viele der Vorwürfe wegen seiner Rolle im Dritten Reich relativiert wurden, hatte Abs faktisch mit den Nazis kollaboriert. Sein persönliches Verhältnis zu den Größen des Nazi-Reichs sei allerdings "distanziert" gewesen, befand sein Biograf. Der gläubige Katholik gehörte nicht der NSDAP an, und er unterhielt sogar Kontakte zu den Widerstandszellen im bürgerlichen Lager und im Offizierskorps.

Nach dem Krieg wurde Abs von seinem Vorstandsposten suspendiert und für 90Tage inhaftiert, im Entnazifizierungsverfahren jedoch als "entlastet" eingestuft. Er war jetzt Mitte 40 "und galt noch als jemand, der Zukunft hat", so sein Biograf Lothar Gall. Er baute schnell Kontakte zur britischen und amerikanischen Militärverwaltung auf, dolmetschte auf dem Petersberg zwischen Adenauer und US-Hochkommissar John McCloy. In der nach seinen Plänen 1948 gegründeten Kreditanstalt für Wiederaufbau konnte er auch auf die Verteilung der Marshallplan-Gelder an die Wirtschaft unmittelbar Einfluss nehmen.

Bereits 1951 leitete er in London die Verhandlungen über die Regelung der deutschen Auslandsschulden. Konrad Adenauer persönlich hatte ihn damit beauftragt."An der Spitze einer hundertköpfigen Expertendelegation brachte er nach zweijährigem, zähem Ringen mit den Vertretern aus 65 Gläubigerländern ein Abkommen zustande, das die Rückzahlung von vierzehn Milliarden Mark Auslandsschulden regelte und damit die internationale Kreditwürdigkeit Deutschlands wiederherstellte", notierte "Die Zeit" anerkennend.

Ein Mann, 24 Aufsichtsratsmandate


Geschmückt mit dem Ruhm des erfolgreichen Finanzdiplomaten und dem Ruf, der Bankier des deutschen Wirtschaftswunders zu sein, rückte er 1957 an die Spitze der wiedergegründeten Deutschen Bank. Abs brachte es auf dem Höhepunkt seiner Macht auf 24 Aufsichtsratsmandate.

Sein Talent zur Selbstdarstellung war legendär. Seine öffentlichen Auftritte zelebrierte der in englische Maßanzüge gekleidete, einen gepflegten Schnauzbart sowie Lesebrille tragende Abs mit seltener Meisterschaft - und vor allem mit sicherem Instinkt für die Wirkung scharfer Pointen. Das Geheimnis seines Erfolgs? Der beruhe zu weniger als einem Drittel auf Bankerfahrung und im Übrigen je zur Hälfte auf physischer Kraft und schauspielerischer Begabung, so Abs in einem Interview.

Abs galt als extrem eitel, er weckte keine spontane Sympathie und keine warmherzigen Empfindungen, er hinterließ eher einen Eindruck von Kälte und Distanz. "Man wird sagen können, dass er einsam war, wie wohl jeder dieser ganz Mächtigen", schrieb sein Biograf. Abs starb 1994 im Alter von 92 Jahren.