An den 15. Januar 2015 kann sich Devisenhändler Tim Müller noch gut erinnern: Vor einem Jahr änderte die Schweizerische Nationalbank völlig überraschend ihre Wechselkurspolitik und löste damit ein Erdbeben an den Börsen aus. "Diesen Tag wird niemand, der am 15. Januar mit dem Franken zu tun hatte, je vergessen", sagte Müller, der bei der Zürcher Kantonalbank arbeitet. "Ich mache diesen Job schon seit fast 28 Jahren - aber das war einzigartig." Ohne Vorwarnung kippte die SNB nach rund drei Jahren ihr Euro-Wechselkursziel von mindestens 1,20 Franken.

Der Franken gewann daraufhin zum Euro bis zu 30 Prozent an Wert - der Euro fiel auf ein Elf-Jahrestief zum Dollar. Der Schweizer Leitindex SMI sackte 8,7 Prozent ab - der größte Tagesverlust in einem Viertel Jahrhundert und der zweitgrößte seiner Geschichte. Banken und deren Kunden mussten teils hohe Verluste einstecken. Doch dieser "Schwarze Donnerstag" tat dem Vertrauen internationaler Anleger in den Franken keinen Abbruch: Vor allem in Krisenzeiten investieren viele von ihnen weiterhin ihr Geld in die als "sicherer Hafen" geltende Schweiz.

FLUCHTWÄHRUNG



Als Fluchtwährung an schlechten Börsentagen verliert der Franken jedoch zunehmend an Attraktivität: Grund dafür ist die US-Zinswende. Denn mit steigenden Zinsen im Dollar-Raum winken den Investoren für eine ebenfalls sichere Anlage höhere Renditen als in der Schweiz, wo der Zinssatz bei minus 0,75 Prozent liegt. Diese steigende Präferenz der Anleger für den Dollar anstelle des Frankens habe sich bereits in den vergangenen Monaten abgezeichnet, sagte der Chefökonom der Schweizer Raiffeisen-Bankengruppe, Martin Neff. "Seit Sommer letzten Jahres haben wir bei keinem Schock eine Franken-Aufwertung erlebt."

Jüngste Beispiele sind der Börsen-Crash in China sowie die Spannungen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien, die die Märkte gleich zu Beginn des Jahres in Aufruhr versetzt hatten. Doch der Franken reagierte kaum und blieb zur wichtigsten Exportwährung Euro weitgehend stabil zwischen 1,08 und 1,09 Franken. Das zeige, dass sich die Lage seit dem Frankenschock vor einem Jahr beruhigt habe, sagte Devisen- und Rohstoffexperte Joachim Corbach vom Schweizer Vermögensverwalter GAM. "Die SNB scheint die Kontrolle über den Franken zurückerlangt zu haben - viele Investoren glauben das."

Seit der Aufgabe des Mindestkurses stemmt sich die Notenbank mit Negativzinsen und - bei Bedarf - mit Stützungskäufen gegen eine Aufwertung des Franken. Experten gehen jedoch davon aus, dass die SNB zuletzt kaum am Markt intervenieren musste, um den Franken stabil zu halten.

SICHERHEITSNETZ



Doch es ist nicht lange her, da schaufelten Investoren ihr Geld aus Angst vor einem Auseinanderbrechen der Eurozone haufenweise in die politisch und wirtschaftlich stabile Schweiz. Das führte dazu, dass der Franken nach 2008 einen Höhenflug nach dem anderen erlebte - bis die SNB den Mindestkurs einführte, um die für die exportorientierte Wirtschaft schädliche Aufwertung zu stoppen. Einer Studie der Deutschen Bank zufolge waren es aber nicht nur ausländische Investoren, die ihr Geld in der Schweiz horteten, sondern auch Schweizer Großkonzerne. Statt die im Ausland erwirtschafteten Erträge wieder dort zu investieren, bunkerten Nestle, Novartis & Co ihre Erträge lieber daheim. Das verstärkte den Aufwertungsdruck auf den Franken zusätzlich. Die SNB hätte ihren Euro-Mindestkurs nach eigener Darstellung nur mit milliardenschweren Stützungskäufen aufrecht halten können - und stieg dann aus.

Nach den Turbulenzen vor einem Jahr ist es zuletzt ruhig geworden um die eidgenössische Währung. Doch trotz der stabilen Entwicklung in den vergangenen Monaten halten Experten bei künftigen Krisen einen neuerlichen Höhenflug für möglich. Schließlich verspreche die Währung nach stetigem Wertzuwachs über Jahrzehnte Sicherheit. Daher seien viele Investoren bereit, Negativzinsen in Kauf zu nehmen. Kantonalbank-Händler Müller: "Wenn die Welt untergeht, dann ist es nicht das Schlechteste, ein paar Franken auf den Büchern zu haben."

Reuters