Die aktuelle Aktienhausse begann 2009. In diesem Jahr würde sie sechs Jahre alt werden. Wer bereits auf dem Höhepunkt der Finanzkrise mutig in Aktien investiert hat, fuhr tolle Renditen ein. Der DAX konnte sich weit mehr als verdoppeln. Jedoch ist der aktuelle Haussezyklus schon weit fortgeschritten. Um dies genau zu analysieren, hat es sich bewährt, den Markt aus mehreren Perspektiven zu betrachten: fundamental, nach Liquiditäts- und nach Sentiment-Gesichtspunkten, also der Stimmung an der Börse, und der Positionierung der Anleger.
Aus fundamentaler Sicht zeigt sich, dass ein großer Treiber der Aktienmärkte der vergangenen Jahre ausgereizt ist: die Steigerung der Gewinnmargen. Um profitabler zu werden, durchliefen fast alle Unternehmen Kostensenkungsprogramme und investierten weniger. Stattdessen wurden vor allem in den USA eigene Aktien zurückgekauft. Aber irgendwann sind alle Sparpotenziale verschwunden. Zuletzt stiegen die Gewinne kaum noch. Die Mitglieder des DAX erzielten 2013 im Durchschnitt sechs Prozent weniger Gewinn als 2012. Künftig dürften die Gewinne nur noch im Rahmen der Umsätze steigen und diese im Durchschnitt nur noch so stark wie die Weltwirtschaft. Dabei könnte die Krim-Krise die konjunkturelle Lage noch verschlechtern. Sollten die USA und die Europäische Union die Gangart gegenüber Russland verschärfen, steht die Welt vor einer Fortsetzung des Kalten Krieges. Ein positives Börsenumfeld sieht anders aus.
Ohne ausreichende Liquidität ist keine Aktienhausse möglich. In den vergangenen Jahren hingen die Börsen am Tropf der Notenbanken. Allerdings treten diese mit der Ausnahme Japans mittlerweile auf die Bremse. Allein die Ankündigung eines möglichen Taperings - der Reduzierung der monatlichen Anleihekäufe - hatte dazu geführt, dass die Renditen für lang laufende Bonds merklich anstiegen. Heute befinden sich die Zinsen der 30-jährigen US-Staatsanleihen knapp anderthalb Prozentpunkte über ihren Ständen vom Herbst 2012. Historisch gesehen haben steigende Renditen für Staatsanleihen mit drei- bis zwölfmonatiger Verspätung meist für fallende Aktienkurse gesorgt. Warum sollten sich Anleger angesichts schwankender Aktienkurse nicht gleich für wieder attraktivere Bonds entscheiden? Steigende Renditen sind daher Gift für die Börse. Ein drastisches Beispiel dafür war das Jahr 1987. Damals waren die langfristigen Zinsen um mehr als zwei Prozentpunkte gestiegen, bevor am 19. Oktober der Dow-Jones-Index den größten Tagesverlust seiner Geschichte verzeichnete. Eine geldpolitische Vollbremsung, wie sie 1987 in den USA durchgeführt wurde, ist aber unwahrscheinlich. US-Notenbankchefin Janet Yellen wird einen starken Zinsanstieg am langen Ende nicht zulassen. Die bereits gestiegenen Hypothekenzinsen haben auf dem Immobilienmarkt Spuren hinterlassen.
Bleibt noch die Betrachtung der Sentiment-Indizes. Der Anteil der pessimistischen US-Börsenbriefe ist seit Sommer 2011 stetig gefallen und liegt bei nur noch 15 Prozent. Es herrscht also viel Optimismus. Jedoch ist ein hohes Niveau an Optimismus kritisch, da ein großer Teil der Marktteilnehmer schon gekauft hat. In dieser Phase aufgebaute Positionen dürften bei abwärtsgerichteten Kursen dann schnell zum Verkauf gestellt werden.
Fazit: Für eine kräftige Rally fehlen Argumente. Am wahrscheinlichsten ist an den Aktienmärkten eine Seitwärtsbewegung, wie wir sie bereits seit Anfang 2014 sehen. Anleger können von Stillhalteprämien profitieren, etwa über Discount- oder Bonuszertifikate. Eine Beimischung von Gold- und Silberinvestments ist eine Absicherung gegen eine Verschärfung der genannten Risiken. Und schließlich sehen Währungspositionen attraktiv aus, die von einem fallenden Yen profitieren, da in Japan eine unvermindert lockere Geldpolitik betrieben wird. Der überhitzte Immobilienmarkt in Großbritannien spricht für einen Rückgang beim Britischen Pfund. Flexibilität ist das Gebot der Stunde.
Stefan Riße
Riße startete als Broker, wechselte dann in den Finanzjournalismus. Von 2000 bis 2005 war er Börsenkorrespondent für den Nachrichtensender n-tv und von 2006 bis 2011 Chief Market Strategist der deutschen Niederlassung des britischen CFDAnbieters CMC Markets. Seither ist er Portfoliomanager der HPM Hanseatischen Portfolio Management und berät den 2012 aufgelegten Riße Inflation Opportunities UI.