Eine halbe Billion US-Dollar an Börsenwert kann sich schnell in Luft auflösen. Am 23. August 2019 schickte US-Präsident Donald Trump ein paar Tweets zum Notenbanktreffen in ­Jackson Hole und zum Handelskonflikt mit China in die Welt. Und bis Börsenschluss hatten die Aktienmärkte insgesamt 500 Milliarden US-Dollar an Wert eingebüßt. Dabei hat sich die Kennzahl, die wir kennen, die Volatilität, gar nicht erhöht. Im Gegenteil: Der einschlägige Index VIX notiert auf Tiefstständen. Es handelt sich um ein neues Phänomen: eine erhöhte "Risiko­geschwindigkeit". Das bedeutet, Risiken materialisieren sich immer schneller in Portfolios. Für diesen Trend gibt es fünf Ursachen.

Erstens sehen wir eine zunehmende Diskrepanz zwischen dem Preis von Vermögenswerten und der fundamental zu erwartenden Wirtschaftsentwicklung. Wir haben dies bei der jüngsten US-Aktienrally gesehen, die inmitten einer Konjunktur­abschwächung stattgefunden hat. Der Aktienmarkt hat sich von den wirtschaftlichen Fundamentaldaten abgekoppelt. Wenn die Märkte realisieren, dass sie die Lage optimistischer einschätzen als fundamental gerechtfertigt, ist das der Nährboden für einen Schock. Noch verstärkt werden solche Schocks durch die weit verbreiteten systematischen Handelsstrategien, deren Algorithmen in den meisten Fällen prozyklisch agieren.

Den zweiten Treiber der Risikogeschwindigkeit sehen wir am Anleihemarkt: Die Verschuldung ist über die Jahre immer weiter gestiegen, die Qualität der Schuldner im Durchschnitt aber gesunken. Bei einem globalen Berg an Unternehmensschulden von 5,8 Billionen US-Dollar ist der Anteil der Schuldner, die mit der niedrigsten Stufe im Investment-Grade-Bereich ("BBB") bewertet werden, von rund 30 Prozent in den späten 90er-Jahren heute auf mehr als 55 Prozent gestiegen. Wenn nun etwa eine Rezession eine Welle von Herabstufungen auslösen würde, dann würden viele Anleihen in den High-Yield-Bereich abrutschen. Die Folge wären massenhaft steigende Spreads, fallende Kurse und für die Unternehmen steigende Refinanzierungskosten.

Der dritte Treiber der Risikogeschwindigkeit ist die wachsende Bedeutung von Technologieunternehmen. Der Sektor nimmt heute das gleiche systemische Risiko ein wie die Banken während der letzten Rezession ab 2007. Das liegt nicht nur an der Größe dieser Technologieriesen. Vielmehr sind ihre Produkte und Dienstleistungen heute für die Prozesse in den meisten globalen Unternehmen lebensnotwendig. Enttäuscht ein Techkonzern die Erwartungen seiner Anleger, kann das in ohnehin schon hoch bewerteten Märkten dazu führen, dass sich die Kursverluste schnell in alle anderen Marktsegmente ausbreiten. Die systemische Bedeutung des Technologiesektors führt auch zu einer vierten Dynamik. Durch Globalisierung und die Komplexität moderner Lieferketten können sich Risiken in einem Dominoeffekt viel schneller manifestieren als früher.

Der fünfte Treiber sind soziale Medien wie Twitter, die zum neuen Standard in der politischen Kommunikation zu werden scheinen. Die Verbreitung politischer Äußerungen erfolgt damit viel schneller als in früheren Zeiten. Dadurch können alle Anleger ohne großen Zeitverzug ihre Kauf- und Verkaufsentscheidungen am Markt umsetzen und sich somit dem Herdentrieb anschließen. Die sozialen Medien wirken damit wie eine Echokammer, die die vorhandenen Ängste der Investoren verstärkt. Die erhöhte Risikogeschwindigkeit sollten Anleger vorausschauend miteinbeziehen. So raten wir bei Aktieninvestments dazu, auf große Qualitätsaktien zu setzen. Sie sind insgesamt widerstandsfähiger. Im Anleihebereich sehen wir US-Staatsanleihen als eine sinnvolle Absicherung gegen einen möglichen Einbruch des Wirtschaftswachstums. Zudem lassen sich selektiv Chancen in den Emerging Markets nutzen. Dort sollte man jedoch mit einem aktiven Ansatz abseits der Benchmark arbeiten, um die teils erheblichen Risiken einzelner Länder umgehen zu können.

Seema Shah

Shah studierte an der London School of Economics Wirtschaft und schloss mit einem Master ab. Sie ist bei Principal Global Investors - einem US-amerikanischen Asset Manager, der ­aktuell rund 450 Milliarden US-Dollar für seine Kunden ver­waltet - die Chefin für die Anlagestrategie und seit 2010 für das Haus von London aus tätig. Dort begann sie ihre volkswirtschaftliche Karriere beim Schatzamt "ihrer Majestät".