Welche Aufgaben eine neue Regierung jetzt anpacken muss, was das für die Börsen bedeutet und was Anleger jetzt tun sollten, erklärt Robert Halver, Kapitalmarktanalyst bei der Baader Bank.
boerse-online.de: Was sind die drängendsten Aufgaben, die die neue Bundesregierung als nächstes anpacken muss?
Robert Halver: Im Grunde genommen brauchen wir hundert Reformen. Wir müssen die Genehmigungsverfahren für industrielle Anlagen relativ schnell verkürzen, damit es nicht mehr so lange dauert, bis Großvorhaben umgesetzt sind. Die Digitalisierung muss dringend angepackt werden, da sind wir massiv zurückgefallen. Und Klimaschutz muss man auch hinbekommen, aber mit marktwirtschaftlichen Mitteln. Ideal wäre, wenn man zum Beispiel Unternehmen hohe Abschreibungen auf Investitionen in Klimatechnik erlauben würde.
Die SPD hat die Wahl knapp gewonnen. Wie wird sich das auf die Börsen auswirken?
Positiv. Nicht weil es die SPD ist, sondern weil man ganz klar erkennen muss, der Kelch ist an den Börsen vorüber gegangen. Der Kelch wäre ein Bündnis aus Rot-Grün-Rot gewesen. Das ist jetzt nicht möglich. Es gibt also eine Koalition der Mitte - Extreme finden nicht statt. Damit ist die Marktwirtschaft grundsätzlich in ihrem Gefüge nicht negativ beeinflusst. Da freut man sich drüber: Die Börsen sind ja heute auch im Plus gestartet.
Wie sollten Anleger darauf reagieren?
Die Anleger können jetzt wieder einen freundlicheren Blick auf den deutschen Aktienmarkt werfen. Man kann durchaus einen Schwerpunkt auf Klimatechnik- und Umwelttechnik- Werte, gerade auch aus der zweiten Reihe, richten. Und ich denke, auch die konjunkturzyklischen Werte sind jetzt attraktiv, weil es eben nicht dieses Linksbündnis gibt und es bei marktwirtschaftlichen Strukturen bleibt.
Die Koalitionen Ampel (SPD, Grüne, FDP) und Jamaika (CDU/CSU, Grüne, FDP) wären rechnerisch möglich. Welche wäre für die Börsen die bessere Option und warum?
Wenn die Börse entscheiden könnte, würde man sich für Jamaika entscheiden, weil sich CDU und FDP näher sind, gerade in marktwirtschaftlichen Dingen, als die SPD. Aber auch mit der Ampelkoalition könnte man leben.
Mit dem knappen Wahlsieg der SPD zeichnet sich eine langwierige Regierungsbildung ab. Eine solche Unsicherheit ist Gift für die Börsen.
Grundsätzlich schon. Aber es ist fest davon auszugehen, dass die FDP mitregieren wird. Sie kann nicht nochmal sagen, das machen wir nicht. Grüne und FDP werden sich jetzt zusammensetzen und ihre Differenzen einigermaßen klären. Ich kann mir sogar vorstellen, dass das gar nicht so lange dauert, dass das durchaus schneller geht als vor vier Jahren.
Die Anleger wissen dass es jetzt vorübergehend einen gewissen Stillstand gibt - aber das hat man ja in jeder Regierungsbildung. Ich war gestern sehr angetan von der Vernunftsehe zwischen Grünen und der FDP. Da könnte dann doch schon relativ schnell was kommen. Es ist zwar nicht auszuschließen, dass Frau Merkel nochmal die Neujahrsansprache halten wird, aber ich glaube, dass alle begriffen haben, um was es geht. Jetzt muss man ran an die Buletten. Ich gehe mal davon aus, dass es funktioniert.
Wie sollten Anleger sich aufstellen?
Anleger sollten nicht nur auf die Bundestagswahl schauen. Es gibt natürlich große, überlappende Themen. Was macht die Geldpolitik? Was macht die Weltkonjunktur? Wie ist die Geopolitik China/Amerika? Das sind natürlich viel wichtigere Dinge. Viele Firmen sind auch weltweit tätig, sodass das Wahlergebnis nicht entscheidend ist. Da das Ergebnis die Börse zufriedenstellt, wird man schnell zur Tagesordnung übergehen.